Num 21,4-9; Ps 102,2-3.16-17.18-19.20-21; Joh 8,21-30
Num 21
4 Die Israeliten brachen vom Berg Hor auf und schlugen die Richtung zum Roten Meer ein, um Edom zu umgehen. Das Volk aber verlor auf dem Weg die Geduld,
5 es lehnte sich gegen Gott und gegen Mose auf und sagte: Warum habt ihr uns aus Ägypten heraufgeführt? Etwa damit wir in der Wüste sterben? Es gibt weder Brot noch Wasser und es ekelt uns vor dieser elenden Nahrung.
6 Da schickte der HERR Feuerschlangen unter das Volk. Sie bissen das Volk und viel Volk aus Israel starb.
7 Da kam das Volk zu Mose und sagte: Wir haben gesündigt, denn wir haben uns gegen den HERRN und gegen dich aufgelehnt. Bete zum HERRN, dass er uns von den Schlangen befreit! Da betete Mose für das Volk.
8 Der HERR sprach zu Mose: Mach dir eine Feuerschlange und häng sie an einer Stange auf! Jeder, der gebissen wird, wird am Leben bleiben, wenn er sie ansieht.
9 Mose machte also eine Schlange aus Kupfer und hängte sie an einer Stange auf. Wenn nun jemand von einer Schlange gebissen wurde und zu der Kupferschlange aufblickte, blieb er am Leben.
Heute hören wir von einem Zwischenfall des Volkes Israel zur Zeit der Wüstenwanderung. Anhand der Auswahl der Texte merken wir, wie wir zum Ende der Fastenzeit immer mehr auf das Mysterium des Kreuzes vorbereitet werden.
Die Israeliten sind unterwegs zum Roten Meer und umgehen dabei das Gebiet Edom. Gott führt es in der Wüste umher und so murrt das Volk Mose gegenüber: „Warum habt ihr uns aus Ägypten heraufgeführt? Etwa damit wir in der Wüste sterben? Es gibt weder Brot noch Wasser und es ekelt uns vor dieser elenden Nahrung.“ Was hier passiert, ist nicht einfach nur Unzufriedenheit. Das Volk hadert mit Gott, der ihm doch nur das Beste möchte, der den Israeliten das Heil schenken will. Doch stattdessen stellen sie die Güte Gottes infrage. Gott hat an ihnen bereits so große Heilstaten erwiesen und spektakuläre Zeichen gewirkt. Sie tun so, als wäre dies nie gewesen, als hätten sie all dies schon längst vergessen. Dieses Vergessen ist aber fatal, weil auch wir Menschen von heute dann undankbar gegenüber Gott werden. Die Erinnerung der Heilstaten Gottes ist also auch für uns heilsam. So sollen wir die Eucharistie zu seinem Gedächtnis tun, wie es Jesus seinen Aposteln im Abendmahlssaal aufgetragen hat. Auch im persönlichen Gebetsleben ist der dankende Lobpreis über vergangene Gnaden, die Gott einem geschenkt hat, unerlässlich. So bleibt der Mensch Gott gegenüber dankbar und erhebt sich nicht über ihn.
Gott möchte seinem auserwählten Volk die Chance geben, diese Fehlhaltung abzulegen, und so lässt er zu, dass die Israeliten von Schlangen gebissen werden. Viele sterben sogar an dem Schlangengift.
Hier heißt es in Vers 6, dass Gott diese Schlangen zum Volk schickte. Wir müssen hier wieder bedenken, dass Gott aktiv nichts Böses tut. Er ist der gute Gott und tut nur Gutes, was dem Menschen nicht schadet. Hier haben wir wieder eine Bibelstelle, die ein gutes Beispiel für die menschlichen Einflüsse in der Bibel darstellt. Gott hat sich zu allen Zeiten der menschlichen Fähigkeiten, kulturellen Verständnisse und dem historischen Kontext der Autoren bedient, als er durch sie das ewige Gotteswort in Menschenworte gefasst hat. Und so lesen wir hier die Vorstellung heraus, dass die bösen Dinge, die dem Menschen widerfahren, von Gott aktiv gewirkt werden. Zudem müssen wir uns mit einer moralischen Bewertung zurückhalten, denn was wir gut und böse nennen, entspricht womöglich nicht der Realität. Wir sehen ja nicht das ganze Bild. Hier wird bewusst so stehen gelassen, dass Gott aktiv etwas Böses tut, denn es ist ein Lernprozess der Menschheit. So ist es ja auch mit dem Monotheismus, dessen Entwicklungsstufen im Laufe des Alten Testaments ganz unterschiedlich sind und bewusst so stehen gelassen werden. So können wir den Verstehensprozess des Volkes Israel nachempfinden.
