6. Sonntag im Jahreskreis

Sir 15,15-20 (16-21); Ps 119,1-2.4-5.17-18.33-34; 1 Kor 2,6-10; Mt 5,17-37

Sir 15
15 Wenn du willst, wirst du die Gebote bewahren und die Treue, um wohlgefällig zu handeln. 
16 Er hat dir Feuer und Wasser vorgelegt, was immer du erstrebst, danach wirst du deine Hand ausstrecken. 
17 Vor den Menschen liegen Leben und Tod, was immer ihm gefällt, wird ihm gegeben.
18 Denn groß ist die Weisheit des Herrn, stark an Kraft ist er und sieht alles.
19 Seine Augen sind auf denen, die ihn fürchten, und er kennt jede Tat des Menschen. 
20 Keinem befahl er, gottlos zu sein, und er erlaubte keinem zu sündigen.

Die heutige erste Lesung aus dem Buch Jesus Sirach erinnert uns an ein bekanntes Zitat des Kirchenlehrers Augustinus: „Liebe und tue, was du willst.“ Wenn wir Gott von Herzen lieben, wollen wir seine Gebote halten, was hier in Vers 15 ausgedrückt wird. Wir wollen dann gar nicht gegen seinen Willen handeln, um ihn nicht zu verletzen. Wir wollen ihm dann treu sein. Treue und Wollen sind zwei Stichpunkte, die mit Liebe zu tun haben. Es geht in dem Kapitel, aus dem wir heute hören, um den freien Willen. Diesen hat Gott uns Menschen geschenkt, damit wir uns für ihn entscheiden. Das Ja-Wort an einen Menschen nennen wir aber Liebe. Sie ist in erster Linie eine Entscheidung. Als Kern wird hier die Gottesfurcht genannt. Es meint keine pathologische Angst, sondern die Ehrfurcht vor Gott und die Angst, die Beziehung zu ihm zu verlieren. Es ist wiederum getragen von der Liebe zu ihm. Diesen auf die Liebe zulaufenden Kern hat Jesus in seiner Verkündigung verdeutlicht, wie wir später noch hören werden.
Gott lässt uns immer die Wahl („Feuer und Wasser vorgelegt“) und hat uns auch die Fähigkeit dazu geschenkt. Dabei werden wir „die Hand ausstrecken“ nach dem, was wir wollen – wozu wir uns entscheiden. Es liegt also an uns. Das griechische Wort für „erstreben“ ist hier ἐθέλω ethelo. Es ist wörtlich mit „wollen“ zu übersetzen und bezieht sich vor allem auf das tatsächlich umzusetzende Wollen. Für die Erwägung einer Sache, die man vielleicht gar nicht in die Tat umsetzt, wird ein anderes Wort gebraucht. Es macht also Sinn, dass im Kontext des Ausstreckens der Hand dieses Verb verwendet wird.
In Vers 17 wird das angedeutet, was in Dtn 30 bereits thematisiert wird: Gott stellt den Menschen vor die Wahl zwischen Leben und Tod, was mit anderen Worten dasselbe meint wie „Segen und Fluch“ in Dtn: Entweder entscheiden wir uns für Gott, dann wählen wir das Leben bzw. den Segen. Oder wir entscheiden uns gegen ihn und damit für den Tod bzw. Fluch. Dies ist sowohl moralisch zu verstehen als auch anagogisch: Die Entscheidung für Gott ist das Leben und somit der Stand der Gnade. Die Entscheidung dagegen ist unser eigenes Verderben, die Sünde, deshalb Tod und somit das Heraustreten aus dem Stand der Gnade. Beides anagogisch weitergedacht bedeutet, dass wir mit der Entscheidung für Gott das ewige Leben (Himmel) wählen und mit der Ablehnung Gottes den Tod (Hölle).
