Vierter Adventssonntag (B)

2 Sam 7,1-5.8b-12.14a.16; Ps 89,2-3.20a u. 4-5.27 u. 29; Röm 16,25-27; Lk 1,26-38

2 Sam 7
1 Als nun der König in seinem Haus wohnte und der HERR ihm Ruhe vor allen seinen Feinden ringsum verschafft hatte,

2 sagte er zu dem Propheten Natan: Ich wohne in einem Haus aus Zedernholz, die Lade Gottes aber wohnt in einem Zelt.
3 Natan antwortete dem König: Geh nur und tu alles, was du im Herzen hast; denn der HERR ist mit dir.
4 Aber in jener Nacht erging das Wort des HERRN an Natan:
5 Geh zu meinem Knecht David und sag zu ihm: So spricht der HERR: Du willst mir ein Haus bauen, damit ich darin wohne?
8 So spricht der HERR der Heerscharen: Ich habe dich von der Weide und von der Herde weggeholt, damit du Fürst über mein Volk Israel wirst,

9 und ich bin überall mit dir gewesen, wohin du auch gegangen bist. Ich habe alle deine Feinde vor deinen Augen vernichtet und ich werde dir einen großen Namen machen, der dem Namen der Großen auf der Erde gleich ist.
10 Ich werde meinem Volk Israel einen Platz zuweisen und es einpflanzen, damit es an seinem Ort wohnen kann und sich nicht mehr ängstigen muss und schlechte Menschen es nicht mehr unterdrücken wie früher
11 und auch von dem Tag an, an dem ich Richter in meinem Volk Israel eingesetzt habe. Ich verschaffe dir Ruhe vor allen deinen Feinden. Nun verkündet dir der HERR, dass der HERR dir ein Haus bauen wird.
12 Wenn deine Tage erfüllt sind und du dich zu deinen Vätern legst, werde ich deinen leiblichen Sohn als deinen Nachfolger einsetzen und seinem Königtum Bestand verleihen.
14 Ich werde für ihn Vater sein und er wird für mich Sohn sein.
16 Dein Haus und dein Königtum werden vor dir auf ewig bestehen bleiben; dein Thron wird auf ewig Bestand haben.

In der ersten Lesung hören wir die Worte des Propheten Natan, die ihm im Anschluss an Davids Unterredung mit Gott eingegeben werden. Zuvor hat dieser nämlich Gott zu verstehen gegeben, dass er ihm ein festes Heiligtum bauen möchte, da bis dato der Tempel als Offenbarungszelt bestand. Natan erhält nun die Antwort Gottes auf Davids Vorhaben. Dieser gibt ihm ein:
Nicht er selbst wird den Tempel errichten, sondern sein Sohn. Später werden wir erfahren, dass es sein Sohn Salomo sein wird. In den Chronikbüchern erfahren wir zudem noch weitere Details, warum nicht David selbst den Tempel errichten soll: An seinen Händen klebt zu viel Blut. Er hat so viele Schlachten geführt, zu viel Blut vergossen. Gottes Tempel ist heilig und deshalb muss der König von der Blutschuld verschont sein. Salomo wird zeitlebens keine Kriege führen müssen, weil Gottes wunderbare Vorsehung für eine friedliche Zeit sorgen wird. So wird er sich ganz auf den Tempelbau konzentrieren können.
Gott ist es, der König David so stark und unbesiegbar gemacht hat. Er ist es, der alle Feinde von uns entfernt, auch uns Christen heute! Er ist es, der den wirklich bedrohlichen Feind, nämlich den Satan von uns nimmt, der uns nach dem ewigen Leben trachtet. Gott verheißt über den Prophet Natan einen bleibenden Frieden und die Ruhe des Himmelreiches! Davids künftiger Nachfahre wird den wahren Frieden bringen, er wird das Reich Gottes verkünden, das mit ihm bereits anbrechen wird, Jesus Christus, der Sohn Davids!
Natan vermittelt David zunächst wörtlich, dass wenn er sich zu den Vätern legt, das heißt wenn er stirbt, Salomo zum König eingesetzt werden und das Königtum Bestand haben wird. Er wird den Tempel errichten und er wird für Gott Sohn, Gott für ihn Vater sein. Dieser Königsthron wird auf ewig bestehen.
Diese Worte sind zunächst wörtlich zu nehmen und gelten unter der Voraussetzung, dass dieser König im Stand der Gnade ist, also sich an den Bund hält und sich nicht schwer versündigt. Wir wissen allerdings, dass Salomo sich einen riesigen Harem anlegen wird, wobei viele Frauen anderer Religionen angehören, zu denen er dann verführt wird. Er wird Götzen Altäre und Heiligtümer errichten und so die Gnade Gottes verspielen.
Wir lesen diese Botschaft Gottes an David heute also noch weiter, nämlich allegorisch. So erkennen wir einen Typos Christi in Salomo! Im Hebräischen steht in Vers 12 auch gar nicht „leiblicher Sohn“, sondern vielmehr „Same“. Es ist also sehr offen formuliert und kann einen leiblichen Nachkommen zu einer ganz anderen Zeit meinen.
In dieser Leserichtung ist das Sterben Davids mit dem frühen Tod Josefs in Analogie zu setzen, der als Sohn Davids den König des Reiches Gottes als Sohn haben wird. Erst nach seinem Tod wird Jesus sein öffentliches Wirken antreten. Er wird das Reich Gottes verkünden und am Ende als „König der Juden“ hingerichtet werden. Er wird zur Tempellobby sagen: Reißt diesen Tempel nieder und ich werde ihn in drei Tagen wieder aufbauen. Es wird der Tempel seines Leibes sein und mit der Auferstehung wahr werden. Der Tempel, den er begründen wird, ist die Kirche. Er wird den neuen Bund besiegeln, den alle Christen mit Gott in der Taufe eingehen. So wird Gott auch in uns Wohnung nehmen in dem Tempel unserer Seele. Diese ist ewig, sie hat Bestand, wie Natan David angekündigt hat. Auch die Kirche hat Bestand, denn Jesus verheißt an anderer Stelle, dass die Mächte der Finsternis sie nicht überwältigen werden.
Was Natan hier von Gott eingegeben bekommt, ist also mehr als nur die Antwort auf Davids Vorhaben. Es ist eine heilsgeschichtlich weitreichende Verheißung!