Zurück zu Mose, dem Volk und den Giftschlangen: Das Volk ist zwar stur und beginnt schnell zu murren, doch genauso schnell erkennt es die Missetaten. Es kommt zu Mose in der akuten Leidenssituation und bekennt die Sünde: „Wir haben gesündigt, denn wir haben uns gegen den HERRN und gegen dich aufgelehnt.“ Sie haben die Chance sofort genutzt, die Gott ihnen geschenkt hat. Sie erkennen sofort, was sie falsch gemacht haben, und bitten Gott um Verzeihung. Er zögert auch nicht, ihnen auf das Fürbittgebet des Mose hin sofort aus dem Leiden heraus zu helfen: Mose soll eine Kupferschlange herstellen und auf eine Stange aufhängen. Das Gebilde soll aufgestellt werden und wenn jemand von einer Schlange gebissen wird, soll er sie anschauen.
Es geschieht so, wie Gott es vorgegeben hat: Mose stellt die Schlange her und richtet sie auf. Wer nun gebissen wird, schaut die Schlange an und bleibt am Leben.
Gottes wunderbare Vorsehung hat immer einen tieferen Sinn. Wir erahnen vielleicht schon, worauf Gott sein auserwähltes Volk vorbereiten will: Mose soll ein Gebilde herstellen, das den schadenden Schlangen gleich ist, eben auch eine Schlange. Das Sehen auf dieses Bild rettet die Gebissenen, auch wenn die Schlangen immer noch da sind und beißen.
So ist Jesus für uns zur Sünde geworden – dem, was uns den Tod bringt (nämlich den ewigen Tod fernab von der Herrlichkeit Gottes). Er ist selbst zur Sünde geworden, indem er den schändlichsten Tod gestorben ist, nämlich ans Kreuz geschlagen. Die Sünde ist noch weiterhin in der Welt so wie die Schlangen beim Volk Israel, doch sie bringen dem Menschen keinen ewigen Tod mehr, wenn sie auf das Kreuz schauen – und so wie das Volk ihre Sünden bekennen!
Es ist natürlich auch kein Zufall, dass das Volk Israel ausgerechnet durch Schlangen heimgesucht werden und dass die Schlange zum Typos des Kreuzes Christi wird: Sie ist der Inbegriff der Sünde, da der Satan das erste Menschenpaar durch ausgerechnet dieses Tier zur Sünde verführt hat. Dadurch, dass Jesus Christus selbst zur Sünde geworden ist – die ganze Sünde auf sich genommen hat – hat er der Schlange den Kopf zertreten (Gen 3,15: „Er trifft dich am Kopf“). Gemeint ist natürlich nicht das Tier an sich, sondern den Satan, den Widersacher Gottes. Durch die Taufe hat er die Giftschlangen unseres Lebens entmachtet, sodass ihr Gift uns nicht mehr zum ewigen Tod führen kann. Es ist aber so wie in der Wüste zur Zeit des Mose: Die Kupferschlange ist da, Jesus ist für uns gestorben, aber das Heilmittel des Anschauens muss von uns ausgehen! Uns ist alles auf einem Silbertablett angerichtet. Nun müssen wir die Erlösung gläubig annehmen und durch den Bundesschluss der Taufe auch treu dazu stehen. Sonst werden die Schlangen uns auch weiterhin zum ewigen Tod führen.
