Ez 12,1-12; Ps 78,56-57.58-59.61-62; Mt 18,21 – 19,1
Ez 12
1 Das Wort des HERRN erging an mich:
2 Menschensohn, du wohnst mitten im Haus der Widerspenstigkeit, das Augen hat, um zu sehen, doch sie sehen nicht, das Ohren hat, um zu hören, doch sie hören nicht; denn sie sind ein Haus der Widerspenstigkeit.
3 Doch du, Menschensohn, pack dir Gepäck für die Verbannung und geh bei Tag vor ihren Augen weg, als ob du vor ihren Augen von deinem Wohnsitz in die Verbannung gehen würdest. Vielleicht sehen sie es; denn sie sind ein Haus der Widerspenstigkeit.
4 Trag dein Gepäck wie Gepäck für die Verbannung bei Tag vor ihren Augen hinaus! Du aber geh am Abend vor ihren Augen hinaus wie die Leute, die in die Verbannung ziehen!
5 Brich dir vor ihren Augen ein Loch in die Mauer und schaffe das Gepäck durch sie hinaus!
6 Vor ihren Augen nimm es auf die Schulter! Schaffe es in der Dunkelheit hinaus! Verhülle dein Gesicht, damit du das Land nicht siehst! Fürwahr: Zum Mahnzeichen mache ich dich für das Haus Israel.
7 Ich tat so, wie mir befohlen wurde. Bei Tag trug ich mein Gepäck wie Gepäck für die Verbannung hinaus. Am Abend brach ich mit der Hand ein Loch durch die Mauer; in der Dunkelheit schaffte ich es hinaus. Dann nahm ich es vor ihren Augen auf die Schulter.
8 Da erging das Wort des HERRN an mich am nächsten Morgen:
9 Menschensohn, hat nicht das Haus Israel, das Haus der Widerspenstigkeit, zu dir gesagt: Was machst du da?
10 Sag zu ihnen: So spricht GOTT, der Herr: Der Fürst, der in Jerusalem wohnt, ist diese Last und das ganze Haus Israel, das darinnen wohnt.
11 Sag: Ich bin ein Mahnzeichen für euch. Wie ich getan habe, so wird ihnen getan; in die Verbannung, in die Gefangenschaft werden sie ziehen.
12 Und der Fürst, der in ihrer Mitte ist, wird in der Dunkelheit die Schulter beladen und hinausgehen. In die Mauer wird man ein Loch brechen, um ihn durch sie hinauszuschaffen. Er wird sein Gesicht verhüllen, um mit seinen Augen das Land nicht zu sehen.
Im heutigen Abschnitt aus dem Buch Ezechiel trägt Gott dem Propheten auf, eine prophetische Zeichenhandlung vorzunehmen. Gott lässt nicht locker, bis das „Haus der Widerspenstigkeit“ endlich zur Einsicht kommt. Wie bereits die letzten Tage mehrfach gesagt, ist Gottes leidenschaftliche Liebe für sein Volk so groß, dass er alles versucht, um es umzustimmen.
Israel ist widerspenstig, denn es ist stur. Es hat Ohren und Augen, doch hört und sieht nicht. Jesus wird diese Redewendung ebenfalls aufgreifen, um die Verstocktheit des Volkes in seiner Generation zu beschreiben.
Ezechiel, den Gott immer wieder als Menschensohn anspricht, soll seine Sachen packen und vor den Augen der Israeliten mit seinem ganzen Besitz so tun, als ob er in die Verbannung gehen würde. Sie sollen sehen, wie er am Tag sein ganzes Gepäck hinausträgt und bei Nacht sein Gesicht verhüllt und ohne einen letzten Blick zurück durch ein selbstgemachtes Loch in der Mauer hindurchklettert. Er setzt es genauso um. Am nächsten Morgen beauftragt Gott Ezechiel damit, den verwirrten Israeliten die Zeichenhandlung mit folgender Botschaft zu erklären: „Ich bin ein Mahnzeichen für euch. Wie ich getan habe, so wird ihnen getan; in die Verbannung, in die Gefangenschaft werden sie ziehen.“ Er soll ihnen sogar sagen, dass ihr Fürst verhüllten Hauptes mit Gepäck auf der Schulter durch ein Loch in der Mauer hindurch geschafft wird. Dabei geht es um Zidkija, dem letzten König des Südreiches.
