Koh 11,9 – 12,8; Ps 90,3-4.5-6.12-13.14 u. 17; Lk 9,43b-45
Koh 11
9 Freu dich, junger Mann, in deiner Jugend, sei heiteren Herzens in deinen frühen Jahren! Geh auf den Wegen, die dein Herz dir sagt, zu dem, was deine Augen vor sich sehen! Und sei dir bewusst, dass Gott über all dies mit dir ins Gericht gehen wird!
10 Halte deinen Sinn von Ärger frei und schütz deinen Leib vor Krankheit; denn die Jugend und das dunkle Haar sind Windhauch!
1 Denk an deinen Schöpfer in deinen frühen Jahren, ehe die Tage der Krankheit kommen und die Jahre dich erreichen, von denen du sagen wirst: Ich mag sie nicht!,
2 ehe Sonne und Licht und Mond und Sterne erlöschen und auch nach dem Regen wieder Wolken aufziehen:
3 am Tag, da die Wächter des Hauses zittern, die starken Männer sich krümmen, die Müllerinnen ihre Arbeit einstellen, weil sie zu wenige sind, es dunkel wird bei den Frauen, die aus den Fenstern blicken,
4 und das Tor zur Straße verschlossen wird; wenn das Geräusch der Mühle verstummt, steht man auf beim Zwitschern der Vögel, doch alle Töchter des Liedes ducken sich;
5 selbst vor der Anhöhe fürchtet man sich und vor den Schrecken am Weg; der Mandelbaum blüht, die Heuschrecke schleppt sich dahin, die Frucht der Kaper platzt, doch ein Mensch geht zu seinem ewigen Haus und die Klagenden ziehen durch die Straßen –
6 ja, ehe die silberne Schnur zerreißt, die goldene Schale bricht, der Krug an der Quelle zerschmettert wird, das Rad zerbrochen in die Grube fällt,
7 der Staub auf die Erde zurückfällt als das, was er war, und der Atem zu Gott zurückkehrt, der ihn gegeben hat.
8 Windhauch, Windhauch, sagte Kohelet, das ist alles Windhauch.
In der Lesung aus dem Buch Kohelet hören wir heute von der Jugend und dem Alter, bevor der Abschnitt zum Anfang des Buches zurückkehrt mit dem Spruch über den Windhauch.
„Freu dich, junger Mann, in deiner Jugend, sei heiteren Herzens in deinen frühen Jahren!“ Es ist, als ob der alt gewordene Salomo sich selbst im Blick hat, wenn er an die Jugend appelliert, diese Zeit auszukosten. Er selbst hat wirklich eine goldene Jugend durchlebt. Sein Königtum war das prunkvollste von allen. Er war über und über vom Segen Gottes überschüttet.
Er sagt zugleich, dass die jungen Menschen auf ihr Herz hören sollen – gemeint ist nicht, den Trieben und Instinkten zu folgen, was heute meistens mit dieser Aussage gemeint ist. Dabei meint es in biblischer Metaphorik gerade nicht das Herz, sondern den Bauch. Was Salomo hier aber meint, ist das Gewissen des Menschen. Der Mensch soll sich für Gott entscheiden, für seine Gebote. Das Herz ist der Sitz von Entscheidungen, der Ausgleich von Kopf und Bauch, eine Vermittlung von Ratio und Emotio. Dass die Entscheidung für Gott getroffen werden soll, erkennen wir am nächsten Satz, dass wir in jungen Jahren schon das Gottesgericht im Blick haben sollen. Wir müssen uns unser Leben lang bewusst sein, dass wir für alles Rechenschaft ablegen werden. Das bedeutet, dass Gott auch die Eskapaden der Jugend nicht einfach ignorieren wird und der Mensch an Gott erst im Alter nachzudenken beginnt.
Egal ob im jungen oder fortgeschrittenen Alter – wir müssen Sorge um uns selbst tragen, indem wir nicht grollen und verantwortungsvoll mit unserer Gesundheit umgehen. Wenn wir nur an das Jetzt denken und meinen: „Ach, ist doch egal, ich bin noch jung, meine Leber verträgt den Alkoholgehalt schon irgendwie“, dann werden wir eine böse Überraschung im Alter erleben. Unser leichtsinniges Verhalten der Jugend wird uns dann einholen.
Noch einmal sagt Salomo, dass wir schon in jungen Jahren beginnen sollen, an Gott zu denken, nicht erst, wenn wir alt und krank sind. Gemeint ist vor allem, dass der Mensch noch rechtzeitig umkehren soll, bevor es zu spät ist. In mehreren poetischen Ausdrücken, in bildreicher Sprache sagt er, dass der Mensch sich bekehren soll, bevor die Welt aufhört, zu sein. Deshalb nennt er die Himmelskörper, die ihre Funktion einstellen, und das Zittern der Wächter. Das ist ein gängiges Bild für die kommende Endzeit auch im Neuen Testament.