Der Mensch ist fähig, die Entscheidung selbst zu fällen und kann sich hinter nichts verstecken. Er bringt über sich, „was immer ihm gefällt“. Wir sind gut darin, Gott die Schuld für das Leiden in unserem Leben zu geben. Vieles, wenn auch nicht alles, haben wir uns aber selbst zuzuschreiben, weil wir uns gegen Gott entschieden haben und nun die Konsequenzen zu tragen haben. Was wir nicht verschuldet haben, ist oft das ungerechte Hineinziehen Unschuldiger in die Konsequenzen eigener Sünde. Wir leiden also ungerechterweise wegen der Schuld anderer mit, wegen ihrer Ablehnung Gottes. Und auch anagogisch weitergedacht erwartet uns nach dem Tod, was wir uns selbst gewählt haben. Niemand kommt gegen seinen Willen in die Hölle. Diese sucht man sich aus, indem man sich endgültig von Gott abschneidet, ohne jemals einen Funken Reue zu empfinden, ohne den kleinsten Willen von Umkehr.
Gott gibt, was man sich ausgesucht hat, weil seine Weisheit groß und seine Kraft stark ist. Er sieht alles und dies ist nicht als Bedrohung zu verstehen. Vielmehr ist es ein Trost für jene, die sich um seine Beziehung bemühen. Gott sieht alles, er sieht die Willensentscheidungen des Menschen und wird sich genauestens an diese Entscheidungen halten.
Gott kennt nicht nur jede Entscheidung, er kennt auch jede Tat des Menschen. Mit anderen Worten: Er schaut nicht nur auf den Glauben, den ein Mensch bekundet, sondern achtet auch darauf, ob und wie er diesen umsetzt. Ein sola fide lässt sich anhand dieses Schrifttexts nicht erkennen. Es geht immer um einen gelebten Glauben, den Gott beachtet.
Der letzte Vers hat es nochmal in sich: Unter keinen Umständen können wir sagen, dass Gott böse ist. Niemals können wir sagen, dass Gott uns zur Sünde verführt. Wirklich niemals können wir Gott die Schuld für unsere Sünden geben. Unsere Sünde haben wir uns frei gewählt. Kein unfreier Wille kann unsere Ausrede sein, weil Gott uns so nicht gemacht hat.
Für Luther war das Buch Jesus Sirach apokryph und somit keine Hl. Schrift, allenfalls „gut und nützlich zu lesen“. Jesus Sirach ist aber doch Teil der Hl. Schrift und somit ein Zeugnis für den freien Willen des Menschen. Erliegen auch wir heute nicht der Versuchung, Gott für unsere eigenen Fehler verantwortlich zu machen und ihn böse zu nennen. Gott ist nur gut und was er schafft, ist nur gut. Wenn unser Leben nicht gelingt, ist es nicht Gottes Schuld. Wenn wir leiden, hat Gott es nicht gewollt. Es ist nie sein Wille, dass es Krieg, Hunger, Gewalt oder Sünde in der Welt gibt. Sein Wille ist es, dass wir Menschen uns mit unserem geschenkten freien Willen für ihn entscheiden. Liebe geht nämlich nicht unter Zwang.

Ps 119
1 Selig, deren Weg ohne Tadel ist, die gehen nach der Weisung des HERRN. 
2 Selig, die seine Zeugnisse bewahren, ihn suchen mit ganzem Herzen,
4 Du hast deine Befehle gegeben, damit man sie genau beachtet. 
5 Wären doch meine Schritte fest darauf gerichtet, deine Gesetze zu beachten. 
17 Handle an deinem Knecht, so werde ich leben. Ich will dein Wort beachten.
18 Öffne mir die Augen, dass ich schaue die Wunder deiner Weisung!
33 Weise mir, HERR, den Weg deiner Gesetze! Ich will ihn bewahren bis ans Ende. 
34 Gib mir Einsicht, damit ich deine Weisung bewahre, ich will sie beachten mit ganzem Herzen!

Heute werden im Psalm jene selig gepriesen, die sich gemäß der Worte in Jesus Sirach für Gott entscheiden, für das Leben. Diese Entscheidung für Gott wird hier auf moralischer Ebene weitergeführt.
