17. Sonntag im Jahreskreis (C)

Gen 18,20-32; Ps 138,1-2b.2c-3.6-7b.7c-8; Kol 2,12-14; Lk 11,1-13

Gen 18
20 Der HERR sprach: Das Klagegeschrei über Sodom und Gomorra, ja, das ist angeschwollen und ihre Sünde, ja, die ist schwer.
21 Ich will hinabsteigen und sehen, ob ihr verderbliches Tun wirklich dem Klagegeschrei entspricht, das zu mir gedrungen ist, oder nicht. Ich will es wissen.
22 Die Männer wandten sich ab von dort und gingen auf Sodom zu. Abraham aber stand noch immer vor dem HERRN.
23 Abraham trat näher und sagte: Willst du auch den Gerechten mit den Ruchlosen wegraffen?
24 Vielleicht gibt es fünfzig Gerechte in der Stadt: Willst du auch sie wegraffen und nicht doch dem Ort vergeben wegen der fünfzig Gerechten in ihrer Mitte?
25 Fern sei es von dir, so etwas zu tun: den Gerechten zusammen mit dem Frevler töten. Dann ginge es ja dem Gerechten wie dem Frevler. Das sei fern von dir. Sollte der Richter der ganzen Erde nicht Recht üben?
26 Da sprach der HERR: Wenn ich in Sodom fünfzig Gerechte in der Stadt finde, werde ich ihretwegen dem ganzen Ort vergeben.
27 Abraham antwortete und sprach: Siehe, ich habe es unternommen, mit meinem Herrn zu reden, obwohl ich Staub und Asche bin.
28 Vielleicht fehlen an den fünfzig Gerechten fünf. Wirst du wegen der fünf die ganze Stadt vernichten? Nein, sagte er, ich werde sie nicht vernichten, wenn ich dort fünfundvierzig finde.
29 Er fuhr fort, zu ihm zu reden: Vielleicht finden sich dort nur vierzig. Da sprach er: Ich werde es der vierzig wegen nicht tun.
30 Da sagte er: Mein Herr zürne nicht, wenn ich weiterrede. Vielleicht finden sich dort nur dreißig. Er entgegnete: Ich werde es nicht tun, wenn ich dort dreißig finde.

31 Darauf sagte er: Siehe, ich habe es unternommen, mit meinem Herrn zu reden. Vielleicht finden sich dort nur zwanzig. Er antwortete: Ich werde sie nicht vernichten um der zwanzig willen.
32 Und nochmals sagte er: Mein Herr zürne nicht, wenn ich nur noch einmal das Wort ergreife. Vielleicht finden sich dort nur zehn. Er sprach: Ich werde sie nicht vernichten um der zehn willen.

In der ersten Lesung hören wir die Fortsetzung des 18. Genesis-Kapitels. Weil Abraham so eine große Berufung von Gott erhält – alle Völker sollen durch ihn Segen erlangen – wird der alte Mann in die Pläne Gottes einbezogen. Dieser erklärt ihm, dass Sodom und Gomorrha ganz verdorbene Städte sind, in denen das Klagegeschrei der Leidenden bis zu ihm durchgedrungen ist. Gott möchte dem Ganzen auf den Grund gehen. Die drei Männer machen sich auf den Weg nach Sodom. Wir erfahren nun, dass Gott noch immer bei Abraham ist. Handelt es sich bei den drei Männern also tatsächlich um Engel, die den Auftrag Gottes ausführen? Oder ist es Gott möglich, überall zu sein, und deshalb diese Beschreibung? Jedenfalls konfrontiert Abraham Gott mit der Frage, ob dieser das Kind mit dem Bade ausschütten möchte. Sollen auch die Gerechten in diesem Zuge dahingerafft werden?
So beginnt Abraham einzustehen für die wenigen Gerechten, die es in den beiden Städten noch gibt. Er tut genau das, was seine Berufung ausmacht: Für die anderen einstehen wie ein Priester, der Gott stellvertretend für das Volk um Verzeihung bittet. Er ist wie ein Vater, der sich schützend vor die ihm Anvertrauten stellt. Dabei sind die Bewohner Sodoms und Gomorrhas ihm gar nicht anvertraut in dem Sinne, dass es seine Bundesgenossen sind. Und doch müssen wir bedenken, dass Lot und sein ganzes Gefolge sich in den Städten angesiedelt hat.
So handelt Abraham immer mehr die Vernichtungspläne Gottes herunter: Wenn sich fünfzig Gerechte finden, möge Gott die Städte verschonen. Wenn sich nur 45 Gerechte finden, 40 Gerechte, 30 Gerechte und so weiter bis zu 10 Gerechten.
Gott lässt diese „Verhandlung“ zu, nicht weil er es bräuchte – alles ist doch längst eingeschlossen in seine wunderbare Vorsehung – sondern weil Abraham es braucht, weil die Bewohner Sodoms und Gomorrhas es brauchen. Gott lässt mit sich reden, was seine Barmherzigkeit offenbart.