Ps 89
2 Von der Huld des HERRN will ich ewig singen, von Geschlecht zu Geschlecht mit meinem Mund deine Treue verkünden.
3 Denn ich bekenne: Auf ewig ist Huld gegründet, im Himmel deine Treue gefestigt.
20 Einst hast du in einer Vision zu deinen Frommen gesprochen:
4 Ich habe einen Bund geschlossen mit meinem Erwählten und David, meinem Knecht, geschworen:
5 Auf ewig gebe ich deinem Haus festen Bestand und von Geschlecht zu Geschlecht gründe ich deinen Thron.
27 Er wird zu mir rufen: Mein Vater bist du, mein Gott, der Fels meiner Rettung.
29 Auf ewig werde ich ihm meine Huld bewahren, mein Bund mit ihm ist verlässlich.

Wir beten aus gegebenem Anlass den sogenannten Königspsalm 89. Die Psalmen reflektieren ja immer die Lesung aus dem AT. So beginnt der Abschnitt heute mit einer für Psalmen typischen Lobaufforderung an sich selbst (will ich ewig singen). Gottes Treue ist ewig, sie ist „im Himmel…gefestigt“. Gott hält seine Versprechen. Er ist es, aus dessen Sicht ab Vers 4 beschrieben wird: „Ich habe einen Bund geschlossen mit meinem Erwählten und David“. Wörtlich steht hier „Ich schnitt einen Bund (im Hebräischen schneidet man, כָּרַ֣תִּֽי karati „ich schnitt“) mit meinem Erwählten, ich schwor meinem Knecht David.“ Es handelt sich also nicht um zwei Personen, sondern bezieht sich beides auf ein und dieselbe Person. Gott hat einen Bund mit diesem besonderen König geschlossen. Es handelt sich um die Bekräftigung und Ausweitung des Alten Bundes zu einer gesamtstämmischen Einheit. Das Ganze ist aber auch typologisch zu betrachten – der Erwählte (hier ist wieder das Wort בָּחִיר bachir enthalten, der Jüngling im heiratsfähigen Alter) ist nun auf Jesus zu beziehen, der sich freiwillig zum bachir macht um des Himmelreiches willen. Er bezeichnet sich sogar als Eunuchen, meint dies aber natürlich nicht wörtlich, sondern sinnbildlich. Dieser Bund, den Gott geschlossen hat durch Christus, ist der Neue Bund mit allen Menschen. Im griechischen AT wird sogar mit Plural übersetzt, was linguistisch gesehen auch möglich ist. Dadurch wird nicht Christus in den Blick genommen, DURCH den der Neue Bund besiegelt worden ist, sondern die „Erwählten“, wir Menschen, MIT denen er ja den Bund geschlossen hat. Der griechische Begriff an dieser Stelle ist ἐκλεκτοῖς eklektois und wird auch im NT sowohl für Christus als auch für die Getauften verwendet (Lk 23,35; 1 Petr 1,1).
Auch hier wird die Zusage Gottes aufgegriffen, dem davidischen Königshaus Bestand zu verleihen. Dies wird der Fall sein, aber anders als die Menschen denken: Es wird ewig bestehen durch Christus, den Sohn Davids, der tatsächlich leiblicher „Sohn“ Davids ist (wörtlich „Same“). Wir lesen dies ja im Stammbaum nach Matthäus. Er trägt Davids Gene in sich. Und doch ist dies ein anderes Königtum als das des David. Es geht hier um den König des Reiches Gottes. Sein Reich ist nicht von dieser Welt, wie er selbst vor Pilatus erklärt hat (vgl. Joh 18,36). „Von Geschlecht zu Geschlecht“, d.h. in diesem Fall zu allen Zeiten, wird Christus der König derer sein, die an ihn glauben und sich auf seinen Namen taufen lassen. Das „Haus“, das hier erwähnt wird, ist wörtlich gesehen zunächst das Königshaus. Wir müssen es aber tiefer verstehen als Kirche. Sie ist als Gemeinschaft der Gläubigen das Königreich Christi und ihr sichtbarer Teil die sakramentale Antizipation der Ewigkeit. Sie wird auf ewig nicht untergehen – solange die Welt besteht, wird der Satan sie nicht überwältigen, das hat der treue Christus uns versprochen – und am Ende der Zeiten wird sie sich durchsetzen und ihren Wohnsitz einnehmen in der ewigen Gemeinschaft mit Gott. Dieser verheißene König ist unterwegs zu uns, wir feiern seine Menschwerdung an Weihnachten!

