Jes 35,1-6.10; Ps 146,6-10; Jak 5,7-10; Mt 11,2-11
Liebe Freunde, wir feiern an diesem Sonntag Gaudete, „Freuet euch!“ Am dritten Adventssonntag sind wir voller Vorfreude auf Weihnachten und das vermitteln auch die Lesungen. Gleichzeitig freuen wir uns über die Barmherzigkeit, die der Herr uns schon erwiesen hat, und auf das zweite Kommen unseres Herrn als erhöhter Menschensohn.
Jes 35
1 Jubeln werden die Wüste und das trockene Land, jauchzen wird die Steppe und blühen wie die Lilie.
2 Sie wird prächtig blühen und sie wird jauchzen, ja jauchzen und frohlocken. Die Herrlichkeit des Libanon wurde ihr gegeben, die Pracht des Karmel und der Ebene Scharon. Sie werden die Herrlichkeit des HERRN sehen, die Pracht unseres Gottes.
3 Stärkt die schlaffen Hände und festigt die wankenden Knie!
4 Sagt den Verzagten: Seid stark, fürchtet euch nicht! Seht, euer Gott! Die Rache kommt, die Vergeltung Gottes! Er selbst kommt und wird euch retten.
5 Dann werden die Augen der Blinden aufgetan und die Ohren der Tauben werden geöffnet.
6 Dann springt der Lahme wie ein Hirsch und die Zunge des Stummen frohlockt, denn in der Wüste sind Wasser hervorgebrochen und Flüsse in der Steppe.
10 Die vom HERRN Befreiten kehren zurück und kommen zum Zion mit Frohlocken. Ewige Freude ist auf ihren Häuptern, Jubel und Freude stellen sich ein, Kummer und Seufzen entfliehen.
Jesajas Worte sind heute wieder sehr tröstlich und lassen das Herz höher schlagen. Es sind auch wieder markante messianische Verheißungen, deren Aussagekraft sich vor allem im Evangelium erfüllen wird. „Jubeln werden die Wüste und das trockene Land, jauchzen wird die Steppe und blühen wie die Lilie.“ Was hier umschrieben wird, ist das Hineinkommen von Leben inmitten des Todes. Das ist bereits sehr messianisch und der Inbegriff der Erlösung: aus dem Tod ins Leben kommen. Es ist dabei bemerkenswert, wie immer wieder die Wüste zum Ort der Gottesbegegnung wird. Gottes Methodik, den Menschen seinen Plan zu offenbaren, umfasst selbst die Orte, an denen er sich offenbart. So ist Gottes Schule. Es ist also keinesfalls zufällig, dass dann auch Johannes der Täufer in der Wüste das Kommen des Gottesreiches ankündigt.
Wenn die Rede davon ist, dass es mitten in der Wüste zum Blühen kommt, liegt es daran, dass dort die Begegnung mit Gott stattfindet: weil die Israeliten „die Herrlichkeit des HERRN sehen“ werden.
„Er selbst kommt“ muss man wirklich wörtlich nehmen. Gott ist schon unterwegs. Er wird nicht einfach irgendwann sein – deshalb heißt es auch in der Offb in der Dreizeitenformel auch nicht „er, der war, der ist und der sein wird“, sondern „er war, er ist und er kommt“. Gott ist schon auf dem Weg zu uns! Dieses Kommen verbinden wir mit dem Messias Jesus, der in die Welt gekommen ist und unter uns gelebt hat. Gott kommt auch heute zu uns, wenn wir die Sakramente feiern, v.a. in der Eucharistie. Jesus kommt physisch zu uns, wie er auch damals leibhaftig unter uns war. Wir sehen ihn nur nicht mehr in der Gestalt des Menschen, sondern von Brot und Wein. Solange es die Kirche gibt, kommt Gott physisch zu uns. Deshalb brauchen wir die Priester. Ohne sie kann es keine Eucharistie geben. Gott kommt in unser Herz, wenn wir ihn in der Kommunion empfangen. Er vereinigt sich mit unserer Seele. Gott ist immer bei uns, wie er es Mose im Dornbusch versprochen hat, als er sich selbst als Jahwe „ich bin der ich bin/ich bin der ich werde sein“ vorgestellt hat (das hebräische Wort ist sowohl als Gegenwarts- als auch als Zukunftsform übersetzbar). Es macht deshalb auch absolut Sinn, dass der Messias mit dem Namen „Immanuel“ angekündigt wurde, „Gott mit uns“. Vater und Sohn sind eins. Gott wird auch zu uns kommen am Ende der Zeiten. Der verherrlichte Menschensohn wird so kommen, dass alle es sehen werden. Das wird ein endgültiges Kommen sein, bei dem Gott ewig in unserer Mitte sein wird im himmlischen Jerusalem.