Jene sind selig zu preisen, die Gottes Gebote halten, was mit „Zeugnisse bewahren“ gemeint ist. Das hebräische Wort עֵדָה edah kann Zeugnis, aber auch das Gebot/Gesetz meinen. Die spezielle Verbform für „bewahren“ נֹצְרֵי nozrej ist ein Partizip. Dadurch wird ausgesagt, dass die Betroffenen die Gebote dauerhaft halten. Es geht um einen gesamten Lebenswandel, der hier in Vers 1 mit „Weg“ umschrieben wird.
Gottes Gebote sind zur genauen Befolgung gegeben worden. Das ändert sich auch mit Jesus nicht, der eben genau das möchte: die Gebote so zu verstehen, wie Gott sie ursprünglich gedacht hat. Greifen wir nochmal auf Sirach zurück, können wir diese genaue Befolgung mit dem Beziehungs- und Entscheidungsaspekt erklären: Wenn wir uns für einen Menschen ganz entscheiden, vor allem in der Trauung, dann nehmen wir ihn vollständig an und nicht nur den Teil von ihm, der uns passt. Wenn wir einen Menschen wirklich von Herzen lieben, dann lieben wir alles an ihm und möchten auch alles für ihn tun, um ihm unsere Liebe zu erweisen/beweisen. So ist es auch mit Gott. Es ist eine Beziehung, die wir heute durch den Neuen Bund, die Juden damals durch den Alten Bund mit ihm eingegangen sind. Damit verbunden ist ja das Halten seiner Gebote und diese halten wir vollständig. Es ist analog zur zwischenmenschlichen Beziehung und vor allem Eheschließung zu betrachten.
Berücksichtigen wir dies, werden wir die genaue Befolgung der Gebote mit Liebe in Verbindung bringen und nicht mit Pflichtbewusstsein, Perfektionismus und toter Buchstabentreue.
In Vers 5 wird angedeutet, dass der Mensch nicht perfekt ist und die Gebote hält, wie er sollte: „Wären doch meine Schritte fest darauf gerichtet“ ist der Wunsch des Beters, Gott immer treu zu sein. Es impliziert, dass dies nicht immer gegeben ist. Der Mensch sündigt. Und diese Beobachtung macht er schon sehr früh, nicht erst mit den Psalmen, aber dort durchaus intensiv.
„Handle an deinem Knecht“ zeigt uns auf, dass Gott etwas am Menschen tut, entweder, damit er die Gebote halten kann oder damit ihm die Vergehen vergeben werden. Dies wird durch den Zusatz deutlich „so werde ich leben“. Dieses Leben ist christlich verstanden vor allem auf das ewige Leben zu beziehen, das uns nach dem Tod erwartet. In diesem Fall ist wohl die Vergebungsbitte gemeint, denn daraufhin sagt der Beter Gott seinen Willen zu: „Ich will dein Wort beachten“. Dieses Jawort ist für Gott entscheidend. Der Mensch möchte Gottes Gebote halten und bemüht sich. Das ist die richtige Herzenshaltung damals und heute.
„Öffne mir die Augen, dass ich schaue die Wunder deiner Weisung!“ Ist die Bitte um Gottes Offenbarung, aber auch die Erkenntnis, Gott in allem zu finden. Es ist also nicht nur auf die biologischen Augen zu beziehen, sondern auch auf die Augen des Glaubens und des Verstandes. Wir denken an dieser Stelle an Jesu Lektionen, die er durch die Blindenheilungen erteilt. Auch dort geht es um viel mehr als die Heilung der biologischen Blindheit.
„Weise mir, HERR, deine Gesetze!“ ist der Wunsch, den Willen Gottes immer klar erteilt zu bekommen. Dies geschieht durch den Gottesdienst, durch die regelmäßige Lesung der Torah und durch die Vermittlung des Willens Gottes durch Propheten. Der Beter verspricht hier Gott, die Gebote bis ans Ende zu bewahren. Dies klingt sehr nach Ehegelübde und erneut sehen wir hier die Analogie. Wir sind die Braut Gottes und er ist unser Bräutigam. Dies hat sich mit Christus fortgesetzt, der sogar auf die Erde kam, um um seine Braut zu werben.