Röm 16
25 Dem aber, der die Macht hat, euch Kraft zu geben – gemäß meinem Evangelium und der Botschaft von Jesus Christus, gemäß der Offenbarung jenes Geheimnisses, das seit ewigen Zeiten unausgesprochen war,
26 jetzt aber nach dem Willen des ewigen Gottes offenbart und durch prophetische Schriften kundgemacht wurde, um alle Heiden zum Gehorsam des Glaubens zu führen – ,
27 ihm, dem einen, weisen Gott, sei Ehre durch Jesus Christus in alle Ewigkeit! Amen.

Als zweite Lesung hören wir den Abschluss des Römerbriefes. Dabei handelt es sich um einen abschließenden Lobpreis, den wir mit Paulus gemeinsam sprechen können angesichts der Gunst, die Gott uns Menschen erwiesen hat:
Gott hat die Macht, den Menschen Kraft zu verleihen, die nämlich von Natur aus geschwächt sind – das sind die Belastung mit der Erbsünde und ihre bleibenden Folgen.
Gott selbst ist Geheimnis und was wir von ihm wissen, hat er uns offenbart. Er hat das Geheimnis gelüftet, „das seit ewigen Zeiten unausgesprochen war“ – Jesus Christus selbst, seinen eingeborenen Sohn! Dieser ist uns offenbart worden, er ist schon so viele Jahrhunderte zuvor von den vielen Propheten, allen voran Jesaja, vorausgesagt worden. Gottes Heilsplan, die ganze Menschheit zu erlösen, stand schon von Anfang an fest.
Dieser Heilsplan umfasst nicht nur die zwölf Stämme Israels, sondern auch die Heiden – es ist ein umfassendes Heil für alle Menschen, die an ihn glauben. Um die Heiden geht es Paulus ja besonders, das ist seine Berufung. Deshalb betont er den Glaubensgehorsam der Heiden, ohne dass er die Juden nicht miteinbezogen sieht. Wir müssen bei Briefen immer bedenken, dass sie stark situationsbezogen sind und natürlich nicht alles abdecken, wofür ein Autor steht. Sonst tun wir Paulus Unrecht, der selbst ja von Haus aus ein Pharisäer ist, der die Juden weiterhin sehr hoch schätzt und der eine Kontinuität der Heilsgeschichte herausstellt.
Der Form nach ist diese Lesung eine Doxologie mit abschließender Ewigkeitsformel: Der Empfänger des Lobpreises steht im Dativ (ihm, dem einen Gott). Was ihm entgegengebracht wird, also die Ehre (griechisch Doxa, lateinisch Gloria, deshalb nennt man diese Formel Doxologie), steht im Nominativ. Jesus Christus wird mit dem Wörtchen „durch“ genannt, weil er beim ganzen Erlösungsgeschehen der Mittler des Neuen Bundes ist. Die Ewigkeitsformel besteht wie immer aus der Wendung „in Ewigkeit! Amen“, wobei sie die Kurzform der ausführlichen Variante „von Ewigkeit zu Ewigkeit“ darstellt. Paulus endet mit dem Lobpreis, weil seine Briefe Bekenntnisse und Glaubenszeugnisse sind. Er sagt selbst am Ende des ersten Thessalonicherbriefes, dass die Christen ohne Unterlass beten müssen. Selbst seine Kommunikation stellt ein Gebet dar. Alles ist eingefasst in den Lobpreis Gottes. Den Grund dafür feiern wir bald an Weihnachten!