Gott möchte alles unternehmen, um sein Volk zu warnen, es vor dem Untergang zu retten und es zur Umkehr zu bewegen. Er greift dabei ganz feinfühlig zu pädagogischen Maßnahmen, damit seine Botschaft wirklich von allen verstanden werden kann. Deshalb lässt er den Propheten auch ein symbolisches Handeln vollziehen. Jesus selbst wird dies auch immer wieder machen, um seine Botschaft zu unterstreichen. Oft wird das aber nicht verstanden, heutzutage schon gar nicht. Dann wird Jesu vermeintlicher Ausbruch im Tempel als Legitimation für Wutausbrüche und Gewaltanwendung herangezogen, obwohl er dies als prophetische Zeichenhandlung getan hat.
Wenn Gott so weit geht, einen Propheten all diese Dinge tun zu lassen, muss seine Botschaft besonders wichtig sein. Doch die Israeliten lassen sich davon nicht berühren. Es wird dennoch zu dem Exil kommen, sie haben Ohren und hören nicht, sie haben Augen und sehen nicht.
Ps 78
56 Doch sie versuchten ihn und trotzten Gott, dem Höchsten; sie hielten sich nicht an seine Zeugnisse.
57 Wie ihre Väter fielen sie treulos von ihm ab, sie wandten sich ab wie ein Bogen, der versagt.
58 Sie erbitterten ihn mit ihrem Kult auf den Höhen und reizten seine Eifersucht mit den Bildern ihrer Götter.
59 Gott hörte es und er ergrimmte, ganz und gar verwarf er Israel.
61 Er gab seine Macht in Gefangenschaft, seine Zierde in die Hand des Feindes.
62 Er lieferte sein Volk dem Schwert aus und war voll Grimm über sein Eigentum.
Als Antwort auf die Lesung beten wir Psalm 78, eine Unterweisung in Form eines geschichtlichen Überblicks. Dabei fasst er die Geschichte vom Auszug aus Ägypten bis zur Machtergreifung König Davids zusammen. Diese Rückschau zeigt uns den Grund für das Unheil, das nun über Israel kommt: die Undankbarkeit und der daraus resultierende Götzendienst.
„Doch sie [die Israeliten] versuchten ihn und trotzten Gott, dem Höchsten; sie hielten sich nicht an seine Zeugnisse.“ Wie sehr oft in der Einheitsübersetzung wird das hebräische Wort עדה edah mit „Zeugnis“ übersetzt, wo eigentlich die Übersetzungsmöglichkeit „Gebot“ besser passen würde. Das Volk hielt sich also nicht an Gottes Gebote. Das Halten der Gebote ist aber die Art und Weise des Volkes, das Bundesverhältnis zu Gott zu leben. Deshalb heißt es in Vers 57 auch, dass sie treulos von ihm abgefallen sind. Das Bild des versagenden Bogens ist den Israeliten aus dem militärischen Kontext bekannt. Mit so einer nicht funktionierenden Waffe kann man nichts mehr anfangen. Gott hat so große Wunder in Ägypten gewirkt, er hat sogar durch Mose das Meer gespalten, damit sein Volk gerettet werde. Er hat sogar noch so viel Geduld gehabt und nach der Anbetung des goldenen Kalbs nicht gleich alles dem Erdboden gleich gemacht. Und doch sind die Israeliten nach all diesen Heilstaten undankbar und vergesslich geworden. Sie haben das verheißene Land geschenkt bekommen und es zu einer Räuberhöhle des Götzendienstes gewandelt. Das hat Gott, der ihr Bräutigam ist, sehr erbittert. Sie haben ihn mit den Kulthöhen und Götzenbildern provoziert, der ganz eifersüchtig ihre ganze Liebe für sich wollte. Dabei haben sie ihm am Sinai die ganze Liebe versprochen. Deshalb hat Gott seine untreue Braut verworfen. Die feindlichen Mächte, Fremdherrschaften und militärischen Niederlagen sind Ausdruck dieser Distanzierung Gottes von Israel. Es ist die Konsequenz des Ehebruchs. Gott ließ im Laufe der Heilsgeschichte immer wieder zu, dass Israel verwundet wurde, nicht weil er ein grausamer Sadist ist, sondern weil er Israels freie Entscheidung akzeptieren musste.