Gott hat mit dem Volk Israel einen Bund geschlossen, doch nach einiger Zeit hat es diesen Bund wieder vergessen. Es hat Gottes Güte infrage gestellt und so schwer gegen ihn gesündigt. Das Volk musste die Konsequenzen dieser Sünde tragen und kam so in die Notlage durch die Giftschlangen. Das Volk hat sofort verstanden, warum das passiert. Auch in unserer heutigen Zeit müssen wir uns fragen, warum wir jetzt so eine globale Not erleiden müssen. Nutzen auch wir heutzutage diese Chance zur Umkehr und bekennen wir dem HERRN unsere Sünde! Dann wird er auch heute nicht zögern, uns aus der Not zu befreien.
Ps 102
2 HERR, höre mein Bittgebet! Mein Schreien dringe zu dir!
3 Verbirg dein Angesicht nicht vor mir! Wenn ich in Not bin, wende dein Ohr mir zu! Wenn ich dich rufe, eile und erhöre mich!
16 Dann fürchten die Völker den Namen des HERRN und alle Könige der Erde deine Herrlichkeit.
17 Denn der HERR hat Zion dann wieder aufgebaut, er ist erschienen in seiner Herrlichkeit.
18 Er hat sich dem Bittgebet der verlassenen Stadt zugewandt, ihre Bittgebete hat er nicht verschmäht.
19 Dies sei aufgeschrieben für das kommende Geschlecht, damit den HERRN lobe das Volk, das noch erschaffen wird.
20 Denn herabgeschaut hat der HERR aus heiliger Höhe, vom Himmel hat er auf die Erde geblickt,
21 um das Seufzen der Gefangenen zu hören, zu befreien, die dem Tod geweiht sind.
Wir beten heute aus dem Psalm 102 als Antwort auf die Lesung. Es handelt sich um ein Bittgebet in Notlage:
„Mein Schreien dringe zu dir!“ Ja, das Volk Israel hat sehr oft zum HERRN geschrien in der Sklaverei Ägyptens, später im babylonischen Exil, es hat immer wieder in den verschiedenen Fremdherrschaften geschrien und so schreit das Volk Israel auch jetzt in der Wüste bei den vielen Giftschlangen, die das Volk ausrotten.
„Wenn ich in Not bin, wende dein Ohr mir zu!“ Gott hat ein Gehör, kein Klageschrei seiner geliebten Kinder bleibt unerhört. Er greift immer ein – nur zu seiner Zeit und auf seine Weise. Eines können wir ganz sicher sagen: Es tut ihm immer weh, uns leiden zu sehen, denn Gott hat Mitleid mit uns Menschen. Ein anderes Wort für dieses Mitleid heißt Barmherzigkeit. Im Griechischen ist es ein und dasselbe Wort, wenn wir es im Neuen Testament lesen.
„Wenn ich dich rufe, eile und erhöre mich!“ Gott hat immer wieder geholfen. Die ganze Heilige Schrift ist ein einziges Zeugnis für Gottes Hilfe. Er hat ein ganzes Volk aus Ägypten ausziehen lassen, er hat dieses gesamte Volk durch ein Meer geführt. Er hat es vierzig Jahre am Leben erhalten, um es dann in das verheißene Land zu führen. Er hat es immer wieder von den Fremdherrschern und Feinden gerettet und sogar aus dem Exil wieder zurück in die Heimat geführt. Er hat die ultimative Rettungsaktion eingeleitet, als er seinen einzigen Sohn in die Welt gesandt hat, der allen Menschen gestern, heute und morgen die Erlösung erwirkt hat!
„Dann fürchten die Völker den Namen des HERRN und alle Könige der Erde deine Herrlichkeit.“ Durch die spektakulären Heilstaten Gottes zum Beispiel bei dem Auszug aus Ägypten haben die גֹויִם gojim, die heidnischen Völker, die Macht des Gottes der Israeliten anerkannt. Ein Beispiel für Könige sehen wir zur Zeit des Salomo, als die Königin von Saba sein Reich begutachtet. Spätestens mit der Geburt Jesu Christi wird sich dieses Schriftwort noch einmal deutlicher erfüllen, wenn die Repräsentanten der östlichen Könige vor dem neugeborenen Messias niederknien werden.