Weil Gott wiederkommen wird – wir nennen das Parusie -, sind wir in einem nachösterlichen Zustand der Erwartung, in einem zweiten Advent. Dies bedenken wir immer mit, wenn wir liturgisch Advent feiern. Wir gehen nicht nur auf das liturgische Weihnachtsfest zu, sondern darüber hinaus auf die endzeitliche Wiederkunft Christi.
Weiter heißt es bei Jesaja, dass Gott uns retten wird. Auch hier haben wir im Hebräischen wieder dieselbe Wurzel wie im Namen Jesu. Umso mehr handelt es sich um einen messianischen Code, wenn Gott selbst kommt, um uns zu retten. Jesus ist Gott selbst und das verstehen wir durch Jesaja!
Diese Rettung wird sich anhand von den markanten messianischen Heilstaten zeigen: Blinde sehen, Taube hören, Stumme reden, Lahme gehen. Diese vier Taten werden uns nachher noch einmal beschäftigen.
Wenn in der Wüste dann Wasser hervorgebrochen sind und Flüsse in der Steppe, dann ist das nicht nur ein Zeichen der Gegenwart Gottes, sondern vor allem des Hl. Geistes. Wir interpretieren dieses Wasser dann nämlich als das lebendige Wasser. Die Wasser in der Wüste sind schon hervorgebrochen. Das hebräische Verb נִבְקְע֤וּ nivke’u ist als Vergangenheitsform zu übersetzen. Gott hat seinen Hl. Geist auch schon vor dem Kommen des Messias und vor dem Pfingstfest in die Welt gesandt. Vereinzelte Personen wie die Propheten sind mit dem Hl. Geist begabt worden. Mit dem Pfingstereignis kam der Hl. Geist aber noch einmal auf eine viel umfassendere Weise, und dies für jeden, der ihn annimmt.
Wo hier die Einheitsübersetzung „die Befreiten“ übersetzt, muss es eigentlich wörtlich heißen „die Freigekauften“. Dies ist klassische Erlösungsterminologie! Sie erscheint dort, wo es um die Erlösung der Menschheit geht, insbesondere im NT (1 Kor 6; 7; 2 Petr 2; Offb 5). Hier ist der Freikauf zunächst historisch auf das Volk Israel zu beziehen, das nach dem Exil endlich zurückkehren darf und gerade Jerusalem mit dem Tempel wieder aufbauen darf, um dem Herrn zu opfern. Über dieses einmalige historische Ereignis hinaus bezieht es sich auf die Losgekauften durch Jesus Christus. Er hat uns vom Fluch der Erbsünde befreit, indem er für uns gestorben und auferstanden ist. „Zion“ ist dann das Reich Gottes, dass Jesus verkündet hat und dessen Mitte er selbst ist. In seiner Nachfolge ist Zion seine Braut, die Kirche, in der er lebt und wirkt. Die Menschen, die durch die kirchliche Verkündigung zum Glauben an Christus kommen und sich taufen lassen, sind die Losgekauften, die zum Zion zurückkehren. Das betrifft auch jeden einzelnen Menschen, der aus der Knechtschaft der Sünde v.a. durch die Beichte befreit wird und zum Zion, dem Stand der Gnade, zurückkehren darf. Schließlich meint es die Losgekauften von den Leiden der Welt, die das ewige Leben bei Gott haben dürfen. Zion meint in diesem Sinne den Himmel, das offenbar gewordene Reich Gottes.