Der Mensch soll auch umkehren, bevor sein eigenes Leben zuende geht, die „silberne Schnur zerreißt, die goldene Schale bricht, der Krug an der Quelle zerschmettert wird“ etc. Der Mensch soll sich Gott wieder zuwenden, bevor er stirbt und seine Beerdigung stattfindet, bevor „das Rad zerbrochen in die Grube fällt, der Staub auf die Erde zurückfällt als das, was er war, und der Atem zu Gott zurückkehrt, der ihn gegeben hat.“ Das greift die Schöpfungsgeschichte auf: Gott hat den Menschen aus der Erde des Ackerbodens geformt und ihm den Geist eingehaucht. Beides gibt der Mensch mit dem Tod zurück an seinen Schöpfer.
Das Leben geht schnell vorbei, es ist wirklich wie ein vorbeiziehender Wind. So schließt Salomo seine Ausführungen, wie er sie begonnen hat, mit dem Ausruf „Windhauch, Windhauch“.
Ps 90
3 Zum Staub zurückkehren lässt du den Menschen, du sprichst: Ihr Menschenkinder, kehrt zurück!
4 Denn tausend Jahre sind in deinen Augen wie der Tag, der gestern vergangen ist, wie eine Wache in der Nacht.
5 Du raffst sie dahin, sie werden wie Schlafende. Sie gleichen dem Gras, das am Morgen wächst:
6 Am Morgen blüht es auf und wächst empor, am Abend wird es welk und verdorrt.
12 Unsere Tage zu zählen, lehre uns! Dann gewinnen wir ein weises Herz.
13 Kehre doch um, HERR! – Wie lange noch? Um deiner Knechte willen lass es dich reuen!
14 Sättige uns am Morgen mit deiner Huld! Dann wollen wir jubeln und uns freuen all unsre Tage.
17 Güte und Schönheit des Herrn, unseres Gottes, sei über uns! Lass gedeihen das Werk unserer Hände, ja, das Werk unserer Hände lass gedeihn!
Was wir in der Lesung betrachtet haben, fassen wir in dem Psalm 90 zusammen – die Vergänglichkeit unseres Lebens. Es handelt sich um einen Klagepsalm, der die Vergänglichkeit des Menschen gleichsam beklagt.
„Zum Staub zurückkehren lässt du den Menschen, du sprichst: Ihr Menschenkinder, kehrt zurück!“ Das drückt den Kreislauf des Lebens gut aus, auch hier spielt es auf die Schöpfung des Menschen aus dem Ackerboden an. Deshalb heißt der Mensch ja auf Hebräisch auch Adam. Es leitet sich von dem Wort Adamah ab, das „Ackerboden“ heißt.
„Tausend Jahre sind in deinen Augen wie der Tag, der gestern vergangen ist, wie eine Wache in der Nacht.“ Die Nachtwachen dauern laut jüdischer Zählung um die vier Stunden im Gegensatz zur römischen Zählung von drei. Das hängt damit zusammen, dass die Juden die Nacht in drei Phasen aufteilen. Bei Gott gibt es keine Zeit. Er lebt in der Ewigkeit und die Kategorie der Zeit gehört zum Bereich der Schöpfung. Bei Gott ist Timing also ganz anders als bei den Menschen. Das erkennt schon Mose, auch wenn er noch nicht so viele eschatologische Betrachtungen anstellt. Hier wird ein Bild aufgegriffen, dass wir schon bei Salomo gehört haben, wenn es um die zitternden Wachen geht.
Das Leben des Menschen ist schnell vorbei, es ist wie mit dem Gras, das schnell wächst, aber auch schnell verdorrt. Mose vergleicht den Tod mit dem Schlaf. Wer gestorben ist, wird wie ein Schlafender. Diese Tradition zieht sich durch die gesamte Bibel, soweit dass sogar Paulus von den Entschlafenen spricht und die Auferstehung Jesu von den Toten „Auferweckung“ genannt wird.
Mit Vers 12 erreichen wir den Kern des Psalms, denn er beinhaltet die zentrale Bitte an Gott: „Unsere Tage zu zählen, lehre uns! Dann gewinnen wir ein weises Herz.“ Gott möge den Israeliten damals wie uns Christen heute die Gnade schenken, das Leben bewusst zu leben. Jesus nennt es „wachsam sein“ und nüchtern bleiben statt berauscht von der Weltlichkeit der Welt. Wir sollen immer so leben, als wäre es unser letzter Tag. Dann werden wir ihn bewusst durchleben und uns von Herzen um ein Leben nach den Geboten bemühen. Wir sollen nicht so dahinvegetieren, als gebe es kein Morgen, perspektivlos und unmotiviert. Wir sollen stets sinnerfüllt leben. Wenn Gott uns seine Weisheit schenkt, wird unser Herz weise. Diese Weisheit ist ewig und vollkommen, weil sie eine Gabe Gottes darstellt.