Ps 138
1 Von David. Ich will dir danken mit meinem ganzen Herzen, vor Göttern will ich dir singen und spielen.

2 Ich will mich niederwerfen zu deinem heiligen Tempel hin, will deinem Namen danken für deine Huld und für deine Treue. Denn du hast dein Wort größer gemacht als deinen ganzen Namen.
3 Am Tag, da ich rief, gabst du mir Antwort, du weckst Kraft in meiner Seele.
6 Erhaben ist der HERR, doch er schaut auf den Niedrigen, in der Höhe ist er, doch er erkennt von ferne.
Du streckst deine Hand aus, deine Rechte hilft mir.
8 Der HERR wird es für mich vollenden. HERR, deine Huld währt ewig. Lass nicht ab von den Werken deiner Hände!

Der drohende Untergang Sodoms und Gomorrhas ist abgewandt worden. Dementsprechend passt der Lobpreis des Psalms sehr gut auf die Situation.
„Ich will dir danken mit meinem ganzen Herzen“. Wie gut ist unser Gott! Auch wenn wir seine Wege manchmal nicht verstehen, so hat er doch stets Pläne des Heils für uns. Er lässt mit sich reden, um die Strafe seiner geliebten Kinder abzuwenden. Er ist barmherzig und berücksichtigt jeden einzelnen Menschen, der für ihn offen ist.
Diese Worte können wir alle beten, denen uns das ewige Leben ermöglicht worden ist. Gott hat uns durch die Taufe das ewige Leben geschenkt. Dafür können wir von ganzem Herzen danken.
„Vor Göttern will ich dir singen und spielen“ – das tun die Israeliten immer wieder, wodurch diese den Gott Israels auch anerkennen. Dies ist natürlich rhetorisch zu verstehen, da es keine anderen Götter gibt. Entweder ist das Gottesbild des Komponisten monolatrisch, einer Phase der Gotteserkenntnis, bevor die Israeliten den Monotheismus in der Tiefe verstanden haben, in der nur der eine Gott Israels angebetet werden darf, die Existenz anderer Götter aber nicht ausgeschlossen wird, oder es ist im übertragenen Sinne zu verstehen als poetische Wendung, die eigentlich die Götzen meint.
„Ich will mich niederwerfen zu deinem heiligen Tempel hin“ – Diese Worte verraten uns, dass der Psalm in einem liturgischen Kontext gebetet worden ist. Das Loblied ist im Vorhof des Tempels gesungen worden. Seitdem es den Tempel aber nicht mehr gibt und Jesus den Anbetungsort mit seiner Person verknüpft hat (nämlich vor der Frau am Jakobsbrunnen in Joh 4), beten wir den Psalm nun, indem wir uns vor Jesus Christus niederwerfen, dem wahren Anbetungsort mit eucharistischer Gegenwart hier auf Erden. Und in der Ewigkeit braucht es dann nicht mal mehr einen Tempel, da Gott unverhüllt gegenwärtig sein wird.
„Am Tag, da ich rief, gabst du mir Antwort.“ Gott erhört Bitten, immer. Die Art und Weise ist uns nur nicht immer bewusst, ebenso der Zeitpunkt seiner Erhörung. Gott ist ganz autonom in seinem Wirken und sein Timing unterscheidet sich von unserem.
Auch wenn Gott autonom ist, der ganz andere, der erhaben thront auf dem himmlischen Thron, ist er uns doch nahe. Er weiß um jedes seiner Geschöpfe. Er prüft uns auf Herz und Nieren und sieht all unsere Beweggründe. Er weiß um die Absichten und um das kleinste Fünkchen Hoffnung in unserem Herzen. Über den Messias heißt es, dass er das geknickte Rohr nicht bricht. Wo auch nur ein bisschen Offenheit da ist, da tut er alles, um das Herz des Menschen zu gewinnen. Das ist auch der Grund, warum Abraham bei Gott in der ersten Lesung Erfolg hatte.
„Du streckst deine Hand aus, deine Rechte hilft mir.“ Diese Geste ist auf Gott bezogen sinnbildlich zu verstehen, denn er ist Geist. Er hat keine Hand, die er ausstrecken kann. Doch als menschgewordener Gott zeigt er uns diese Geste wortwörtlich! Wie oft werden wir Zeugen von Heilungswundern Jesu Christi, bei denen er seine Hand ausstreckt und die Menschen berührt. Sehr oft ergreift er die rechte Hand der zu Heilenden, sodass diese sich erheben können – so die tote Tochter des Jairus oder die Gelähmten.
Die Aussage in Vers 8 ist eine tiefe Vertrauensbekundung, dass Gott dem Beter helfen wird. Schließlich endet der Psalm mit der Bitte, auf ewig sein göttliches Wirken walten zu lassen. Gottes Taten sind so groß! Er hat immer wieder Überraschungen für den Menschen bereit und überschüttet ihn mit seinem Heil.