„Ewige Freude ist auf ihren Häuptern“. Durch den Begriff der Ewigkeit handelt es sich hier um eine v.a. anagogische Aussage. Bleibende Freude ist immer nur bei Gott, irdische Freude ist vorübergehend. Wir dürfen auf Erden jedoch auch schon eine dauerhafte Freude genießen, wo sie vom Hl. Geist als Frucht gegeben wird. Diese wird sich am Ende der Zeiten aber noch vollenden. Historisch gesehen handelt es sich um ein Stilmittel, die Freude der Israeliten über die Rückkehr zum verheißenen Land und in die Hl. Stadt Jerusalem zu verdeutlichen. Für Jesus war es eine große Freude, zu Menschen sagen zu können: „Deine Sünden sind dir vergeben. Geh und sündige nicht mehr!“ Es ist eine große Freude für Gott, wenn jemand zu ihm findet. Jesus hat dies durch unzählige Gleichnisse immer wieder gesagt, vor allem im Gleichnis vom verlorenen Sohn. Der Vater veranstaltet ein großes Fest, weil sein Sohn wieder lebt. Auch die Kirche freut sich über jeden Bekehrten. Sie ist eine einzige Familie, die unter jeder Sünde leidet. Sie leidet, wenn es einem einzigen Mitglied nicht gut geht. Umso mehr ist es ein Grund zur Freude, wenn es zu einer Versöhnung mit Gott in der Beichte kommt – und mit der Gemeinschaft der Heiligen! Das geschieht nämlich beides gleichermaßen durch das Beichtsakrament. Im Anschluss an diese Versöhnung feiert auch sie ein großes Fest, die Eucharistie! Nicht umsonst wird sie mit einem Hochzeitsmahl verglichen. Erstens hat Gott im AT und Jesus Christus im NT immer wieder um seine Braut geworben und sich selbst als Bräutigam bezeichnet. Zweitens ist die Hochzeit der Anlass zur Freude schlechthin! Nicht umsonst steht die Hochzeit zu Kana am Anfang des öffentlichen Wirkens Jesu (Joh 2). Und diese Freude wird sich vollenden und erreicht eine unvergleichlich höhere Qualität am Ende der Zeiten, wenn die Hochzeit des Lammes kommen wird (Offb 19).
Ps 146
6 Er ist es, der Himmel und Erde erschafft, das Meer und alles, was in ihm ist. Er hält die Treue auf ewig.
7 Recht schafft er den Unterdrückten, Brot gibt er den Hungernden, der HERR befreit die Gefangenen.
8 Der HERR öffnet die Augen der Blinden, der HERR richtet auf die Gebeugten, der HERR liebt die Gerechten.
9 Der HERR beschützt die Fremden, er hilft auf den Waisen und Witwen, doch den Weg der Frevler krümmt er.
10 Der HERR ist König auf ewig, dein Gott, Zion, durch alle Geschlechter. Halleluja!
Der Psalm führt die Gedanken aus Jesaja weiter und reflektiert die Heilstaten noch ausführlicher. Er gibt an, dass all die Heilstaten auf ein und denselben Gott zurückzuführen sind, der auch die Welt geschaffen hat.
Zu diesen Heilstaten gehören unter anderem dieselben Taten, die Jesaja aufzählt: Blinde sehen wieder (Vers 8). Was hier neu ist und mindestens genauso wichtig wie körperliche Heilstaten ist, ist die soziale Heilung: Gott hilft Witwen und Waisen auf, die im Alten Israel nämlich rechtlos waren. Er beschützt die Fremden, die keinen Schutz genossen. Auch wenn nicht eins zu eins dieselben Heilstaten dann im NT aufgegriffen werden, wird den schriftkundigen Juden, die mit den Psalmen ganz vertraut waren, dieser entscheidende Punkt aufgegangen sein: All diese Dinge gehen auf Gott zurück! Jesus ist nicht einfach nur ein Mensch, sondern er ist Gott!