„Gib mir Einsicht“ ist die Bitte, die auf Vers 17 zurückbezogen werden kann und uns erklärt, wie Gott an dem Menschen handelt. Er verleiht ihm Einsicht, was eine Gabe des Hl. Geistes darstellt. Mit dieser erkennt der Mensch überhaupt erst, was gut und böse ist, und kann davon ausgehend eine Wahl treffen, nämlich für Gott, für seine Gebote. Mit „Weisung“ ist die Torah gemeint. Sie ist es, deren Halten ein Leben lang versprochen wird. Es ist die lebenslange Treue, die der Beter Gott hier verspricht – analog zu den Brautleuten am Traualtar.

1 Kor 2
6 Und doch verkünden wir Weisheit unter den Vollkommenen, aber nicht Weisheit dieser Welt oder der Machthaber dieser Welt, die einst entmachtet werden. 
7 Vielmehr verkünden wir das Geheimnis der verborgenen Weisheit Gottes, die Gott vor allen Zeiten vorausbestimmt hat zu unserer Verherrlichung. 
8 Keiner der Machthaber dieser Welt hat sie erkannt; denn hätten sie die Weisheit Gottes erkannt, so hätten sie den Herrn der Herrlichkeit nicht gekreuzigt. 
9 Nein, wir verkünden, wie es in der Schrift steht, was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat, was in keines Menschen Herz gedrungen ist, was Gott denen bereitet hat, die ihn lieben.
10 Uns aber hat es Gott enthüllt durch den Geist. Der Geist ergründet nämlich alles, auch die Tiefen Gottes.

In diesen Wochen geht es ja um den ersten Korintherbrief, aus dem wir heute die Fortsetzung der letzten Woche hören. Letzten Sonntag endete es damit, dass Paulus die Verkündigung des Evangeliums bewusst schmucklos und einfach gestaltet, ganz nach dem Grundsatz der Schlichtheit, um das Evangelium selbst leuchten zu lassen. Seine Kraft soll die Menschen ansprechen, nicht menschliches Brimborium. Der heutige Abschnitt beginnt mit einem Spiel mit dem Wort „Weisheit“. Eigentlich hatte er ja ausgeschlossen, dass er Weisheit lehre, vielmehr den gekreuzigten Christus. Dort bezog er die Weisheit auf die griechischen Philosophen. Heute greift er das Wort auf und wendet es um auf die Weisheit Gottes. Die „Weisheit unter den Vollkommenen“ ist keine weltliche, sondern die ewige Weisheit Gottes, von der wir im Buch Jesus Sirach gehört haben. Die Weisheit Gottes ist beständig, während die der Machthaber der Welt nur vorübergehend ist.
Diese Weisheit Gottes ist verborgen, denn Gott hat sich, wie Paulus im Philipperhymnus sagt, entäußert. Er hat seine Gottheit in dieser Welt verborgen. Diese wird am Ende der Zeiten offenbar, wenn er als verherrlichter Menschensohn zurückkehren wird. Dann werden alle diese Weisheit erkennen, die ganz anders ist, als die weltliche Weisheit (der Griechen, aber auch generell das Erstrebenswerte, Gutgeheißene). Die Machthaber der Welt haben durch die Kreuzigung Christi bewiesen, dass sie die Weisheit nicht erkannt haben. Jesus hat durch seine Verkündigung und sein Handeln diese Weisheit eigentlich deutlich gemacht. Und doch hat das weltliche Denken und die Bestrebungen dieser Welt gesiegt, zumindest scheinbar. Doch es kam anders und Jesus ist von den Toten auferstanden! Die Weisheit Gottes hat schon in dieser Welt gesiegt, die eines Tages zusammenbrechen wird.