Kol 2
12 Mit Christus wurdet ihr in der Taufe begraben, mit ihm auch auferweckt, durch den Glauben an die Kraft Gottes, der ihn von den Toten auferweckt hat.
13 Ihr wart tot infolge eurer Sünden und euer Fleisch war unbeschnitten; Gott aber hat euch mit Christus zusammen lebendig gemacht und uns alle Sünden vergeben.
14 Er hat den Schuldschein, der gegen uns sprach, durchgestrichen und seine Forderungen, die uns anklagten, aufgehoben. Er hat ihn dadurch getilgt, dass er ihn an das Kreuz geheftet hat.

In der zweiten Lesung aus dem Kolosserbrief erklärt Paulus die Bedeutung der Taufe.
Christus hat uns erlöst. So wie er begraben wurde und auferweckt worden ist, werden es alle Getauften zusammen mit ihm, wenn sie sich taufen lassen. Die Taufe ist das äußere Zeichen des Glaubens, der die Voraussetzung für die Taufe ist. Das betont Paulus immer wieder, weil viele meinen, das Halten der Torah sei Voraussetzung für die Taufe. Die Taufe ist auch mehr als ein bloßes Zeichen im Sinne eines Symbols. Im Gegensatz zur Johannestaufe wird sie mit der Kraft Gottes gespendet. Sie ist ein Sakrament, bei dem der hl. Geist am Menschen wirkt. Gott ist ein Gott des Lebens. Er hat Christus von den Toten auferweckt und er schenkt somit auch den Getauften ein neues Leben – das ewige Leben nach dem Tod.
Zuvor waren die Menschen infolge ihrer Sünden tot. Das ist einerseits ein moralischer Ausdruck, denn wer in Todsünde lebt, ist vom Gott des Lebens abgeschnitten. Das ist andererseits ein anagogischer Ausdruck, denn der Mensch in Todsünde stirbt auch den seelischen Tod. Das heißt, dass er nach dem Tod ewig von Gott abgeschnitten ist. Die Christen von Kolossä waren auch unbeschnitten. Die griechische Formulierung sowie die Zusammensetzung der Christen in Kolossä lässt darauf schließen, dass damit wirklich wörtlich die Beschneidung gemeint ist. Es handelt sich nämlich größtenteils um Heidenchristen, die ja unbeschnitten waren. Das gesamtbiblische Zeugnis zeigt uns natürlich immer wieder die Beschneidung des Herzens auf, die entscheidend ist. Dass die Kolosser unbeschnitten waren, spielt ja heilsgeschichtlich keine Rolle, denn sie haben genauso wie die beschnittenen Juden die Taufe angenommen. Lebendig hat Gott die Kolosser nicht durch die Beschneidung, sondern durch die Taufe gemacht und dabei gerechtfertigt. Die Taufe ist das Sakrament der Sündenvergebung schlechthin und bewirkt eine geistige Beschneidung am Herzen.
Der überwältigende Schuldsein ist dadurch gestrichen worden, dass Christus für uns am Kreuz gestorben ist. Diese Schuldentilgung ist theoretisch für jeden Menschen geschehen, doch nur wer diese auch für sich selbst annimmt, der hat letztendlich etwas davon. Die Kolosser haben dies getan, deshalb gehören sie zur Gemeinde von Kolossä.

