6. April: Betrachtung des Leidens I

Meine Lieben, heute beginnt das Triduum Sacrum, die heiligen drei Tage vor Ostern, in denen wir mit dem Herrn gemeinsam die Schlüsselereignisse unserer Erlösung nachempfinden – die Einsetzung der Eucharistie, die Todesangst im Ölberg, die Leiden und das Sterben des Herrn und die Grabesruhe, bevor sich mit der Osternacht das Blatt wendet und wir in die Freude der Auferstehung gehen. Aus dem Anlass möchte ich die nächsten drei Tage Betrachtungen mit Ihnen teilen, die ich für eine Radio Horeb Sendung zusammengestellt habe. Es geht um die Stationen des Leidens unseres Herrn aus medizinischer Sicht mit theologischem Einschlag.

I Blutschweiß

Lukas schreibt in seinem Evangelium, Jesu Schweiß war wie Blut. Ist das als Metapher zu verstehen, als poetische Beschreibung seiner Todesangst? Lukas war Arzt, ein ausgebildeter Mann, der genau wusste, was er da sagte. Er legte besonderen Wert auf medizinische Bemerkungen, mehr als die anderen Evangelisten. Wir müssen seine Worte also ernst nehmen und können sie medizinisch erklären: Das, was Jesus im Garten Getsemani am Westhang des Ölbergs erlebt hat und was wir als „Blutschweiß“ bezeichnen, nennt sich Hämathidrose, ein Phänomen, das erstmals in der Tierkunde des Aristoteles erwähnt wird. Im Grunde kann man sagen, dass dieses Phänomen das Spiegelbild des mentalen Leidens Jesu darstellt. Unter sehr großem emotionalem oder psychischem Stress werden im Menschen chemische Stoffe freigesetzt, die in den Schweißdrüsen des Menschen Kapillare platzen lassen, wodurch Blut mit Schweiß vermischt wird. In einigen medizinischen Berichten heißt es, dass dieser Platzvorgang durch einen extrem hohen Blutdruck hervorgerufen wird. In einem 1918 untersuchten Fall von Hämathidrose wurde der Blutschweiß eines Mädchens mikroskopisch untersucht und rote sowie weiße Blutkörperchen festgestellt. Es handelt sich also wirklich um Blut. Es gibt auch andere Fälle von Hämathidrose, die medizinisch dokumentiert werden. Z.B. gibt es einen besonders anschaulichen Bericht von J.H. Pooley aus dem Jahre 1884, der z.B. von Hämathidrose bei Häftlingen auf dem Weg zu ihrer Exekution berichtet. Allen medizinischen Berichten gemeinsam ist, dass ein extremer Angstzustand der Auslöser dieses Phänomens darstellt.

Wir erfahren in den Evangelien davon, dass Jesus Todesangst erlebt. Er sagt in der Markusversion: „Meine Seele ist zu Tode betrübt.“ (Mk 14,34) – ein Ausdruck aus Ps 43. Er bittet den Vater sogar darum, dass er ihm diesen Kelch nimmt, wenn es sein Wille ist. Jesus weiß um das Leiden und den Tod, die ihm bevorstehen. Deshalb ist er einem großen Stress ausgesetzt, der bei ihm Hämathidrose ausgelöst hat. Akute Angstzustände können eine intensive Angst vor dem Tod hervorrufen, begleitet von Bewusstseinsverlust, Herzklopfen, Schweißausbrüchen, Zittern, Erstickungsgefühl, Blässe, Schlaflosigkeit und Kurzatmigkeit. Diese akuten Anfälle werden in der Medizin als „Panikattacken“ bezeichnet. In diesem Zustand wird im Angstzentrum des Gehirns eine Reaktion ausgelöst, die wir „Kampf-oder-Flucht“-Reaktion nennen. Sie setzt den Menschen in volle Alarmbereitschaft, um den Körper vor Schaden zu schützen. Ein Bereich des Nervensystems wird aktiviert, der adrenalinähnliche Stoffe namens Katecholamine ausschüttet. Durch sie wird die Herzfrequenz des Menschen beschleunigt, die Blutgefäße verengt, um den Blutdruck zu erhöhen und das Blut zum Gehirn umzuleiten, die Wahrnehmung zu schärfen und viele weitere körperliche Symptome zu bewirken. So verstehen wir, warum Jesus Schweißausbrüche hatte und Hämathidrose durch den zwischenzeitlichen hohen Blutdruck entstand. Wir begreifen die Worte Jesu tiefer: „Vater, nimm diesen Kelch von mir.“ Jesu ganzer Organismus drängte ihn zur Flucht. Die Haut wird nach dem Ausbruch von Blutschweiß brüchig und empfindlich. Das wird auch auf die darauffolgende Geißelung Jesu Auswirkungen gehabt haben. Dazu kommt die immense Erschöpfung, die das psychische Leiden auf dem Ölberg bewirkt hat.

Warum musste es so weit kommen, dass Jesus ausgerechnet Blut geschwitzt hat?

Ephräm der Syrer hat diese Szene aus Lk 22 typologisch mit Adam, den ersten Menschen, in Beziehung gesetzt: „Sein Schweiß wurde wie Blutstropfen“, sagt der Evangelist. Er schwitzte, um Adam, der krank war, zu heilen. „Im Schweiße deines Angesichts“, sagte Gott, „wirst du dein Brot essen“. Er blieb im Gebet in diesem Garten, um Adam wieder in seinen eigenen Garten zurückzubringen.“ Jesus als der neue Adam. Diese Verbindung Jesu zum ersten Menschen können wir durch mehrere Details erkennen: Der Garten, die Versuchung, der Schweiß.