Paulus erklärt, dass das Evangelium Jesu Christi etwas Neues und Unerhörtes ist, nämlich die Begründung eines neuen Bundes, der zugleich – so wie wir gleich lesen werden – auf dem Alten gründet.
Das Evangelium Jesu Christi, der die Weisheit Gottes mit seiner ganzen Person offenbart hat, wird uns auch heute so wie Paulus und seinen Zeitgenossen durch den Geist Gottes offenbart. Gott können wir nicht begreifen, indem wir mit unserem menschlichen Gehirn zu denken beginnen. Gott können wir nur ansatzweise erahnen mithilfe des Hl. Geistes, der uns die Augen öffnet, wie es im Psalm heißt, nämlich die Augen von Herz und Sinn, sodass unser Verstand einen winzigen Schritt weiter in der Gotteserkenntnis unternimmt und unser Glaube an Gott gestärkt wird. Deshalb müssen wir immer und überall um den Hl. Geist bitten, damit er uns den Weg aufzeigt, den Gott für uns bereitet hat. Der Geist kann in uns bewirken, dass wir Gott ein wenig mehr begreifen. Wo die Menschen weltlich denken und die weltliche Weisheit ihr Leben bestimmt, da ist nicht Gottes Geist am Werk. Besonders deutlich wird dies in der Kirche. Wo ein weltlicher Geist herrscht, wo auf menschliche Weise etwas angestrebt wird, wo rein weltliche Ursachen und Lösungen im Blick sind, da ist der Hl. Geist fern, es gibt nicht mal Raum für ihn.

Mt 5
17 Denkt nicht, ich sei gekommen, um das Gesetz und die Propheten aufzuheben! Ich bin nicht gekommen, um aufzuheben, sondern um zu erfüllen. 
18 Amen, ich sage euch: Bis Himmel und Erde vergehen, wird kein Jota und kein Häkchen des Gesetzes vergehen, bevor nicht alles geschehen ist. 
19 Wer auch nur eines von den kleinsten Geboten aufhebt und die Menschen entsprechend lehrt, der wird im Himmelreich der Kleinste sein. Wer sie aber hält und halten lehrt, der wird groß sein im Himmelreich.
20 Darum sage ich euch: Wenn eure Gerechtigkeit nicht weit größer ist als die der Schriftgelehrten und der Pharisäer, werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen.
21 Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt worden ist: Du sollst nicht töten; wer aber jemanden tötet, soll dem Gericht verfallen sein. 
22 Ich aber sage euch: Jeder, der seinem Bruder auch nur zürnt, soll dem Gericht verfallen sein; und wer zu seinem Bruder sagt: Du Dummkopf!, soll dem Spruch des Hohen Rates verfallen sein; wer aber zu ihm sagt: Du Narr!, soll dem Feuer der Hölle verfallen sein. 
23 Wenn du deine Opfergabe zum Altar bringst und dir dabei einfällt, dass dein Bruder etwas gegen dich hat, 
24 so lass deine Gabe dort vor dem Altar liegen; geh und versöhne dich zuerst mit deinem Bruder, dann komm und opfere deine Gabe! 
25 Schließ ohne Zögern Frieden mit deinem Gegner, solange du mit ihm noch auf dem Weg zum Gericht bist! Sonst wird dich dein Gegner vor den Richter bringen und der Richter wird dich dem Gerichtsdiener übergeben und du wirst ins Gefängnis geworfen.
26 Amen, ich sage dir: Du kommst von dort nicht heraus, bis du den letzten Pfennig bezahlt hast. 
27 Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: Du sollst nicht die Ehe brechen. 
28 Ich aber sage euch: Jeder, der eine Frau ansieht, um sie zu begehren, hat in seinem Herzen schon Ehebruch mit ihr begangen.
29 Wenn dich dein rechtes Auge zum Bösen verführt, dann reiß es aus und wirf es weg! Denn es ist besser für dich, dass eines deiner Glieder verloren geht, als dass dein ganzer Leib in die Hölle geworfen wird. 