Lk 11
1 Und es geschah: Jesus betete einmal an einem Ort; als er das Gebet beendet hatte, sagte einer seiner Jünger zu ihm: Herr, lehre uns beten, wie auch Johannes seine Jünger beten gelehrt hat!
2 Da sagte er zu ihnen: Wenn ihr betet, so sprecht: Vater, geheiligt werde dein Name. Dein Reich komme.
3 Gib uns täglich das Brot, das wir brauchen!
4 Und erlass uns unsere Sünden; denn auch wir erlassen jedem, was er uns schuldig ist. Und führe uns nicht in Versuchung!

5 Dann sagte er zu ihnen: Wenn einer von euch einen Freund hat und um Mitternacht zu ihm geht und sagt: Freund, leih mir drei Brote;
6 denn einer meiner Freunde, der auf Reisen ist, ist zu mir gekommen und ich habe ihm nichts anzubieten!,
7 wird dann der Mann drinnen antworten: Lass mich in Ruhe, die Tür ist schon verschlossen und meine Kinder schlafen bei mir; ich kann nicht aufstehen und dir etwas geben?
8 Ich sage euch: Wenn er schon nicht deswegen aufsteht und ihm etwas gibt, weil er sein Freund ist, so wird er doch wegen seiner Zudringlichkeit aufstehen und ihm geben, was er braucht.
9 Darum sage ich euch: Bittet und es wird euch gegeben; sucht und ihr werdet finden; klopft an und es wird euch geöffnet.
10 Denn wer bittet, der empfängt; wer sucht, der findet; und wer anklopft, dem wird geöffnet.
11 Oder welcher Vater unter euch, den der Sohn um einen Fisch bittet, gibt ihm statt eines Fisches eine Schlange
12 oder einen Skorpion, wenn er um ein Ei bittet?
13 Wenn nun ihr, die ihr böse seid, euren Kindern gute Gaben zu geben wisst, wie viel mehr wird der Vater im Himmel den Heiligen Geist denen geben, die ihn bitten.

