Mein Sonntags-Senf #2 – Zwischen Angriff und Verteidigung

Liebe Freunde,

in der vergangenen Woche drehte sich alles darum, wie die Vorgänge in Rom, insbesondere bezüglich der Kirche in Deutschland, zu bewerten sind. Die einen verfahren gemäß einer „Hermeneutik des Verdachts“ und sehen in allem eine Bestätigung für ihre kritische Sicht auf das aktuelle Pontifikat bis hin zu sedisvakantistischen Ausmaßen. Die anderen interpretieren die jüngsten Ereignisse zugunsten des Papstes und der römischen Kurie.

Worum geht es zum Beispiel?

Nehmen wir die jüngsten Bischofsernennungen: Am Samstag, den 9. Dezember wurde allgemein öffentlich, dass in Paderborn als neuer Erzbischof der ehemalige Mainzer Generalvikar Udo Bentz gewählt worden ist. In Bamberg wird neuer Erzbischof der bisherige Weihbischof Herwig Gössl. Diese Ernennungen haben polarisiert: Die einen sehen darin einmal mehr die Ambivalenz des aktuellen Pontifikats – erst einen so klaren Brief an vier ehemalige Synodalinnen schreiben und dann nicht eindeutig durchgreifen. Die anderen haben dafür eine Erklärung – man muss besonnen vorgehen, um einen Knall in Deutschland zu vermeiden.

Zugegebenermaßen spricht für die erste Interpretation die Gesamtheit vieler Situationen, in denen das Tun und Sagen des Papstes und seiner Mitarbeiter auseinanderklaffen. Mit Blick auf andere Fälle, in denen der hl. Vater konsequent durchgegriffen hat – siehe Strickland oder nun auch die Situation um Kardinal Burke – fragt man sich schon, warum er dies nicht längst bei den deutschen Bischöfen tut. Dieses Misstrauen, das entsteht, wenn man dieses Fallbeispiel isoliert betrachtet und nicht das größere Bild sieht bzw. die Strategien und das Procedere Roms nicht kennt, wird noch dadurch befeuert, dass in letzter Zeit Artikel kursieren wie jener hier. Darin wird das „Sündenregister“ des Papstes aufgeführt, das beweise, dass man bei der letzten Papstwahl nicht genügend darüber in Kenntnis gesetzt worden war, wen man da wählte. Gerade aus den USA kommen dann auch im Kontext der Weltsynode kritische Stimmen namhafter Theologen und Kirchenanalytiker, z.B. George Weigel, den ich sehr schätze. In einem aktuellen Beitrag bringt er den Brief an die vier Synodalinnen mit der Weltsynode zusammen. Was der Papst am deutschen Synodalen Weg kritisiere, sei gewissermaßen bei der Weltsynode geduldet worden wie die Selbstreferentialität der Kirche.
Sehr oft wird aus dem Verhalten des Papstes geschlossen, dass er den deutschen Reformweg eigentlich begrüße, die Deutschen jedoch zu schnell vorpreschen und ihm zuvorkommen würden. Nochmal Weigel: Da lehnt sich dann Georg Bätzing süffisant lächelnd zurück und lässt die anderen machen, wenn es um die heißen Eisen geht. Schließlich seien diese Themen auch relevant in den anderen Ländern.
Das Klima wird rauer. In persönlichen Gesprächen dringt immer mehr durch, dass man mit dem aktuellen Papst unzufrieden sei. Es bestehe eine beachtliche Diskrepanz zwischen seinem Sagen und Tun. Traditionis custodes und viele weitere Punkte verunsichern die Katholiken zunehmend. Die Verletzung insbesondere der traditionsbewussten Katholiken, sitzt tief und ist wirklich ernst zu nehmen. Es scheint mit zweierlei Maß gemessen zu werden.

Wie sieht es mit der zweiten Interpretation aus – zugunsten des Papstes und seiner Kurie?