Aber das heißt nicht, dass Gott es dabei belässt. Israel kommt immer wieder zur Besinnung und kehrt um. Er schenkt immer wieder Heil und eine neue Chance. So ist Gottes Liebe und Geduld. Immer und immer wieder vergibt er seiner untreuen Braut, obwohl er weiß, dass sie zukünftig wieder abfallen wird. Seine Vergebungsbereitschaft ist unendlich groß.
Mt 18-19
21 Da trat Petrus zu ihm und fragte: Herr, wie oft muss ich meinem Bruder vergeben, wenn er gegen mich sündigt? Bis zu siebenmal?
22 Jesus sagte zu ihm: Ich sage dir nicht: Bis zu siebenmal, sondern bis zu siebzigmal siebenmal.
23 Mit dem Himmelreich ist es deshalb wie mit einem König, der beschloss, von seinen Knechten Rechenschaft zu verlangen.
24 Als er nun mit der Abrechnung begann, brachte man einen zu ihm, der ihm zehntausend Talente schuldig war.
25 Weil er aber das Geld nicht zurückzahlen konnte, befahl der Herr, ihn mit Frau und Kindern und allem, was er besaß, zu verkaufen und so die Schuld zu begleichen.
26 Da fiel der Knecht vor ihm auf die Knie und bat: Hab Geduld mit mir! Ich werde dir alles zurückzahlen.
27 Der Herr des Knechtes hatte Mitleid, ließ ihn gehen und schenkte ihm die Schuld.
28 Als nun der Knecht hinausging, traf er einen Mitknecht, der ihm hundert Denare schuldig war. Er packte ihn, würgte ihn und sagte: Bezahl, was du schuldig bist!
29 Da fiel der Mitknecht vor ihm nieder und flehte: Hab Geduld mit mir! Ich werde es dir zurückzahlen.
30 Er aber wollte nicht, sondern ging weg und ließ ihn ins Gefängnis werfen, bis er die Schuld bezahlt habe.
31 Als die Mitknechte das sahen, waren sie sehr betrübt; sie gingen zu ihrem Herrn und berichteten ihm alles, was geschehen war.
32 Da ließ ihn sein Herr rufen und sagte zu ihm: Du elender Knecht! Deine ganze Schuld habe ich dir erlassen, weil du mich angefleht hast. 33 Hättest nicht auch du mit deinem Mitknecht Erbarmen haben müssen, so wie ich mit dir Erbarmen hatte?
34 Und in seinem Zorn übergab ihn der Herr den Peinigern, bis er die ganze Schuld bezahlt habe.
35 Ebenso wird mein himmlischer Vater euch behandeln, wenn nicht jeder seinem Bruder von Herzen vergibt.
1 Und es geschah, als Jesus diese Reden beendet hatte, verließ er Galiläa und zog in das Gebiet von Judäa jenseits des Jordan.
Auch im Evangelium geht es um Vergebung, nun nicht mehr um die Vergebung Gottes, sondern zwischen Menschen. Petrus fragt Jesus, wie oft man am Tag seinem Nächsten vergeben soll. Dabei schlägt er die Zahl der Vollkommenheit und Fülle vor – sieben. Das ist eigentlich schon die Zahl des Maximums, aber Jesus toppt sie. Er sagt, dass wir nicht siebenmal, sondern „siebzigmal siebenmal“ vergeben sollen. Er antwortet so, damit Petrus und wir zusammen mit ihm begreifen, dass wir immer und jedem vergeben sollen, von ganzem Herzen.
Er erklärt auch, warum das so sein soll, indem er das Gleichnis vom König und den Sklaven anführt: Der König erlässt einem Sklaven eine große Schuld, weil er ihn so flehentlich darum bittet.