Lk 1
26 Im sechsten Monat wurde der Engel Gabriel von Gott in eine Stadt in Galiläa namens Nazaret

27 zu einer Jungfrau gesandt. Sie war mit einem Mann namens Josef verlobt, der aus dem Haus David stammte. Der Name der Jungfrau war Maria. 28 Der Engel trat bei ihr ein und sagte: Sei gegrüßt, du Begnadete, der Herr ist mit dir.
29 Sie erschrak über die Anrede und überlegte, was dieser Gruß zu bedeuten habe.
30 Da sagte der Engel zu ihr: Fürchte dich nicht, Maria; denn du hast bei Gott Gnade gefunden.
31 Siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn wirst du gebären; dem sollst du den Namen Jesus geben.
32 Er wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden. Gott, der Herr, wird ihm den Thron seines Vaters David geben.
33 Er wird über das Haus Jakob in Ewigkeit herrschen und seine Herrschaft wird kein Ende haben.
34 Maria sagte zu dem Engel: Wie soll das geschehen, da ich keinen Mann erkenne?
35 Der Engel antwortete ihr: Heiliger Geist wird über dich kommen und Kraft des Höchsten wird dich überschatten. Deshalb wird auch das Kind heilig und Sohn Gottes genannt werden.
36 Siehe, auch Elisabet, deine Verwandte, hat noch in ihrem Alter einen Sohn empfangen; obwohl sie als unfruchtbar gilt, ist sie schon im sechsten Monat.
37 Denn für Gott ist nichts unmöglich.
38 Da sagte Maria: Siehe, ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe, wie du es gesagt hast. Danach verließ sie der Engel.