Auch hier ist die Rede von Befreiung. Die befreiten Gefangenen sind wiederum vierfach zu verstehen: Historisch-wörtlich ist es zunächst auf die Israeliten zu beziehen, die aus der babylonischen Gefangenschaft befreit werden. Es ist aber auch allegorisch weiterzudenken. Dann ist es die Befreiung aus dem Exil Adams und Evas außerhalb des Paradieses, also die Befreiung von dem Fluch der Erbsünde dank Jesu Erlösungstat. Es meint auch die Befreiung aus dem Zustand der Sünde zurück in den Stand der Gnade durch das Beichtsakrament und es meint nach dem Tod das Eingehen in das himmlische Jerusalem und die Befreiung von den Leiden des irdischen Daseins. Am Ende der Zeiten sogar die Befreiung vom Tod, wenn Gott einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen wird.
Wenn es dann heißt: „Der HERR ist König auf ewig“, dann ist das absolut tröstlich. Wir können uns freuen, dass Gottes Gerechtigkeit über alles siegen wird. Gott herrscht schon längst, aber seine Herrschaft wird noch offenbar werden.
Jak 5
7 Darum, Brüder und Schwestern, haltet geduldig aus bis zur Ankunft des Herrn! Siehe, auch der Bauer wartet auf die kostbare Frucht der Erde, er wartet geduldig auf sie, bis Frühregen oder Spätregen fällt.
8 Ebenso geduldig sollt auch ihr sein; macht eure Herzen stark, denn die Ankunft des Herrn steht nahe bevor.
9 Klagt nicht übereinander, Brüder und Schwestern, damit ihr nicht gerichtet werdet! Seht, der Richter steht schon vor der Tür.
10 Brüder und Schwestern, im Leiden und in der Geduld nehmt euch die Propheten zum Vorbild, die im Namen des Herrn gesprochen haben!
Im Jakobusbrief wird diese Herrschaft Gottes als unmittelbar bevorstehend erwartet. Es ist ein anagogischer Duktus zu lesen und zugleich die moralische Konsequenz dieser absoluten Naherwartung der Wiederkunft Christi: Wir sollen unsere Herzen stark machen. Das ist analog zu Jesaja zu lesen, wo es heißt: Stärkt die schlaffen Hände und festigt die wankenden Knie. Bei beiden geht es um eine vorbereitende Haltung für das Kommen des Messias. Während Jesaja aber auf das erste Kommen anspielt, bezieht sich die Vorbereitung in Jak auf das zweite Kommen.
Die vorbereitende Haltung kann in beiden Fällen wiederum vierfach betrachtet werden: Die Kirche als Testament und Sakrament Christi muss sich bereithalten für die Wiederkunft Christi, wie das Volk Israel sich auf die Menschwerdung Gottes bereithalten musste. Für die Kirche ergibt sich jedoch der Unterschied, dass Jesus bereits in den Sakramenten immer kommt. Gerade in der Eucharistie kommt er physisch zu uns, genauso wie er als Mensch unter uns gewandelt ist – nur jetzt in der Gestalt von Brot und Wein! Auf dieses sakramentale Kommen muss sich die Kirche immer wieder vorbereiten. Wenn Menschen Sakramente empfangen, müssen sie zuvor einen Katechumenat hinter sich bringen. Sie werden auf das Sakrament vorbereitet, eben weil Jesus zu ihnen kommt! Jeder einzelne Christ bereitet sich auf das Kommen Christi in seine Seele vor, wenn er ihn in der Kommunion empfängt. Deshalb muss man zuvor auch beichten und sich prüfen, ob man wirklich im Stand der Gnade ist. Dazu gehören auch das persönliche Gebet, die Bibellesung, alle anderen Sakramentalien, die einen auf diesem Weg stärken. Und anagogisch gesehen – das wird hier ja besonders betont – müssen wir den Tag immer so leben, als wäre es unser letzter. Wir müssen wachsam sein und immer bereit sein, die Braut, die sich für ihren Mann geschmückt hat. Wir wissen ja weder, wann das Ende der Welt kommt noch, wann unser Todeszeitpunkt gekommen ist. Das muss uns keine Angst machen, sondern zu einem bewussten Leben in ständiger Bemühung um die Beziehung zu Gott motivieren. Deshalb schreibt Jakobus, dass wir geduldig sein sollen und über unseren Mitmenschen nicht klagen sollen. Er gibt konkrete Anweisungen, wie wir miteinander leben sollen, damit wir als Braut des Lammes vorbereitet sind.