Versetzen wir uns mal in die Lage des hl. Stuhls mit Blick auf die ungehorsame und sture Kirche in Deutschland: Seit 2019 ist ihr Verhalten für die Gesamtkirche besorgniserregend. Bevor es zur ersten Vollversammlung des Synodalen Wegs kam, verfasste der Papst persönlich einen Brief an das pilgernde Gottesvolk in Deutschland, um sicherzustellen, dass Synodalität nicht verwechselt werde mit Parlamentarismus, man sich in erster Linie nicht Strukturfragen, sondern der Neuevangelisierung widmen und sich nicht auf einen schismatischen Sonderweg begeben würde. Was ist geschehen? Dieser Brief ist weitestgehend ignoriert worden, ebenso jede bisher erfolgte Intervention – die offenen Briefe, die im Sommer 2022 erfolgte Notiz des „Apostolischen Stuhls“, die Kritik beim Ad-limina-Besuch, der in forma specifica ergangene Brief im Januar 2023, die Notiz Parolins im Oktober 2023 sowie nun der Brief des Papstes an die vier ehemaligen Synodalinnen. Gerade dieser kann als Bogen betrachtet werden von 2019 bis heute. Wenn man diese Ereignisse zusammennimmt, kommt man nicht umhin, seine kritische Haltung gegenüber der katholischen Kirche in Deutschland anzunehmen. Aber warum greift er nicht härter durch, indem er dreinschlägt wie in den USA oder in Chile? Warum dieses Anfassen mit Samthandschuhen? Bezogen auf das konkrete Beispiel der Bischofsernennungen:

Warum hat er keine eindeutig profilierten Bischöfe in Paderborn und Bamberg eingesetzt?

Die Lage in Deutschland ist komplex und verstrickt. Will man eine Katastrophe vermeiden oder den Schaden möglichst gering halten, muss man besonnen vorgehen, so die Analytiker, die einen Einblick in das diplomatische Arbeiten des hl. Stuhls und seiner Kurie besitzen. Gerade am Beispiel Paderborn lasse sich das veranschaulichen, wo das Konkordat vorsieht, den Bischof aus einer von Rom vorgelegten Dreierliste auszuwählen: Es kursiert das Gerücht, dass die anderen Paderborner Kandidaten zwei Verfechter des Synodalen Wegs darstellen und der zunächst Gewählte die Wahl nicht angenommen habe, sodass man sich dann für Bentz entschieden habe. Der Wahrheitsgehalt dieses Gerüchts – ich möchte an dieser Stelle keinen Tratsch verbreiten – ist an dieser Stelle zweitrangig. Entscheidend ist jedoch, daran aufzuzeigen, dass es mehrere Strategien gibt, wie man durch die Bischofsernennungen die Kirche in Deutschland vor einem Schisma bewahren möchte: Ein intelligenter Mensch sprach in dem Kontext von der „Eisbär-Pinguin-Methode“: Man legt eine Dreierliste vor, bei der nur ein Kandidat wirklich wählbar ist oder dessen Wahl am realistischsten ist. Dass besagte Verfechter des Synodalen Wegs – insofern sie überhaupt auf der Liste standen – die Wahl annehmen würden, wurde womöglich von Beginn an als unrealistisch erachtet, kostet ein Wechsel des Bischofssitzes zu viel Zeit und Aufmerksamkeit, die ja in dieser so entscheidenden Phase des Synodalen Ausschusses, der Weltsynode und des „Gesprächsprozesses“ mit Rom benötigt wird. Hätte man angenommen, hätte Rom erreicht, zwei Zugpferde des Synodalen Wahnsinns für eine Zeit auszuschalten. Eine weitere Strategie, die man hinter den Bischofsernennungen vermutet, ist die der moderaten Kandidaten: In Paderborn sowie in Bamberg sind nämlich zwei Bischöfe designiert worden, die bezüglich des Synodalen Wegs moderate Positionen einnehmen – pro und contra Synodaler Weg. Udo Bentz wirkte dem Synodalen Weg stets wohlgesonnen, aber einmal wurde er gefragt, ob er den Synodalen Rat mitgehen werde. Er antwortete nicht mit Ja. Wenn ein Schisma immer evidenter werden sollte, könnte er ein Bischof sein, der die Reißleine zieht und unentschlossene Mitbrüder mitzieht.
Herwig Gössl ist beim Synodalen Weg ebenfalls moderat aufgetreten – allerdings in der Hinsicht, dass er eher ein Kritiker ist, der jedoch nicht so profiliert und konsequent mit Nein abgestimmt hat, sondern sich bei den entscheidenden Abstimmungen enthalten hat. Er hielt sich eher bedeckt, aber grundsätzlich ist auch er ein Kandidat, der das sinkende Schiff zu gegebener Zeit verlassen könnte. Mit diesen zwei Hirten – so eine Interpretation – könnte Rom zwei Vermittler eingesetzt haben, um das momentane Minenfeld in Deutschland nicht in die Luft gehen zu lassen. Gerade dieses zweite Erklärungsmuster wurde in der vergangenen theologischen Sprechstunde der Initiative Neuer Anfang am 12. Dezember thematisiert. Insgesamt gab Martin Brüske einen detaillierten Einblick in die Arbeit des hl. Stuhls und verfasste auch mittlerweile einen Blogpost zu dem Thema.