Heute hören wir einen Abschnitt aus dem Lukasevangelium, in dem Jesus den Jüngern das Vaterunser beibringt und dann über das vertrauensvolle Bitten. Es ist so, dass die Jünger Jesus beten sehen. Sie bitten ihn darum, dass er ihnen die Gebetsweise beibringe, die auch der Täufer seinen Jüngern beigebracht hat. Und so erklärt Jesus zunächst einmal die ersten Bitten, die im Grunde Wünsche darstellen, die sich auf Gott beziehen. Erst dann kommen Bitten für die Beter selbst. So soll es sein. Wir sollen nicht selbstzentriert beten, sondern zuerst auf den schauen, zu dem wir beten. Wir sollen ihn preisen und ihm die Ehre geben, bevor wir irgendetwas erbitten. Wir sagen Gott zu, dass sein Name geheiligt werden soll, deshalb der Konjunktiv „geheiligt werde“. Zudem soll sein Reich kommen. Was Jesus grundgelegt hat, soll sich ausweiten (in der Matthäusversion heißt es deshalb auch „wie im Himmel so auf Erden“), sodass das angebrochene Reich Gottes sich überall durchsetzt und offenbar wird. Gottes Wille soll überall geschehen. Im Himmel und auf der Erde, in der unsichtbaren Welt sowie in der sichtbaren Welt. Die Durchsetzung des Willens Gottes ist bereits in der unsichtbaren Welt erfolgt. Der Satan und seine gefallenen Engel sind aus dem Himmel verbannt, sodass hier Gottes Reich schon ganz und gar durchgesetzt ist. So wie es schon im Himmel ist, so soll es auch auf der Erde sein: Der Böse und seine Heerscharen sollen besiegt und von der Erde verbannt werden. Gottes Reich und sein Wille sollen ganz und gar auf Erden herrschen.
Dann beginnt der zweite Teil des Gebetes, der nun Bitten für die Menschen beinhaltet: „Gib uns täglich das Brot, das wir brauchen“ drückt die Haltung aus, die schon die Väter in der Wüste gelernt haben: Gott gab jeden Tag Manna vom Himmel und nur so viel, dass es für den jeweiligen Tag reichte. So lernten die Menschen, Tag für Tag auf Gottes Vorsehung zu vertrauen. Wir bitten also von Tag zu Tag um die Güter, die wir für den jeweiligen Tag brauchen. So ist unsere Bitte frei von Habgier. Die Gabe von Manna ist zudem typologisch zum Himmelsbrot Christi zu betrachten, der von sich aus sagt: „Eure Väter haben in der Wüste das Manna gegessen und sind gestorben. So aber ist es mit dem Brot, das vom Himmel herabkommt: Wenn jemand davon isst, wird er nicht sterben. Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel herabgekommen ist. Wer von diesem Brot isst, wird in Ewigkeit leben. (Joh 6,49-51).“ Es geht also nicht mehr nur um das tägliche Brot zur Nährung des Leibes! Wir bitten also mit dieser Vaterunserbitte auch gerade um die tägliche Eucharistie. Sie nährt unsere Seele, auf dass auch wir nicht sterben werden, sondern das ewige Leben haben.
Gott soll uns ferner unsere Schuld vergeben, wie auch wir unseren Schuldigern vergeben. Gott soll uns in dem Maß vergeben, wie wir unseren Mitmenschen vergeben. Wenn wir möchten, dass Gott uns vergibt, können wir nicht gleichzeitig im unversöhnten Zustand mit unseren Mitmenschen sein. Wir setzen also die Bedingung, ob Gott uns vergibt, weil durch unser freiwillig verhärtetes Herz die vergebende Gnade nicht hineinkommt. Jesus sagt, wir sollen unsere Feinde lieben und für jene beten, die uns hassen. Das heißt aber nicht, dass wenn wir ihnen vergeben, wir ihre Taten gutheißen. Wir sagen uns nur von dem Zorn und den Rachegefühlen, dem Gift dieser schlechten Beziehung los. Wir überlassen Gott das Richten und sind plötzlich frei. Wir hängen nicht mehr an diesen schlechten Gefühlen, die uns von innen komplett vergiften.
„Und führe uns nicht in Versuchung“ heißt nicht, dass Gott selbst uns in Versuchung führt. Der Versucher ist immer nur der Böse. Gott ist nur gut. Gott kann uns aber erproben und das ist das Missverständliche an der Doppeldeutigkeit des griechischen Begriffs πειρασμός peirasmos: Es kann Versuchung (zur Sünde) meinen, aber eben auch Probe, Prüfung. Dabei bitten wir nicht darum, dass Gott uns nicht erproben soll, sondern dass wir dabei vor Verzweiflung bewahrt werden bzw. der Versuchung nicht anheimfallen. Wir können nicht vor allem bewahrt bleiben, solange der Böse auf Erde einen Spielraum hat. Der Kampf hat erst ein Ende, wenn das Reich Gottes auch auf Erden etabliert ist und der Böse endgültig vernichtet worden ist.
„Bittet und es wird euch gegeben“ – er ist bereit, alles zu geben, nur müssen wir das auch in Anspruch nehmen. Er ist großzügig, aber wir müssen ihm auch vertrauen. Bitten wir mit reinem Herzen und im Stand der Gnade. In diesem Zustand können wir alles erbitten und Gott nimmt uns ernst. Wir denken an Abraham zurück, dessen Bitten Gott nicht ausgeschlagen hat, weil er ein gerechter Mann war.