II Geißelung/Dornenkrönung

In einer schlichten Aussage sagt Johannes in seinem Evangelium, dass sie Jesus nahmen, um ihn zu geißeln. Was verbirgt sich hinter diesem einfachen Satz? Die Römer nannten diesen Vorgang flagellatio, ein Prozess, der mit einem Instrument namens flagrum durchgeführt worden ist. Auf den zu Geißelnden wurde mit dem flagrum, einer Art Peitsche mit harten Materialien am Ende, zum Beispiel aus Blei, auf den Körper des Menschen Schläge ausgeübt. Diese Prozedur verpasste dem Menschen nicht nur Wunden, sondern auch Quetschungen und einen immensen Blutverlust. Die Römer kannten keine Begrenzung von Hieben, doch gemäß dem mosaischen Gesetz (Dtn 25,2) wurden für Juden, die gegeißelt wurden, als Obergrenze 40 Hiebe festgelegt. Es wurden jedoch nur 39 Hiebe verteilt für den Fall, dass man sich verzählte. Die forensische Untersuchung des sogenannten Grabtuchs von Turin zeigt uns jedoch, dass im Falle Jesu über hundert Hiebe ausgeteilt worden sind. Pathologen haben die Spuren von typischen Schnitt- und Quetschwunden auf dem Tuch herausgestellt, insgesamt 196 an der Anzahl. Bei dem Geißelungsvorgang wurden oft Rippen gebrochen, was das Atmen erheblich erschwerte. Der immense Blutverlust sorgte dafür, dass der Gegeißelte einen hypovolämischen Schock erlitt – ein vierphasisches Syndrom, bei dem das Herz versucht, den Blutverlust zu kompensieren: Es beginnt mit einer Tachykardie, das heißt Herzrasen, gefolgt von einem starken Blutdruckabfall, Ohnmachtsanfällen, Nierenversagen und einem starken Durstgefühl. Die Untersuchung des Gesichts auf dem Grabtuch von Turin ergab zudem eine Verformung der Nase, die entweder als Nasenbruch oder als Verschiebung des Nasenknorpels durch einen Geißelhieb interpretiert wird.

Es heißt bei Johannes auch, dass die Soldaten mit Jesus ihren Spott getrieben und ihm dabei eine Dornenkrone aufgesetzt haben. Dabei muss uns bewusst sein, dass diese Dornen keineswegs unseren kleinen Dornen z.B. an Rosen, glichen. Botanische Experten vermuten, dass entweder Syrischer Christusdorn, auch Ziziphus spina Christi genannt, oder der Christusdorn, paliurus spina Christi, verwendet worden ist. Höchstwahrscheinlich ist Jesus eine Kappe aus Dornen aufgesetzt worden, wobei die genannten Gewächse sich für den Flechtvorgang am besten eigneten. Die Dornen dieser Kappe haben sich in den Kopf Jesu gebohrt, sogar durch den Schädel. Dieser Vorgang hat weiteren starken Blutverlust verursacht, denn der Kopf ist eines der am stärksten durchbluteten Körperteile des Menschen. Durch die Dornen wurde Druck auf die engen Nervenverbindungen des Kopfes ausgeübt, der episodenartige Nervenschmerzen verursachte, die mit Gesichtslähmung und Ticks einhergehen konnten. Gesichtsbewegungen, Luftzüge und leichte Berührungen konnten diese Episoden auslösen. Müdigkeit und Anspannung verstärkten diese Nervenschmerzen. Die Kappenform der Dornenkrone, die starke Blutung sowie die Einstichwunden der Dornen auf der Stirn sowie im Nackenbereich sind auf dem Grabtuch von Turin nachgewiesen worden.

Immer wieder betrachten die Kirchenväter Dornen als Versinnbildlichung der Sünden. Auch bei der Dornenkrone wird ein Bezug zu Adam hergestellt, denn Gott kündigt ihm an: „Dornen und Disteln lässt er dir wachsen und die Pflanzen des Feldes wirst du essen. (Gen 3,18)“ Jesus nimmt die Sünden der ganzen Welt auf sich, die Dornen der gefallenen Schöpfung.

Johannes berichtet uns davon, dass Pilatus ausruft: Ecce homo, seht, der Mensch. Benedikt XVI schreibt im zweiten Band seines Jesusbuchs: „In Jesus erscheint der Mensch überhaupt. In ihm erscheint die Not aller Geschlagenen, Zerschundenen. In seiner Not spiegelt sich die Unmenschlichkeit menschlicher Macht, die den Machtlosen so niedertritt.“ In diesen Worten des Pilatus spiegelt sich noch etwas: Der Mensch, der Adam, hier steht er. Christus ist gekommen, um die Sünde Adams auf sich zu nehmen, sie zu tragen auf seinem Haupt, nicht nur die Sünde Adams, sondern auch unsere Sünden.

Hier kommen Sie zur Auslegung des Gründonnerstags: https://magstrauss.com/2022/04/14/grundonnerstag-3/

Ihre Magstrauss

Ein Kommentar zu „6. April: Betrachtung des Leidens I

  1. Die grausamen Schmerzen Jesu bringen Sie, liebe Frau Dr. Strauss, hier ähnlich deutlich zum Ausdruck, wie ich das vor Jahren in Band XI „Die Passion“ in der 12-bändigen Reihe „Der Gottmensch“ von Maria Valtorta mit – selbst nur beim Lesen – kaum noch erträglicher Erschütterung wahrnahm. Eine solche Schilderung würde viele Leute gerade innerhalb der Liturgie des Karfreitag das Ausmaß des Leidens Jesu auch im Detail begreiflich machen.

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