30 Und wenn dich deine rechte Hand zum Bösen verführt, dann hau sie ab und wirf sie weg! Denn es ist besser für dich, dass eines deiner Glieder verloren geht, als dass dein ganzer Leib in die Hölle kommt. 
31 Ferner ist gesagt worden: Wer seine Frau aus der Ehe entlässt, muss ihr eine Scheidungsurkunde geben. 
32 Ich aber sage euch: Wer seine Frau entlässt, obwohl kein Fall von Unzucht vorliegt, liefert sie dem Ehebruch aus; und wer eine Frau heiratet, die aus der Ehe entlassen worden ist, begeht Ehebruch. 
33 Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt worden ist: Du sollst keinen Meineid schwören, und: Du sollst halten, was du dem Herrn geschworen hast. 
34 Ich aber sage euch: Schwört überhaupt nicht, weder beim Himmel, denn er ist Gottes Thron, 
35 noch bei der Erde, denn sie ist der Schemel seiner Füße, noch bei Jerusalem, denn es ist die Stadt des großen Königs! 
36 Auch bei deinem Haupt sollst du nicht schwören; denn du kannst kein einziges Haar weiß oder schwarz machen.
37 Eure Rede sei: Ja ja, nein nein; was darüber hinausgeht, stammt vom Bösen. 

Das Evangelium fasst alle heutigen Gedanken in einem besonders intensiven Abschnitt aus der Bergpredigt zusammen:
Gleich der Anfang beantwortet alles: Jesus ist nicht gekommen, um ein neues Amerika zu erfinden, sondern um die Torah, das Gesetz zu erfüllen. Das Gesetz und die Propheten, die gesamte Glaubenstradition der Juden, soll bis zum Ende der Welt gelten. Das Problem ist, wie zu seiner Zeit diese gesamte Tradition verstanden worden ist. Auch die rechte Absicht ist verloren gegangen.
Jesus betont, dass die gesamte Torah unverändert zu halten ist. Alles Andere macht auch keinen Sinn, wenn wir beachten, von welchem Gottesbild Jesus ausgeht: Er sieht es wie das Buch Jesus Sirach und der Psalm von der Beziehungsebene her. Wer Gott liebt, will gar nicht anders, als alle Gebote zu halten, auch noch das Kleinste. Wenn man Gott von Herzen liebt, wird man alles an ihm annehmen, nicht nur das, was einem passt. Sonst ist es keine richtige Liebe. Und diese Liebe soll das A und O bei der genauen Befolgung der Torah sein.
Wenn Jesus vom Kleinsten und Größten im Himmelreich spricht, müssen wir das richtig verstehen. Wer die Gebote abändert und sie auch so lehrt, wird der „Kleinste im Himmelreich“ sein. So wie man lebt, so wird man auch im Himmelreich sein. Und diese Worte Jesu richten sich auch heutzutage an alle Katecheten, Seelsorger und Lehrer. Es muss alles gelehrt werden, auch die noch so unwichtig erscheinenden Dinge. Sie sollen das gesamte Glaubensgut verkünden. Und ganz groß werden jene im Himmelreich sein, die erstens alles vollständig halten und zweitens es auch so vollständig lehren. Sie haben es nämlich vorgelebt und dadurch die verkündete Lehre authentisch gemacht. Und wer im Kleinen treu ist, wird im Himmel groß sein.
Wer vor Gott gerecht sein möchte, muss eine weitaus größere Gerechtigkeit als die der Pharisäer und Schriftgelehrten aufweisen. Denn diese halten erstens gar nicht die vollständige Lehre im ursprünglichen Sinne, zweitens bauen sie ein menschliches Konstrukt darum, das sie statt der göttlichen Gebote halten. Das größte Problem aber besteht in der fehlenden Beziehung. Sie halten die Gebote nicht aus Liebe zu Gott, sondern um der Gebote willen. Dies führt zu einer Äußerlichkeit ohne entsprechende innere Herzenshaltung.