„Denn der HERR hat Zion wieder aufgebaut, er ist erschienen in seiner Herrlichkeit.“ Dies ist zunächst wörtlich auf die Situation der Israeliten zu beziehen. So ist der Wiederaufbau der Stadt Jerusalem nach dem babylonischen Exil zu nennen. Gottes Herrlichkeit wurde durch seine Gegenwart im Tempel wieder geschaut. Wir lesen es noch weiter, denn bei der Tempelreinigung sagt Jesus zu den Menschen: Reißt den Tempel nieder. Ich werde ihn in drei Tagen wieder aufbauen. Es geht nicht mehr um ein Gebäude, sondern um den Tempel seines Leibes. Er ist es. Mit diesem Leib, der dann sakramental weitergeführt die Kirche wird, ist das Reich Gottes ganz eng verbunden, das das neue Zion ist. Die sakramentale Antizipation dieses Reiches ist mit der Gemeinschaft der Gläubigen gegeben, die die Kirche auf Erden ist. In ihr sehen die Gläubigen die Herrlichkeit Gottes verborgen in der Eucharistie. Die Kirche nimmt die endzeitliche Durchsetzung des Gottesreiches vorweg, die mit der Rückkehr des verherrlichten Menschensohnes einsetzen wird. Dann werden es alle sehen, dass Gott die Herrlichkeit ist.
„Er hat sich dem Bittgebet der verlassenen Stadt zugewandt, ihre Bittgebete hat er nicht verschmäht.“ Auch hier bezieht es sich wörtlich-historisch auf Jerusalem, das durch die Babylonier zerstört worden ist, aber auch dieser Vers ist in seinem geistigen Sinn weiterzudenken: Die verlassene Stadt ist zurückverwiesen auf Mose und das Volk Israel auf das Wohlergehen des Volkes und dessen Bund mit Gott zu beziehen. Durch die Leidenssituation mit den Giftschlangen ist das Volk zur Besinnung gekommen und hat sich wieder mit Gott versöhnt. In dieser Hinsicht ist die verlassene Stadt wieder zurückgekehrt. Wir müssen es vor allem auf Jesus Christus beziehen, der durch sein Erlösungswirken das Paradies wieder ermöglicht hat. Es war wie eine verlassene Stadt, aus der die Menschheit verbannt wurde. Diese lebte bis zur Erlösung im Exil, doch nun können die Menschen die Stadt wieder beziehen. Es gilt für jeden von uns auf moralischer Ebene: In jedem getauften Christen hat Gott Wohnung bezogen. Unsere Seele wird zum inneren Zion, in dem die Herrlichkeit Gottes wohnt. Das nennen wir moralisch auch den Stand der Gnade. Mit jeder Sünde verbannen wir uns selbst aus diesem Zustand und so wird die Seele zu einer verlassenen Stadt. Dies geschieht nicht sofort mit jeder lässlichen Sünde, sondern natürlich erst mit der Todsünde, doch auch die kleinen Beleidigungen und Lieblosigkeiten gegenüber Gott und dem Nächsten lassen die Stadtmauer immer mehr zerfallen und angreifbar werden. Dann ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis alles in sich zusammenfällt und der Feind uns aus der Stadt hinausjagt.
Am Ende der Zeiten werden wir voller Dankbarkeit in der Anschauung Gottes sagen: „Er hat sich unserem Bittgebet zugewandt und uns aus dem Exil des sündhaften und untergehenden irdischen Daseins herausgeholt und in die verlassene Stadt gebracht, die wir nun beziehen dürfen – das himmlische Jerusalem, das der Himmel ist.
„Dies sei aufgeschrieben für das kommende Geschlecht“ – der Psalm gibt selbst preis, dass die Worte nicht nur historisch-wörtlich zu verstehen sind und nur für eine bestimmte Generation gelten. Es bestätigt, was wir zum vorherigen Vers bedacht haben.
„Das Volk, das noch erschaffen wird“, wird Gott loben. Das sind wir, die wir im Neuen Bund mit Gott leben. Wir gehören schon zu der neuen Schöpfung, die Jesus begründet hat. Wir werden am Ende der Zeiten aber noch vollendet, wenn wir mit Leib und Seele bei Gott sein werden.