Er nennt zum Ende hin die Propheten, die diese vorbereitende, gleichsam eschatologische Haltung auf vorbildliche Weise gelebt haben. Dazu gehört auch die Enthaltsamkeit als Vorwegnahme unserer Ehelosigkeit im Himmel (Mt 22,30).
Mt 11
2 Johannes hörte im Gefängnis von den Taten des Christus. Da schickte er seine Jünger zu ihm
3 und ließ ihn fragen: Bist du der, der kommen soll, oder sollen wir auf einen anderen warten?
4 Jesus antwortete ihnen: Geht und berichtet Johannes, was ihr hört und seht:
5 Blinde sehen wieder und Lahme gehen; Aussätzige werden rein und Taube hören; Tote stehen auf und Armen wird das Evangelium verkündet.
6 Selig ist, wer an mir keinen Anstoß nimmt.
7 Als sie gegangen waren, begann Jesus zu der Menge über Johannes zu reden: Was habt ihr denn sehen wollen, als ihr in die Wüste hinausgegangen seid? Ein Schilfrohr, das im Wind schwankt?
8 Oder was habt ihr sehen wollen, als ihr hinausgegangen seid? Einen Mann in feiner Kleidung? Siehe, die fein gekleidet sind, findet man in den Palästen der Könige.
9 Oder wozu seid ihr hinausgegangen? Um einen Propheten zu sehen? Ja, ich sage euch: sogar mehr als einen Propheten.
10 Dieser ist es, von dem geschrieben steht: Siehe, ich sende meinen Boten vor dir her, der deinen Weg vor dir bahnen wird.
11 Amen, ich sage euch: Unter den von einer Frau Geborenen ist kein Größerer aufgetreten als Johannes der Täufer; doch der Kleinste im Himmelreich ist größer als er.
Das Evangelium verdichtet all die Gedanken der bisherigen Lesungen und wendet sie auf den gekommenen Messias an. Wir lesen hier nun von dem größten aller Propheten, die diese vorbereitende Haltung mit seinem ganzen Sein gelebt hat: Johannes der Täufer.
Er hat in seiner gesamten Verkündigung kein Blatt vor den Mund genommen, so auch vor Herodes, den Jesus mit dem schwankenden Schilfrohr angedeutet hat. Weil Johannes sein ehebrecherisches Verhalten angeprangert hatte, ließ dieser den Täufer ins Gefängnis werfen.
Wir lesen im heutigen Abschnitt nun, wie Johannes vom Gefängnis aus von Jesus hört und deshalb seine Jünger ihn nach dessen messianischer Identität fragen lässt. Jesus antwortet aber nicht einfach mit „ja, ich bin es“, sondern mit einem Code – genau dem Code, den wir von Jesaja her kennen! Die Juden kannten die messianischen Heilstaten, die angekündigt wurden: Blinde sehen, Lahme gehen, Taube hören, Lahme gehen. Warum codiert Jesus seine Antwort, anstatt eine direkte Antwort zu geben? Jesus tut dies für die Menschen – für die Johannesjünger und diejenigen, die das Gespräch mitbekommen. Gottes Pädagogik ist immer so feinfühlig, dass er es uns begreifen lässt: Die Juden kannten die Schriften, sie wussten von dem Messias und konnten sich zudem von Jesu Worten und Taten selbst überzeugen (berichtet, was ihr hört und seht!). Sie sollten von selbst einen Aha-Effekt bekommen, indem sie eins und eins zusammenzählten. Hätte Jesus darüber hinaus „ja, ich bin es“ geantwortet, wäre er sofort zum Zellengenossen des Johannes geworden und hätte nicht noch drei Jahre wirken können. Das war aber nicht der Hauptgrund für Jesu Antwort. Jesu Aufzählung von messianischen Heilstaten beinhaltet über Jesaja hinaus noch weitere neue Taten wie die Totenerweckung. Dies kann nur Gott, wodurch er selbst sich als göttlich kennzeichnet. Jesus erweckt seinen Freund Lazarus zum Leben, wodurch seine Aufzählung wahrlich durch Taten erfüllt wird.
