7. April: Betrachtung des Leidens II

Heute an Karfreitag sind wir ganz beim leidenden und sterbenden Herrn, dem leidenden Gottesknecht, wie Jesaja in seinen vier Liedern besingt und die wir auch in der Liturgie des Tages hören. Wir hören auch die Passion nach dem Johannesevangelium. Heute möchte ich aus dem Grund mit Ihnen weitere Betrachtungen teilen, diesmal zum Kreuzweg und zur Kreuzigung:

III Kreuzweg

Jesus stand nun ein Weg von etwa 800 Metern bis nach Golgota bevor. Auch wenn viele literarische Quellen und künstlerische Darstellungen Jesus mit dem gesamten Kreuz zeigen, geht man aus historischer Sicht davon aus, dass er den Querbalken des Kreuzes auf beiden Schultern tragen musste, das sogenannte Patibulum, das bis zu 40 kg wog und an das er mit Stricken festgebunden wurde. Das gesamte Kreuz würde über 100 kg wiegen, ein Ding der Unmöglichkeit. Das Grabtuch von Turin zeigt, dass Jesus den Querbalken wahrscheinlich auf beiden Schultern getragen hat und nicht nur auf einer Schulter. Sicher ist dies allerdings nicht, da die Schulterwunden auf dem Grabtuch von Experten unterschiedlich interpretiert werden. Es kann also sein, dass Jesus den Querbalken auf einer Schulter getragen hat.
Zu jenem Zeitpunkt stellt sich bei Jesus eine Ansammlung von Wasser in der Lunge ein, die ihm das Atmen erschwert, ein Pleura-Erguss aufgrund der Schläge auf den Brustkorb der vorausgegangenen Geißelung. 800 Meter klingen nicht weit, doch unter den gegebenen Umständen muss es ein sehr beschwerlicher Gang gewesen sein. Dass Jesus mehrfach unter dem Kreuz fiel, wie wir beim Kreuzweg betrachten, ist nachvollziehbar. Auf dem Grabtuch von Turin ist Staub und Dreck im Kniebereich, auf den Fußflächen und im Gesicht entdeckt worden. Man hat es geologisch untersucht festgestellt: Es entspricht der Zusammensetzung des Bodens in Jerusalem bis heute. Jesus ist also nicht nur mit den Knien aufgeschlagen, sondern auch mit dem Gesicht, was verständlich ist, da er sich mit den festgebundenen Armen nicht abstützen konnte. Er lief zudem barfuß. Die Untersuchung des Grabtuchs zeigt auch, dass das rechte Knie gebrochen ist. Die biblischen Berichte weichen bei der Beschreibung des Kreuzwegs ein wenig voneinander ab. Wir müssen bedenken, dass es sich bei den Evangelien um Augenzeugenberichte handelt, subjektive Beobachtungen mit unterschiedlichen Details und Prioritätensetzungen. Deshalb wird Simon von Cyrene in einigen Beschreibungen nicht erwähnt oder der Zeitpunkt seiner Unterstützung unterschiedlich berichtet. Dass Jesus Hilfe benötigte und ein Passant dafür herangezogen wurde, ist plausibel, denn der exactor mortis, der hauptverantwortliche Soldat für die Vollstreckung des Urteils, hatte sicherzustellen, dass der crucarius, der Mensch, der gekreuzigt werden sollte, die Hinrichtungsstätte lebend erreichte. Simon von Cyrene ist zudem historisch belegt: In Jerusalem fand man ein Ossuarium, ein Gefäß zur Aufbewahrung der Gebeine eines Leichnams, mit der Aufschrift „Alexander von Cyrene, Sohn des Simon“. Dies deckt sich mit der Bemerkung in den Evangelien, dass Simon von Cyrene der Vater des Rufus und des Alexander sei, eine Formulierung, die zeigt, dass die beiden in der christlichen Gemeinde offensichtlich bekannt waren.
Warum fällt Jesus gemäß Kreuzweg dreimal unter dem Kreuz? Erzbischof Fulton Sheen schreibt dazu in seiner Kreuzwegbetrachtung: „Dreimal wurde unser Heiland versucht auf dem Berg, und dreimal fiel er auf dem Weg zum Kalvarienberg. So sühnte Er für unsere drei Versuchungen des Fleisches, der Welt und des Teufels.“ Ich lade Sie dazu ein, diesen Weg Jesu auf der Via Dolorosa ein wenig mehr zu betrachten, diesen Weg, der einem Spießrutenlauf gleichkommt, voller sensationslustiger Passanten und Pilger, die Jesus verspotteten und beschimpften.