Gott hat aus der Höhe herabgeschaut – so hat er die Israeliten von den Giftschlangen gerettet, er hat das Volk Israel aus dem babylonischen Exil gerettet, er hat die ganze Menschheit vor der Verderbnis der Erbsünde gerettet, indem er seinen Sohn dahingegeben hat. Er rettet uns aus der Verderbnis durch die Taufe, aber auch immer wieder durch das Sakrament der Buße. Er wird uns am Ende aus den Wirren dieser Welt retten, wenn wir sterben und vor ihm stehen, aber auch am Ende der Zeiten, wenn er in die Weltgeschichte eingreifen wird, um einen neuen Himmel und eine neue Erde zu schaffen.
Die Gefangenen, die dem Tod geweiht sind, betrifft einerseits die Gebissenen in der heutigen Lesung, andererseits die ganze Menschheit, die nicht mehr ins Paradies durfte wegen der Sünde des ersten Menschenpaares, es betrifft die Gerechten des Alten Testaments, die bis zur Erlösung Jesu Christi auf die Anschauung Gottes warten mussten, was wir die „Vorhölle“ nennen. Es betrifft auch uns, die wir gefangen sind in unserer eigenen Sünde, die uns dem Tod weiht (nämlich dem seelischen Tod ganz von Gott abgeschnitten!).
Der heutige Psalm ist so reich und so tief in seiner Bedeutung. Was wir über die Buchstaben hinaus erkennen, reicht ganz weit zurück bis in den Garten Eden und ganz weit voraus bis zum Leben in der ewigen Glückseligkeit des Himmelreiches!
Joh 8
21 Ein andermal sagte Jesus zu ihnen: Ich gehe fort und ihr werdet mich suchen und ihr werdet in eurer Sünde sterben. Wohin ich gehe, dorthin könnt ihr nicht gelangen.
22 Da sagten die Juden: Will er sich etwa umbringen? Warum sagt er sonst: Wohin ich gehe, dorthin könnt ihr nicht gelangen?
23 Er sagte zu ihnen: Ihr stammt von unten, ich stamme von oben; ihr seid aus dieser Welt, ich bin nicht aus dieser Welt.
24 Ich habe euch gesagt: Ihr werdet in euren Sünden sterben; denn wenn ihr nicht glaubt, dass ich es bin, werdet ihr in euren Sünden sterben.
25 Da fragten sie ihn: Wer bist du denn? Jesus antwortete: Warum rede ich überhaupt noch mit euch?
26 Ich hätte noch viel über euch zu sagen und viel zu richten, aber er, der mich gesandt hat, ist wahrhaftig, und was ich von ihm gehört habe, das sage ich der Welt.
27 Sie verstanden nicht, dass er damit den Vater meinte.
28 Da sagte Jesus zu ihnen: Wenn ihr den Menschensohn erhöht habt, dann werdet ihr erkennen, dass Ich es bin. Ihr werdet erkennen, dass ich nichts von mir aus tue, sondern nur das sage, was mich der Vater gelehrt hat.
29 Und er, der mich gesandt hat, ist bei mir; er hat mich nicht alleingelassen, weil ich immer das tue, was ihm gefällt.
30 Als Jesus das sagte, kamen viele zum Glauben an ihn.
Der heutige Abschnitt aus dem Evangelium steht im Kontext verschiedener Streitgespräche, die Jesus mit den Juden in Jerusalem führt. Der Ort des Geschehens ist die Stadt, die so eine tiefe Bedeutung hat: Sie war verlassen während des Exils, sie ist es, wo das davidische Königreich sich etablierte, die Stadt, in der die Herrlichkeit Gottes im Tempel wohnhaft geworden ist, die Stadt, in der die Erlösung erwirkt werden sollte. Schließlich wird sich hier der Kreis schließen, der mit der Kupferschlange aus der Lesung begonnen worden ist:
Jesus kündigt den Menschen an: „Ich gehe fort und ihr werdet mich suchen und ihr werdet in eurer Sünde sterben.“ Er sagt es nicht, weil er die Juden verwirft. Er möchte sie wachrütteln, damit sie umkehren. Wenn sie ihn nämlich weiterhin so ablehnen, wird eintreffen, was er hier sagt. Wer die Erlösung und somit die Vergebung Gottes nicht annimmt, wird in den eigenen Sünden ertrinken. Dann wird die Konsequenz dieser Ablehnung die ewige Abgeschnittenheit von Gott sein, was wir Hölle nennen.