„Sucht und ihr werdet finden; klopft an und es wird euch geöffnet“ – Wie viele Personen aus der Bibel und auch viele Heilige haben ihr Leben lang Gott gesucht und ihn gefunden, weil er sie gefunden hat. Besonders eindrücklich sehen wir das am Leben des Augustinus, der verschiedene Stationen durchlaufen hat und jedesmal gemerkt hat, dass es noch nicht das Ende war (von verschiedenen philosophischen Schulen bis hin zur Sekte der Manichäer).
Jesus möchte, dass seine Jünger Gott wirklich vertrauensvoll bitten und nicht meinen, dass es sowieso nichts bringt, Bittgebete an ihn zu richten.
Er vergleicht Gottes Großzügigkeit beim Geben mit den Menschen: Sogar unvollkommene Menschen („ihr, die ihr böse seid“) geben dem Anderen etwas, wenn er darum bittet. Dies verdeutlicht er durch rhetorische Fragen: „Oder welcher Vater unter euch, den der Sohn um einen Fisch bittet, gibt ihm statt eines Fisches eine Schlange oder einen Skorpion, wenn er um ein Ei bittet?“ Man gibt vor allem den eigenen Kindern, was sie brauchen. Jesus verwendet das Beispiel der Vater-Kind-Beziehung, weil er den Menschen seinen Vater nahebringen will. Auch sie dürfen ihn Vater nennen, so hat es Jesus sie ja durch das Vaterunser gelehrt.
Der Vater im Himmel ist nur gut und gibt umso mehr Gaben, wenn man ihn darum bittet als ein unvollkommener Mensch, dessen Großzügigkeit begrenzt ist.
Jesus erklärt die entscheidenden Dinge immer mithilfe von Bildern, Vergleichen, Metaphern etc. Und so schildert er zu Beginn des Evangeliums die Szenerie, dass man um Mitternacht zu einem Freund geht, also jemand, dem man wohlgesinnt ist, und um drei Brote bittet. Dieser wird einem öffnen und das Erbetene geben, wenn schon nicht wegen der Freundschaft, dann wegen der Zudringlichkeit. Umso mehr gibt Gott, wenn wir ihn eindringlich bitten. Er ist absolut gut, gerecht und liebevoll. Er ist bereit, „sein letztes Hemd“ für uns zu geben, wenn er eins hätte. Aber er hat es auch tatsächlich hergegeben – seinen einzigen Sohn! Und Jesus hat sogar sein letztes Hemd gegeben. Die Soldaten haben es unter sich ausgelost. Wenn der Vater schon bereit war, sein Allerliebstes für uns dahinzugeben, wie sehr wird er uns dann mit dem täglichen Brot, mit allem, was wir brauchen, beschenken! Nehmen wir seine Großzügigkeit in Anspruch mit reinem Herzen und guter Absicht. Bitten wir ihn vertrauensvoll darum, was wir brauchen! Wir dürfen nicht zu stolz sein, Gott zu bitten. Darin sollen wir sein wie Kinder. Sie grübeln nicht lange darüber, ob und wie sie etwas ansprechen, sondern fragen ganz unverblümt ihre Eltern um das, was sie brauchen. Wenn sie Hunger haben, sagen sie direkt „ich habe Hunger, gib mir etwas zu essen.“ So sollen wir auch mit dieser kindlichen Demut die Hände aufhalten und uns von Gott geben lassen, was wir nicht selbst herbeiführen können. Dabei müssen wir realisieren: Wir haben unser Leben nicht unter Kontrolle. Wir machen uns die Gesundheit nicht selbst, ebenso wenig den Beruf, den Frieden, die Fruchtbarkeit, den Erfolg etc. Wir können unser Bestes geben, was in unserer Macht steht, aber wir haben es im Letzten nicht in der Hand. Es ist nicht automatisch so, dass wir eine Arbeitsstelle bekommen, nur weil wir uns anstrengen bei der Bewerbung. Es ist nicht automatisch so, dass man ein Kind bekommt, nur weil man alle Umstände berücksichtigt und zur rechten Zeit miteinander zusammenkommt. Man bleibt nicht automatisch gesund, nur weil man sich gut ernährt, Sport treibt, viel an der frischen Luft ist. Guter Dünger auf den Pflanzen garantiert keine gute Ernte. Was ist mit den Konkurrenten bei der Bewerbung, der körperlichen Beeinträchtigung, der möglichen Unfruchtbarkeit, der Prädisposition zu einer schlimmen Krankheit oder schlechtes Wetter? Wir Menschen haben unser Leben nicht unter Kontrolle. Wir sind auf Gottes Gnade und Segen angewiesen. Je schneller wir uns dessen bewusst werden, desto weniger Leid erfahren wir in unserem Leben. Kommen wir noch heute zu ihm, vertrauensvoll wie ein Kind auf den Schoß seiner Mutter oder seines Vaters. Bergen wir uns beim himmlischen Vater und bitten wir ihn um seine Gnade!

Das Gebet, das Jesus seinen Jüngern beigebracht hat, beten wir bis heute. Es ist die Essenz unseres Betens. Wir können es aber nur dann aufrichtig beten, wenn wir unser Leben wirklich der Vorsehung Gottes überlassen, mit Vertrauen zum Vater beten und Vergebungsbereitschaft gegenüber unseren Schuldnern aufweisen. Sonst ist das Vaterunser auf unseren Lippen ein Schauspiel, eine Heuchelei. Gott durchschaut das sofort. Er sieht aber auch wie im Falle Abrahams die Aufrichtigkeit des Gebets und nimmt sich jedes Menschen an, auch wenn er hoch und erhaben im Himmel thront.

Ihre Magstrauss

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