Nun kommen wir zum Evangelium, das durch die bisherigen Texte vorbereitet worden ist: Der Engel des Herrn kommt zu einer Jungfrau nach Nazaret. Für den schriftkundigen Hörer erklingt schon mit dem ersten Satz ein Signal: Von Jesaja haben wir die letzten Tage von einem nezer, einer Wurzel gehört, die nun im Namen des Ortes Nazaret wieder auftaucht. Eine Jungfrau – das ist bis heute ein heißes Eisen und doch müssen und dürfen wir dieses Wort wörtlich nehmen. Das griechische Wort παρθένος, ist mit „Jungfrau“, also auch dem biologischen Zustand der Unberührtheit, zu übersetzen. Es ist schon in der Verheißung aus Jesaja zu lesen („die Jungfrau wird ein Kind empfangen“). Das griechische AT, die Septuaginta verwendet an dieser Stelle bei Jesaja dasselbe Wort παρθένος. Im Hebräischen steht הָעַלְמָ֗ה ha-almah „die Jungfrau“. Interessant auch, dass eine bestimmte Jungfrau gemeint ist. Das zeigt der bestimmte Artikel. Das Wort wird von heutigen Exegeten gerne bagatellisiert und in der Einheitsübersetzung steht bei Jes 7 deshalb auch eine Fußnote, in der behauptet wird, man müsse das hebräische Wort mit „junge Frau“ übersetzen. Ich kritisiere die Fußnote, weil sie irreführend ist. Sie wird nämlich gerne zum Anlass genommen, die biologische Jungfräulichkeit abzulehnen. Eine junges Mädchen im heiratsfähigen Alter (was wörtlich mit almah gemeint ist), schließt ihren jungfräulichen Zustand selbstverständlich ein. Alles Andere wäre undenkbar. Jesaja hat zudem von einem Zeichen gesprochen, das Gott geben wird. Es ist aber nichts Ungewöhnliches an einer Almah, einer jungen Frau, die heiratet, wenn sie ein Kind bekommt. Bei einer bleibenden Jungfrau sieht das schon anders aus….
Dass Maria verlobt ist, wird nicht gesagt, um ihren Zustand der Jungfräulichkeit zu erklären, sondern die Wunderhaftigkeit der Empfängnis. Vom Protevangelium des Jakobus wissen wir, dass die Eltern Mariens ihr Kind dem Tempel geweiht haben und Maria lebenslang Jungfrau bleiben sollte. Die Ehe mit Josef sollte ebenfalls eine jungfräuliche Ehe werden. Deshalb war ihre Schwangerschaft so drastisch für die Gesellschaft, nicht in erster Linie, weil es ein uneheliches Kind war (das auch). Es ging darum, dass sie überhaupt ein Kind erwartete.
Der Engel spricht Maria an mit den Worten χαῖρε, κεχαριτωμένη chaire, kecharitomene „freue dich, du Begnadete/die, der Gnade erwiesen worden ist“. Auch Christen haben die Begrüßung χαῖρε von Anfang an verwendet, so auch Paulus in den Briefanfängen. Die Bezeichnung κεχαριτωμένη ist, was uns theoretisch allen geschenkt ist, die volle Ausstattung mit der Gnade Gottes, also die Berufung jedes Getauften, von der wir im Epheserbrief gelesen haben. Dass der Engel sie jetzt so anspricht (das ist neu), macht für uns deutlich, dass sie nicht nur theoretisch, sondern im vollen, gleichsam paradiesischen Sinne, Begnadete ist. Die Kirche liest diese Anrede als Hinweis auf ihre Bewahrung vor der Erbsünde. Dass es sich um eine unübliche Aussage handelt, sehen wir an Marias Reaktion – sie erschrickt nicht vor dem Engel selbst, sondern vor der Anrede. Man kennt es von anderen Engelserscheinungen, dass die jeweiligen Personen auf ihr Gesicht fallen und eine heftige Reaktion zeigen. Maria dagegen fällt nicht auf ihr Gesicht, sondern fragt sich, was die Anrede zu bedeuten habe. Und dass sie keine Angst vor dem Engel hat, der ja voll der Herrlichkeit Gottes leuchtet, zeigt einen weiteren Hinweis auf ihre paradiesische, sündlose Natur. Wir hatten von Gen 3 kennengelernt, dass Angst (insbeonsdere die Angst vor der Herrlichkeit Gottes) ein nachsündlicher Zustand ist, der mit dem Sündenfall in den Menschen gekommen ist. In diesem Kontext ist die Aussage „fürchte dich nicht, Maria“ auf die Anrede zu beziehen. Das ist ja eine Aufforderung, die Engel den Menschen für gewöhnlich machen. Hier erhält sie eine neue Dimension.