Der König hat Mitleid, das griechische Wort ist dasselbe, das auch mit „Erbarmen“ übersetzt werden kann. Wenn Gott barmherzig ist, hat er Mitleid mit seinen Geschöpfen. Das ist wirklich sehr überwältigend. Gott hat Mitleid mit Menschen, die wegen ihrer eigenen Schuld leiden müssen. Und so erlässt er ihnen sogar die Schuld, obwohl sie es rein rechnerisch verdient haben. So groß ist Gottes Liebe!
Der Plottwist kommt aber noch. Vom Sklaven, dem so viel erlassen worden ist, erwarten wir nun ein verändertes Verhalten. Stattdessen sieht man Garnichts von der Barmherzigkeit des Königs in seinem Verhalten: Er bedroht und bedrängt einen Mitsklaven, der ihm etwas schuldet. Dabei ist diese Schuld viel geringer als die, die ihm vom König gerade erst erlassen worden ist. Wir hätten erwartet, dass wenn dem ersten Sklaven so viel erlassen worden ist, er „zur Feier des Tages“ dem Mitsklaven dessen Schuld ebenfalls erlässt. Stattdessen ist er besonders herzlos zu ihm, obwohl dieser so wie er zuvor beim König vor ihm niederfällt und ihn anbettelt.
Sein unbarmherziges Verhalten dringt bis zum König vor und dieser wird zornig mit ihm. Nun muss er die ganze Schuld mit seinem Leben zurückzahlen, denn der König übergibt ihn den Peinigern. Der König ist deshalb so streng mit ihm, weil er ihm zuvor so eine Gunst erwiesen hatte, die Barmherzigkeit in seinem Leben jedoch keine Spuren hinterlassen hat. Er lebte einfach so weiter, als wäre dieser Schuldenerlass nicht gewesen. Statt sich eine Scheibe davon abzuschneiden und selbst barmherzig zu werden, blieb er herzlos.
Durch die Taufe ist auch uns die Schuld komplett erlassen worden. Was machen wir aus dieser überragenden Barmherzigkeit, die Gott an uns getan hat? Sind wir barmherzig wie der Vater im Himmel? Immer wieder vergibt er uns die Schuld in der Beichte. Gehen wir verändert ins Leben zurück und vergeben auch unseren Schuldigern? Beten wir das Vaterunser überhaupt aufrichtig, weil wir das tun? Gott wird auch von uns Rechenschaft ablegen, wenn wir unbarmherzig mit den Mitmenschen umgegangen sind. Dem Schuldiger zu vergeben, bedeutet nicht, seine Schuld gutzuheißen. Wir übergeben die Missetaten einfach Gott, der der Richter sein soll. Wir sollen uns von allem Groll, Zorn, von aller Bitterkeit lösen, die uns sonst vergiftet und krank macht. Wir sind es nicht wert, an den Untaten der Mitmenschen zugrunde zu gehen.
Vergeben wir also von ganzem Herzen, auch wenn es nur innerlich geht. Wir müssen nicht zu besten Freunden mit dem Mitmenschen werden, aber haben auch wir Mitleid mit denen, die jetzt wegen ihrer Schuld an uns leiden müssen! Denken wir nicht „das geschieht ihm recht“, sondern haben wir ein Herz. Gott nimmt uns ja auch an und hat Mitleid, wenn wir die Konsequenzen unserer Sünde tragen müssen.
Wenn wir also wollen, dass Gott unser Gebet erhört, die Bittgebete der Psalmen, unsere eigenen Fürbittgebete, dann müssen wir uns auch mit allen Menschen versöhnen. Das sagt Jesus uns heute im Evangelium. Gott verleiht uns stets die Gnade, dass wir die Kraft dazu haben, einander zu vergeben. Nutzen wir sie und söhnen wir uns mit allen Menschen ohne Wenn und Aber aus! Gehen wir dann hinein in die Beichte und bitten wir Gott um Verzeihung für unsere Sünden. Dann wird er uns überschütten mit seiner barmherzigen Liebe. Dann wird er uns überreich segnen mit seinen Gaben. Dann werden wir zu glücklichen Menschen.
Ihre Magstrauss