IV Kreuzigung

Angekommen auf der Anhöhe, die Golgota heißt, zu Deutsch „Schädelhöhe“, reichten die Römer dem crucarius vor der Kreuzigung ein Wein-Myrrhe-Gemisch, das betäubende Wirkung hatte. Auf diese Weise verschafften sie den Hinzurichtenden ein wenig Erleichterung. Wir begreifen vor diesem Hintergrund, warum Jesus das Getränk nicht angenommen hat. Es heißt ja bei Mk: „Er aber nahm ihn nicht.“ Jesus war bereit, das Leiden voll zu durchleben, ohne sich selbst zu verschonen. In einer schlichten Formulierung heißt es bei Markus „und sie kreuzigten ihn“. Die ersten Christen wussten ziemlich genau, was sich hinter dieser Aussage verbarg. Ihnen musste man die Prozedur nicht im Einzelnen ausdeklinieren. Uns heutigen Menschen ist das nicht mehr so bewusst, deshalb einige Erklärungen: Angekommen bei der Hinrichtungsstätte wurde der Hinzurichtende mit den Händen ans Patibulum, an den Querbalken angenagelt. Der Hinzurichtende wurde am vertikalen Pfosten, der dauerhaft im Boden verankert war, hochgezogen, bevor seine Füße ebenfalls mit einem Nagel durchbohrt wurden. Diese Annagelung sorgte in Händen und Füßen für eine Quetschung des sogenannten nervus medianus, einem Hauptnerv in den Gliedmaßen.
Am Kreuz erleidet der Mensch episodenartige Erstickungsanfälle, denn er kann durch seine Armposition einatmen, jedoch nicht ausatmen. Hinzu kommt die bereits andauernde Atemnot durch das angesammelte Wasser in der Lunge, durch den Pleura-Erguss. Der zunehmende Kreislaufkollaps durch den hypovolämischen Schock, also wie vorhin erklärt der abrupte Volumenabfall durch den heftigen Blutverlust, sorgt dafür, dass sich das Blutplasma im Blut ablöst und im Herzbeutel des Menschen ansammelt. Es übt Druck auf das Herz aus, sodass es nicht mehr richtig schlagen kann. Dem Menschen fällt es zunehmend schwer, das dickflüssige Blut durch den Körper zu pumpen. Letztendlich stirbt ein Gekreuzigter entweder an Erstickung oder an einem Herzleiden, je nachdem, was schneller eintritt.
Der christliche Schriftsteller Origenes bringt eine typologische Betrachtung an: Jesus wird ausgerechnet auf dem Golgota gekreuzigt, der „Schädelhöhe“, die er vom Namen her mit dem Schädel Adams erklärt. Es heißt nämlich, dass das erste Menschenpaar genau an dieser Stelle beerdigt ist, wo Jesus gekreuzigt worden ist. Der Kreis schließt sich einmal mehr, auch in der Geste der Entkleidung Jesu. In der Schöpfungserzählung hören wir, dass nach dem Sündenfall die Menschen sich voreinander zu schämen beginnen und sehen, dass sie nackt sind. Von dort an tragen sie Kleidung. Die Begierde ist in den Menschen gekommen. Jesus wird seiner Kleider beraubt, um die Begierde des Menschen zu heilen.

Hier kommen Sie zur Auslegung des Karfreitags: https://magstrauss.com/2022/04/15/karfreitag-3/

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