Und dann konkretisiert Jesus, was er damit meint, indem er die Gebote so auslegt, wie Gott sie eigentlich gemeint hat:
Er nimmt als erstes Beispiel das fünfte Gebot „du sollst nicht töten“. „Die Alten“ haben es so ausgelegt, dass man niemanden töten soll. Jesus radikalisiert es jetzt aber nach innen und stellt heraus, dass schon die Wut auf den Anderen, der Groll, die Rache, die bösen Wünsche gegenüber dem Anderen ein Verstoß gegen das Gebot sind. Ebenso ist es mit Beleidigungen. Er erklärt sie zum verbalen Mord. Nicht nur auf der Ebene des Handelns sündigt man gegen das fünfte Gebot, sondern auch auf den Ebenen der Gedanken und der Worte. Und diese Dinge reichen schon aus, kultisch unrein zu sein. Bevor man ein Opfer im Tempel darbringt, soll man zuerst Frieden schließen. Dabei soll man Friedensstifter sein selbst da, wo der Andere eigentlich die bösen Gedanken gegen einen selbst hegt.
Wenn Jesus dann das Bild des Wegs zum Gericht erwähnt, meint er damit nicht nur, dass man sich so schnell wie möglich versöhnen soll und es möglichst untereinander regeln soll, sondern auch die anagogische Ebene: Versöhne dich jetzt mit Gott und dem Nächsten, solange du noch lebst. Wenn du es bis zum Gericht Gottes nicht getan hast, wird es eine schmerzhafte Sache. Es ist selbst für die Angehörigen schmerzhaft, die einen unversöhnten Streit ihrer Familienmitglieder bis in den Tod begleiten müssen. So wie es besser ist, untereinander den Streit zu klären, bevor man im Gericht ankommt und dann ins Gefängnis muss, so ist es mit der Sühne eigener Sünden. Besser man sühnt sie noch in diesem Leben, denn danach wird es viel schmerzhafter es im „Gefängnis“ des Fegefeuers abzubezahlen.
Ab Vers 27 greift Jesus ein anderes Beispiel auf, das er radikalisiert – das sechste Gebot „du sollst nicht die Ehe brechen“. Bisher ist es so ausgelegt worden, dass der ausgeführte Ehebruch an sich erst Sünde sei. Jesus sagt aber, dass das lustvolle Anschauen einer Frau (und eines Mannes, für Frauen gilt dasselbe, auch wenn Männer mehr auf das Optische anspringen!) schon ein Ehebruch im Herzen ist. Auch hier ist es schon die Gedankenebene, auf der man bereits sündigt.
Alles, was den Menschen aber erst zu diesen ehebrecherischen Gedanken bringt, soll abgehauen werden, es soll radikal ausgemerzt werden. Die Gelegenheiten zur Sünde, die Provokationen, Situationen. Dies möchte Jesus durch die metaphorische Aufzählung von Körperteilen sagen, die man ausreißen oder abhauen soll. Besser ist es, sogar verstümmelt zu sein, als in die Hölle zu gehen. Und wenn wir im Leben auch auf wichtige Güter verzichten müssen, weil sie uns sonst zur Sünde verleiten. Diese Worte sind klar und deutlich und ein absoluter Strich durch die Rechnung unserer heutigen sexualisierten Gesellschaft. Die Lust ist nur einen Klick entfernt, nur ein Tap auf dem Smartphone, nur ein Klick auf dem Fernseher. Heute würde uns Jesus sagen: Und wenn dich dein Smartphone zur Sünde verleitet, steig auf ein normales Handy um. Besser mit einem uncoolen Teil herumlaufen, als mit einem schicken Iphone in die Hölle zu gehen.