Der Engel sagt ihr dann: „Der Herr (ist) mit dir.“ Im Griechischen handelt es sich um einen Nominalsatz, bei dem das Verb fehlt und deshalb steht das „ist“ in Klammern. Es ist sinngemäß hinzuzufügen und lässt eine Überzeitlichkeit zu: Es könnte sowohl eine Vergangenheitsform sowie eine Präsens- oder Zukunftsform eingesetzt werden. Gott war schon mit ihr, da er seinen Heilsplan für sie schon von Anbeginn der Zeit bereitet hat und ist jetzt mit ihr – auf so eine intensive Weise, dass er in ihr Fleisch annimmt. Er wird auch mit ihr sein, wenn Jesus dann von ihr geht und vorausgeht zum himmlischen Vater und Gott wird auch mit ihr sein am Ende ihres Lebens, wenn sie mit Leib und Seele in den Himmel aufgenommen wird. Auch mit uns ist der Herr, in unserem Herzen, in der Eucharistie, sogar physisch beim Kommunionempfang! Und auch wir werden am Ende der Zeiten ganz bei Gott sein. Wir glauben an eine leibliche Auferstehung, die der neuen Schöpfung verheißen wird und deren erste Exemplare Jesus und Maria sind.
Der Engel erklärt ihr, welchen Plan Gott mit ihr hat. Bemerkenswert ist wiederum ihre Reaktion. Sie stellt diese wunderbare Verheißung nicht infrage und zweifelt nicht daran. Im Gegenteil, sie versucht, es zu verstehen und fragt nach dem Wie. Bei ihrer Nachfrage wird das deutlich, was ich vorhin angeschnitten habe: Maria ist eine geweihte Jungfrau. Deshalb heißt es auch: „Wie soll das geschehen, da ich keinen Mann ERKENNE“. Es steht eindeutig ein dauerhaftes Verb in der Gegenwart (οὐ γινώσκω u ginosko „nicht erkenne“). Da steht nicht „noch nicht“. Es bestätigt, was das zuvor erwähnte Protevangelium sagt. Die außerbiblischen Schriften bezeugen, dass Marias Familie den Essenern nahestand, die den Messias am stärksten erwartet haben und bei denen die Enthaltsamkeit einen hohen Stellenwert hatte. Die Essener lebten eine mönchische Askese und standen der hasmonäischen Tempellobby kritisch gegenüber. Sie hielten an dem mosaisch eingesetzten Priestertum fest. Auch Johannes der Täufer sowie seine Familie, die ja mit Maria verwandt war, stand den Essenern nahe. Maria ist als Tempeljungfrau geweiht worden als Dank dafür, dass ihre Eltern zuerst kein Kind bekommen konnten. Gemäß Numeri 30 war der Plan, ihr Gelübde in die Ehe hineinzutragen. Davon kommt auch bis heute der Begriff der „Josefsehe“, also eine Ehe, die aus religiösen Gründen nicht vollzogen wird. Selbst wenn wir diese außerbiblischen Quellen nicht berücksichtigen, wird es uns über den Bibeltext verständlich: Warum sollte Maria nach dem Wie fragen, wenn sie in absehbarer Zeit heiraten würde und eine baldige Schwangerschaft erwarten konnte? Das würde ja nichts Wundersames bedeuten, sondern den natürlichen Lauf der Dinge.
Die Erklärung des Engels ist voll von alttestamentlichen Anspielungen. Maria hat als fromme und schriftkundige Jüdin (das sehen wir am besten am Magnificat, das eine geniale Kompilation verschiedenster Schriftzitate ist) diese erkannt und verstanden, dass es um den Messias geht.
Dadurch dass der Engel auf Elisabet verweist, wird Maria die übernatürliche Weise des Handelns Gottes verdeutlicht. Dieser kann über die von ihm selbst geschaffenen Naturgesetze hinweggehen und Wunder vollbringen. Für ihn ist alles möglich. Als wiederum fromme Jüdin kennt sie diese Art von Wunder bei heilsgeschichtlich bedeutenden Personen (so wie bei Isaak, Simson oder Samuel). Deshalb gibt sie voller Glauben ihr Ja. Und mit dieser schlichten Zusage „mir geschehe, wie du es gesagt hast“ wird der Vernichtungsplan des Teufels zunichte gemacht. Was der Böse mit dem ersten Menschenpaar erreicht hatte, ist mit einem einzigen Satz zerfallen. Der Ungehorsam und das Nein der ersten Frau, die auf die Schlange gehört hat, ist mit dem Ja dieser neuen Eva wieder gutgemacht worden. Während die erste Frau von der verbotenen Frucht aß und dadurch das ewige Leben verloren hat, empfing die zweite Frau die ewige Frucht, Jesus, der das ewige Leben wiederherstellen sollte.

Zu dem Ja Mariens tritt der Gehorsam Jesu Christi. So haben beide den Bestand des Königreiches Gottes herbeigeführt und es erfüllt sich, was Natan König David verheißen hat – es wird ein ewiges Königreich sein, in dem Frieden herrscht. Das ist absolut jubelnswert, so wie es Paulus vormacht und von dem die Psalmen durchdrungen sind. Voller Vorfreude können wir auf Weihnachten zugehen!

Ihre Magstrauss

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