„Wohin ich gehe, dorthin könnt ihr nicht gelangen.“ Die anwesenden Juden verstehen überhaupt nicht, was Jesus ihnen erklärt. Er meint, dass er sterben und dann zum Vater heimkehren werde ins Himmelreich. Und wenn sie ihn bis zum Schluss ablehnen werden, dann können sie ihm dorthin nicht folgen. Er sagt ihnen also, dass er der Weg zum Vater ist! Stattdessen interpretieren sie Jesu Worte als Suizidgedanken.
Jesus erklärt die Banalität ihrer Gedankengänge damit, dass sie von unten sind, er aber von oben. Das meint zunächst einmal die Natur: Er ist vom Vater, er ist zuerst Gott, der er schon immer war, bevor er Mensch geworden ist. Diese göttliche Herkunft macht ihn gegenüber der Menschen kategorisch anders. Sie sind von Anfang an Menschen und nur Menschen. Wir könnten jetzt einwenden, dass wir Menschen ja eine ewige Seele haben und dadurch ja auch ein wenig „von oben“ sind. Ja, aber die gefallene Natur des Menschen, die noch nicht erlöst ist, ist noch sehr viel „unten.“ Sie hat die Gnade verloren und die Denkweise ist dem „unteren“ sehr verhaftet. Es ist also auch heilsgeschichtlich zu deuten: Jesus ist „von oben“, weil er voll der Gnade ist. Die Menschheit ist „von unten“, weil sie die ganze Gnade verloren hat.
„Ihr seid aus dieser Welt, ich bin nicht aus dieser Welt“ – muss in demselben Sinne verstanden werden. Einerseits betrifft es die Natur, andererseits das Maß an Gnade, schließlich auch die Denkweise, die sich daraus ergibt. Jesus denkt göttlich, er denkt vom Willen Gottes her, der er ja ist. Die Menschen denken weltlich, sie denken nicht von dem aus, was Gott will, sondern was die Menschen wollen. Letztendlich wissen wir ja, dass dieses aber vom Satan kommt (denn Jesus hat diesen von Petrus weggejagt, der ihm gegenüber forderte, „was die Menschen wollen“. Mt 16).
Jesus hat viel Geduld mit den hartherzigen Juden. Er erklärt noch genauer, was er mit dem Appell meint. Er rüttelt sie mit Nachdruck auf: „Denn wenn ihr nicht glaubt, dass ich es bin, werdet ihr in euren Sünden sterben.“ – Er erläutert, dass es mit dem Glauben an ihn zusammenhängt, ob die Menschen das ewige Leben haben oder nicht. Dieser Glaube an ihn ist der Glaube an die Messianität Jesu, die sie ja die ganze Zeit nicht erkennen. Deshalb echauffieren sie sich ja über seine Heilstaten, statt sie auf die Verheißungen des Alten Testaments zu beziehen.
Sie fragen ihn immer noch ahnungslos oder vielleicht bewusst gestellt ahnungslos (?), wer er denn sei, so als ob sie ihn dazu bringen wollen, die „Gotteslästerung“ aus dem eigenen Mund auszusprechen. Jesus lässt sich von dieser Provokation überhaupt nicht beeindrucken, sondern sagt vielmehr zu sich selbst: „Warum rede ich überhaupt noch mit euch? Ich hätte noch viel über euch zu sagen, aber …was ich von ihm gehört habe, das sage ich der Welt.“ Jesus tut alles in vollem Gehorsam und in Einheit mit dem Vater. Die Juden verstehen das aber gar nicht.