Und dann greift Jesus noch etwas Wichtiges auf, das er sehr oft anspricht: Die Unauflöslichkeit der Ehe. Mose hat erlaubt, dass der Mann seine Frau aus der Ehe entlassen darf, wenn er etwas Schändliches an ihr findet (Dtn 24,1). Jesus sagt aber an dieser Stelle, dass es eine Abweichung vom eigentlich ursprünglichen Gesetz der absoluten Unauflöslichkeit der Ehe sei. Wer die Frau mit einem Scheidungsbrief entlasse, mache sie zur Ehebrecherin, außer im Fall von Unzucht. Was hat das zu bedeuten? Die Ehe ist trotz Scheidung weiterhin wirksam und wenn man sie aus der Ehe entlässt, wird sie keine Mittel haben, selbstständig weiterzuleben. Sie wird gezwungen sein, einen anderen Mann zu heiraten und das wäre dann Ehebruch. Man liefert sie also dem Ehebruch aus. Der Nebensatz „obwohl kein Fall von Unzucht vorliegt“ ist schlecht übersetzt. Es heißt eigentlich „außer im Fall von Unzucht“ und meint außer in dem Fall, wo sie bereits Unzucht begangen hat. Dann ist man selbst nicht der Auslieferer in den Ehebruch, sondern sie hat es selbst aktiv getan. Man darf aus dieser Bibelstelle auf keinen Fall schließen, dass Jesus eine Scheidung bei Ehebruch erlaube. Die Ehe ist unauflöslich und eben nicht auflösbar unter irgendwelchen Bedingungen.
Dann spricht Jesus noch weitere Radikalisierungen an: Die Alten verboten den Meineid und hielten die Gläubigen zur Einhaltung von Versprechen an, was auch gut ist. Das Problem ist, dass die Menschen Schwüre zunehmend inflationär gebraucht haben. Sie haben bei jeder Notlüge, die sie begangen haben, einen Schwur hinterher gesagt, um sich glaubwürdig zu machen. Das ist ein Missbrauch von Schwüren und Gelübden. Deshalb sagt Jesus, dass man gar nicht schwören soll, nicht weil Gelübde nicht gut sind, sondern weil man die Wahrheit sagen soll. Euer Ja sei ein Ja und euer Nein ein Nein. Es geht um Aufrichtigkeit, die schon im Herzen beginnt. Es ist wie mit der Rede von der Verstümmelung. Jesus möchte keine Selbstverletzung, er möchte auch nicht, dass jetzt keine Gelübde mehr abgelegt werden. Er möchte ein aufrichtiges Sprechen. Schwüre sind für besondere Situationen und schon gar nicht dafür, auf den Namen Gottes oder seinen Tempel etc. zu schwören, um den Namen Gottes zu verunehren. Das ist eine Sünde gegen das zweite Gebot.
Heute spricht Jesus sehr intensiv und wir können in diesem Rahmen gar nicht alles bedenken. Dennoch ist dies schon genug, um sich am heutigen Sonntag richtig Gedanken zu machen.

Gott geht es um unser Herz. Das ist schon in den vergangenen Werktagen immer wieder durch die Tageslesungen deutlich geworden. Er möchte eine Deckungsgleichheit von Herz, Mund und Hände, von Gedanken, Worten und Werken. Er möchte, dass wir alles aus Liebe zu ihm tun, nicht zur Strafvermeidung, aus Angst, aus Pflichtbewusstsein oder sonstigem. Er möchte unsere Liebe und eine intakte Beziehung zu uns. Er möchte das alles, damit wir glücklich werden, damit er in uns seine göttliche Weisheit eingießen kann, damit er unsere Schritte auf unserem Lebensweg fest machen kann. Jesus verlangt heute in der Bergpredigt nichts Unmögliches. Er verlangt nur eines: dass wir die Gebote Gottes durchs Herz gehen lassen und sie von dort aus den Weg über unsere Gedanken, Worte und Taten nehmen. Dabei sind wir nicht allein. Er schenkt uns vom Vater seinen Hl. Geist, der uns mit allen Gnaden zur Bewältigung dieses Herzenswegs ausstattet.

Ihre Magstrauss

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