Heute beten wir die letzte O-Antiphon, denn ERO CRAS, „morgen werde ich da sein“. Der Messias steht schon an der Schwelle der sichtbaren Welt, bereit, geboren zu werden. Die Antiphon im Einzelnen:
O Immanuel, unser König und Gesetzgeber, Du Erwartung und Heiland der Völker. Komm, uns zu erlösen, Herr, unser Gott.
O Immanuel, Rex et legifer noster, exspectatio gentium, et Salvator earum: veni ad salvandum nos, Domine, Deus noster.
Wir begreifen diese Anrufung vor dem Hintergrund folgender Bibelstellen:
Jes 7,14
14 Darum wird der Herr selbst euch ein Zeichen geben: Siehe, die Jungfrau hat empfangen, sie gebiert einen Sohn und wird ihm den Namen Immanuel geben.
Mt 1,20-23
20 Während er noch darüber nachdachte, siehe, da erschien ihm ein Engel des Herrn im Traum und sagte: Josef, Sohn Davids, fürchte dich nicht, Maria als deine Frau zu dir zu nehmen; denn das Kind, das sie erwartet, ist vom Heiligen Geist. 21 Sie wird einen Sohn gebären; ihm sollst du den Namen Jesus geben; denn er wird sein Volk von seinen Sünden erlösen. 22 Dies alles ist geschehen, damit sich erfüllte, was der Herr durch den Propheten gesagt hat: 23 Siehe: Die Jungfrau wird empfangen und einen Sohn gebären und sie werden ihm den Namen Immanuel geben, das heißt übersetzt: Gott mit uns.
Lk 1,26-38
30 Da sagte der Engel zu ihr: Fürchte dich nicht, Maria; denn du hast bei Gott Gnade gefunden. 31 Siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn wirst du gebären; dem sollst du den Namen Jesus geben. 32 Er wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden. Gott, der Herr, wird ihm den Thron seines Vaters David geben. 33 Er wird über das Haus Jakob in Ewigkeit herrschen und seine Herrschaft wird kein Ende haben. 34 Maria sagte zu dem Engel: Wie soll das geschehen, da ich keinen Mann erkenne? [2] 35 Der Engel antwortete ihr: Heiliger Geist wird über dich kommen und Kraft des Höchsten wird dich überschatten. Deshalb wird auch das Kind heilig und Sohn Gottes genannt werden. 36 Siehe, auch Elisabet, deine Verwandte, hat noch in ihrem Alter einen Sohn empfangen; obwohl sie als unfruchtbar gilt, ist sie schon im sechsten Monat. 37 Denn für Gott ist nichts unmöglich. 38 Da sagte Maria: Siehe, ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe, wie du es gesagt hast. Danach verließ sie der Engel.
Abschließend eine Betrachtung von Martin Brüske (erschienen 2006 in der Schweizer Kirchenzeitung):
Insofern kann man nun doch sagen, die O-Antiphonen dienen der unmittelbaren Vorbereitung der Feier von Weihnachten, aber so, dass sie das Licht des Kommens Gottes auf die Festfeier werfen, damit aber das Fest überhaupt erst feierbar machen, mehr aus ihm machen als eine blosse historisierende Gedenkfeier eines Ereignisses, das uns als solches jedes Jahr ferner rückt. Damit ist die Bedeutung der historischen Dimension der Festfeier von Weihnachten keineswegs abgewertet: Die eschatologische Radikalität des Kommens Gottes liegt ja gerade darin, dass Gott ins Fleisch realer raumzeitlicher Geschichte kommt, dass er Mensch wird. Aber das Licht des Kommens Gottes gibt dem historischen Ereignis erst seine wirkliche, in liturgischer Festfeier begehbare Bedeutung. Genau darin weisen die O-Antiphonen ein, indem sie die Zeiten verschränken. Sie treten ein in die anamnetisch vergegenwärtigte Verheissungsdynamik der Geschichte Gottes mit Israel, so wie sie sich in der ersttestamentlichen Namen- und Bilderwelt, die hier aufgerufen wird, spiegelt. Diese Verheissungsdynamik hat ihr eschatologisches, darin auch schon endgültiges und unüberbietbares Unterpfand in Jesus von Nazareth. Das aber wird in den O-Antiphonen nur umkreist, aber nicht direkt ausgesagt. Darin bleiben die O-Antiphonen offen, auch wenn sie verborgen (ero cras) auf das kommende Fest verweisen. Aber auch dieses ero cras ist ja nach vorne offen und geht nicht einfach im historisierenden Bezug auf die Geburt Jesu auf. Denn wenn wir den Rückbezug auf die Apokalypse hinsichtlich des Akrostichons als auch im Blick auf die Namenwelt ganz ernstnehmen, dann zeigen beide einen Verheissungsüberschuss, der sie über die Feier der Geburt Jesu hinaus öffnet auf das Offenbarwerden der endgültigen Zukunft Gottes. Mit einem Wort: Die O-Antiphonen bleiben in der Perspektive des zweifachen Advent. Sie situieren die Festfeier von Weihnachten dynamisch zwischen diesen beiden Polen.
Der komplette Artikel ist hier nachzulesen: https://www.liturgie.ch/liturgieportal/kirchenjahr/advent/164-o-antiphonen
Meine Betrachtung der letzten Antiphon in Videoform:
Hier kommen Sie zu den Lesungen des Tages: https://magstrauss.com/2021/12/23/23-dezember-2/
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