„Kehre doch um, HERR! – Wie lange noch? Um deiner Knechte willen lass es dich reuen!“ Gott soll nicht umkehren wie ein Mensch im Sinne einer Bekehrung von den Sünden. Gott ist vollkommen und heilig, er ist nur gut. Aber er soll sein Angesicht den Israeliten wieder zuwenden. Mose betet diese Worte wohl im Kontext eines Leidens aufgrund der Sünden des Volkes. Wir verstehen heute, dass nicht Gott sein Angesicht von uns abwendet, sondern der Mensch sich von ihm entfernt. Gott muss nichts „bereuen“, weil das eine Eigenschaft ist, die sündige Menschen haben können, nicht der heilige Gott. Das ist eine menschliche Sichtweise auf Gott, die ihrer Zeit geschuldet ist. Wir erkennen an so einer Bibelstelle, dass es auch menschliche Einflüsse gibt, viele Anthropomorphismen, Gottesbilder aus Sicht von Menschen einer bestimmten Zeit und Kultur. Die Wendung „wie lange noch“ ist typisch für Klagepsalmen und beweist, dass die Menschen damals durchaus verstanden haben, dass Leiden zeitlich begrenzt ist. Gott lässt nicht zu, dass der Mensch ewig leiden muss. Jene, die Gott fürchten, werden das ewige Heil genießen, das Kreuz ist aber zeitlich streng begrenzt.
„Sättige uns am Morgen mit deiner Huld“ – Gott soll dem Israeliten Segen verleihen für den Tag. Das gilt auch für uns heute. Wenn wir den Morgen mit einer guten Meinung begehen und alles im Laufe des Tages Gott zur Ehre und in seiner Gegenwart tun, dann wird es geheiligt und gereinigt. Dann erfüllt es unseren Tag mit Sinn. Dann leben wir so, dass wir die Beschränktheit unseres Lebens stets vor Augen haben. Und wenn Gottes Segen über allem steht, dann ist der Mensch zeitlebens glücklich. Von Gott hängt ab, ob das Werk unserer Hände gedeiht, Früchte trägt, etwas Gutes bringt. Der Morgen kann mit Blick auf die Lesung auf die Jugend des Menschen bezogen werden. Nicht umsonst sagen wir ja auch „Lebensabend“. Lesen wir diesen Vers also biographisch heißt es, dass Gott uns in der Jugend seine Huld erweisen soll. Wenn Gott schon im frühen Alter Segen verleiht, wird dieser das ganze Leben hindurch anhalten.
Lk 9
43 Alle Leute staunten über das, was Jesus tat; er aber sagte zu seinen Jüngern:
44 Behaltet diese Worte in euren Ohren: Der Menschensohn wird nämlich in die Hände von Menschen ausgeliefert werden.
45 Doch die Jünger verstanden den Sinn seiner Worte nicht; er blieb ihnen verborgen, sodass sie ihn nicht begriffen. Aber sie scheuten sich, Jesus zu fragen, was er damit sagen wollte.
Im Evangelium hören wir eine Leidensankündigung Jesu. Es ist kurz vorher bereits geschehen. Die Jünger werden in der heutigen Episode bemerkt haben, dass Jesus sich wiederholt und damit wichtige Worte zu ihnen sagt. Doch sie verstehen ihn zum wiederholten Mal nicht und trauen sich nicht, ihn nach dem Sinn seiner Worte zu fragen. Diese sehr kurze Episode hat dennoch eine wichtige Bedeutung für uns. Wie oft ist es so, dass Gott uns seinen Willen kundtut und wir ihn nicht verstehen? Oft begreifen wir nicht, was für einen konkreten Plan er mit uns hat. Dann offenbart er es uns wiederholt, doch wir verstehen es einfach nicht. Erst mit dem Alter, mit der Reife, im Verlauf des Lebens, in Bewegung auf dem Weg seiner Gebote verstehen wir nach und nach, was Gott von uns möchte. Das ist sehr realistisch, denn wir Menschen sind begrenzte Wesen, dessen Ratio einen ganz kleinen Bruchteil der Intelligenz Gottes darstellt.
Doch Gott ist geduldig. Immer wieder gibt er uns seinen Willen zu verstehen. Der Geist Gottes gibt uns Dinge ein auf ganz verschiedenen Wegen – durch die Hl. Schrift, durch Ereignisse, durch andere Menschen, durch Gedanken und Träume. Und typisch für den Geist Gottes ist die Wiederholung. Wenn Gott uns etwas Entscheidendes mitteilen möchte, tut er dies nicht nur einmalig und dann heißt es „Pech gehabt“, wenn man es beim ersten Mal nicht verstanden hat. So ist es nicht, denn Gott möchte sicherstellen, dass wir ihn verstehen. So versucht er es immer wieder auf verschiedenen Wegen, sodass wir durch die Wiederholung irgendwann verstehen, dass es kein normaler Traum war, nicht unsere eigenen Gedanken sind, nicht zufällig diese Bibelstelle uns begegnet und die Worte des Mitmenschen nicht einfach dahergesagt sind.
Und damit wir Gottes Willen in unserem Leben erkennen, müssen wir, wie Salomo es uns heute erklärt hat, schon früh beginnen, die Ohren zu spitzen, nicht erst, wenn wir alt und krank geworden sind. Der Prophet Samuel hat schon als Heranwachsender die Stimme Gottes vernommen. Seine Hellhörigkeit soll auch uns heute ein Vorbild sein. Es geht um Ge-hor-sam, ein Hinhören auf Gottes Willen.
Ihre Magstrauss