Im zweiten Teil des Evangeliums spricht Jesus über Johannes. Dabei stellt er unter anderem die rhetorische Frage: „Was habt ihr denn sehen wollen? Ein Schilfrohr, das im Wind schwankt?“ Auch an dieser Stelle hat Jesus codiert gesprochen und doch haben es alle Umstehenden verstanden: Das Schilfrohr in der Wüste macht nämlich keinen Sinn, da es ja keinen See in der Trockenheit gibt. Es handelte sich vielmehr um das Symbol des Herodes, das er auch auf seinen Münzen hat prägen lassen. Und dass gerade Herodes unbeständig war, kein eigenes Rückgrat besaß und sein Fähnchen nach dem Wind richtete, erfahren wir ja in den Erzählungen über Johannes‘ Enthauptung: Herodes traut sich nicht einmal, ein Versprechen zurückzunehmen, durch das er den Täufer umbringen sollte. Eigentlich mochte er Johannes nämlich. Johannes dagegen war das Gegenteil eines wankenden Schilfrohrs. Er hat gesagt, was er sagen musste. Er traute sich, zu seinem Glauben zu stehen, obwohl er total political incorrect verkündete.
Dann sagt Jesus etwas, über das sich bis heute viele Exegeten den Kopf zerbrechen: Johannes ist der Größte der Geborenen, die jemals aufgetreten sind, doch ist der Kleinste im Himmel größer als er. Der erste Teil bezieht sich auf die Aussage Jesu, dass Johannes mehr als ein Prophet sei. Kein anderer Prophet der gesamten Heilsgeschichte hatte das Privileg, den von ihm Angekündigten persönlich zu erleben. Kein anderer Prophet durfte Gott taufen, kein anderer Prophet war mit ihm verwandt! Und kein Prophet durfte ihm schon begegnen, bevor er überhaupt geboren worden ist! Johannes gehört als Prophet noch zum alten Bund, wenn wir ihn in die Reihe aller anderen Propheten einordnen. Er ist zugleich der Anfang des neuen Bundes, weil er dem Messias unmittelbar vorausgeht. Er ist somit ein Scharnier zwischen den Bünden. Und doch hat er nicht das Privileg, erlöst zu werden durch das Kreuzesopfer Christi. Jesus besiegelt den neuen Bund Gottes mit der ganzen Menschheit erst nach dem Tod des Täufers. Gewiss ist Jesus für alle Menschen gestorben, auch für jene, die vor ihm gelebt haben. Aber diese sind noch nicht Teil der neuen Schöpfung, deren Anfang Jesus und Maria sind! In diese neue Schöpfung werden wir durch die Taufe hineingeboren, die Johannes nicht mehr erhalten hat. Er selbst hat mit Wasser getauft, aber die von ihm selbst angekündigte Taufe mit Feuer und Geist wird er nicht mehr miterleben. Insofern ist auch der Kleinste dieser neuen Schöpfung, des Himmelreiches, größer als er.
Wir dürfen uns heute besonders freuen über Gottes große Heilstaten. Zugleich werden wir heute dazu aufgefordert, dieselbe vorbereitende Haltung einzunehmen wie Jesaja, Jakobus und Johannes. Die Haltung ist weniger ein ängstliches Warten auf den Tod, vielmehr eine hoffnungsvolle und FREUDIGE Erwartung auf die wunderbare Hochzeit! Freuen wir uns heute ganz besonders wie eine Braut sich auf ihren Bräutigam freut. Gaudete, meine Lieben!
Ihre Magstrauss