Und dann sagt Jesus etwas, das die frommen und schriftkundigen Juden eigentlich mit dem Buch Numeri in Verbindung bringen sollten, so wie wir bei folgenden Worten einen Aha-Effekt haben:
„Wenn ihr den Menschensohn erhöht habt, dann werdet ihr erkennen, das Ich es bin.“ Der Menschensohn ist er selbst. Er ist der Sohn des Menschen, zu Hebräisch Adam. Er ist der Nachkomme Adams und so ebenfalls der erste Mensch, nun aber der neuen Schöpfung. Und so wie die Schlange in der Wüste werden die Menschen ihn erhöhen – am Kreuz auf Golgota. Und dann werden sie erkennen, dass Er es ist – dass er der Messias ist, den die Propheten schon so lange angekündigt haben! Doch es werden nicht die Juden sein, die dies zuerst bekennen werden, sondern der Hauptmann beim Kreuz, der dann sagen wird: „Wahrlich, dieser war Gottes Sohn.“
Noch ein Detail: „…dass Ich es bin“ ist groß geschrieben. Das ist ein so lautes Signal, dass die frommen Juden es eigentlich verstehen müssten: Dort am Golgota erhöht hängt der „ICH BIN“ der Jahwe. Jesus ist Gott.
Jesus sagt auch „er hat mich nicht alleingelassen, weil ich immer das tue, was ihm gefällt.“ Ja, der Vater hat ihn auch in der dunkelsten Stunde am Kreuz nicht alleingelassen, auch wenn Jesus als Teil des Leidens und der Versuchungen die absolute Gottverlassenheit verspüren musste. Er hat weiterhin mit seinem Vater Kontakt gehalten, indem er zu ihm gebetet hat „Eli, Eli, lema sabachtani“, das im Laufe des Ps 22 in einen Lobpreis umschwingt. Der Vater hat den Sohn nie allein gelassen und ihn am dritten Tag von den Toten auferweckt! Gott lässt auch uns nie allein, selbst in der dunkelsten Stunde nicht. Wenn wir uns ganz an ihn klammern und uns selbst nicht von ihm entfernen, ist er immer da. Wenn wir ihn dagegen von uns wegschieben, dann schätzt er unseren freien Willen, auch wenn es ihn sehr schmerzt. Und doch geht er uns dann nach und ruft uns, wirbt um uns, tut alles, damit wir unsere Meinung noch ändern, bevor es zu spät ist.
Es ist sehr bemerkenswert, was wir am Ende lesen: Viele Menschen kommen bei diesen Worten Jesu zum Glauben an ihn. Es gibt also durchaus Menschen, bei denen es zu einem Aha-Effekt gekommen ist. Sie verstehen, dass Jesus die Verheißungen der Propheten erfüllt, dass er der Messias ist.
Auch wenn Jesus immer wieder angefeindet wird, bringen seine Worte vor seinem Tod schon reiche Frucht. Sein Tod und seine Auferstehung werden dagegen dann aber ein regelrechter Weinberg voller Früchte sein.
Was Jesus den Juden heute sagt, gilt auch uns: Fühlen auch wir uns angesprochen durch seine Worte! Glauben wir an ihn und leben wir entsprechend, damit wir nicht in unseren Sünden sterben. Das meint nicht nur den biologischen Tod auf moralischer Ebene (dass wir im Zustand der Todsünde sterben), das meint vor allem den seelischen Tod der Hölle nach unserem biologischen Tod! Mit den Bildern des Psalms könnten wir sagen, dann sterben wir im Exil und bleiben auf ewig in diesem Exil außerhalb des Himmels. Nur Jesus ist es, der uns aus dem Exil ins verheißene Land zurückführen kann, das das Himmelreich ist. Nutzen auch wir die Zeit der Gnade und kehren wir um von unserem sündigen Leben. Dieser Umkehr bedarf jeder Mensch, denn tagtäglich beleidigen wir den Herrn durch größere und kleinere Dinge. Und auch die kleinen Dinge können auf Dauer die Mauer zum Einreißen bringen…nehmen wir auch die kleinen Dinge ernst und vertrauen wir uns bei allem immer der Barmherzigkeit Gottes an, mit der er uns umarmen will!
Ihre Magstrauss