Ist ein solches Durchgreifen Roms Zeichen des schwindenden Glaubens und des Relativismus in heutiger Zeit?

Diese Erklärung funktioniert spätestens dann nicht, wenn man sich vergangene Pontifikate anschaut, in denen ein ebenfalls besonnenes Vorgehen das Leben vieler Menschen gerettet hat – in einer Zeit, als der Relativismus noch nicht so drastisch um sich griff wie heute: Zurzeit des Dritten Reichs war es Papst Pius XII., dessen bedachtes Vorgehen die Provokation der Nazis verhindert hat. Aus Unterlagen, die man heute einsehen kann, geht hervor, dass der hl. Vater eigentlich viel deutlicher das Vorgehen der Nazis kritisieren wollte, z.B. auf schriftlichem Wege. Dies geschah teilweise, so durch die Enzyklika „Mit brennender Sorge“, die auf abenteuerliche Weise verbreitet worden ist. Dieser Papst war bekannt für seine besondere Liebe für die Juden. Er rettete viele Juden, indem er ihre Ausreise ins Ausland ermöglichte (z.B. nach Brasilien) und etliche auch im vatikanischen Palast unterbrachte. Er rettete z.B. fast 5000 Juden dadurch, dass er sie im Vatikan versteckte. Insgesamt sind wohl um die 850 000 Juden durch seine Geheimaktionen gerettet worden. Seine öffentlichen Verurteilungen der Rassenlehre der Nazis provozierte weitere Verfolgungen, Verhaftungen und Menschenleben. Deshalb stoppte der Papst so einige Aktionen wie die Verteilung eines Flugblatts und eigene Stellungnahmen. Nachträgliche Interpretationen seines Schweigens oder wenig beherzten Eingreifens (siehe vor allem „Der Stellvertreter“ von Rolf Hochhuth) haben viel zerstört. Doch die Wahrheit setzt sich immer wieder durch. Goebbels Flugblätter, in denen er den Papst als „pro-jüdischen Papst“ beschimpfte, Unterlagen zu den Geheimaktionen des Papstes, Fotos von Juden im vatikanischen Palast – diese Beweise lassen sich nicht unter den Tisch kehren. Pius XII. ist Pius XII. und Franziskus ist Franziskus. Doch in gewisser Hinsicht erfordert in beiden Szenarien das explosive Klima ein behutsames Vorgehen.

Ob die Interventionen Roms gegen die schismatischen Vorgänge in Deutschland nun auf Besonnenheit oder auf Lauheit zurückzuführen sind, dieses Urteil möchte ich nicht fällen. Ich ringe mit mir selbst, denn eine Positionierung untermauert die momentane Polarisierung unter konservativen Katholiken nur noch zusätzlich. Ich kann beiden Polen einiges abgewinnen – weder bin ich blauäugig und beklatsche alles naiv, was in Rom passiert, noch möchte ich hinter allem den Teufel an die Wand malen und mit liebloser Polemik um mich schießen. Ist es nicht besser, fälschlicherweise in jemandem das Gute gesehen zu haben, als fälschlicherweise einen Komplott? So oder so ist klar: Wir müssen dringend beten für die ganze katholische Kirche. Wir müssen dringend um ihre Einheit beten und dürfen zugleich Gelassenheit bewahren – was auch immer passiert – und die Gefahr sollte natürlichnichtheruntergespielt werden -, der Herr hat alles in seiner Hand. Selbst wenn es zum Äußersten kommt: Die Kirche wird sich erholen und erneuern. Sie wird aufsteigen aus der Asche wie der Phönix, weil der Herr zugesagt hat: „und die Mächte der Finsternis werden sie nicht überwältigen.“ (Mt 16,18)

Ihre Magstrauss

Ein Kommentar zu „Mein Sonntags-Senf #2 – Zwischen Angriff und Verteidigung

  1. Liebe Margarete,

    herzlichen Dank für Deine ausgewogene Darstellung der beiden widerstreitenden Sichtweisen.

    Mein beinahe verzweifeltes Bemühen, doch noch irgendwo anders als in der Helios-Klinik in Kassel an eine MRT-Untersuchung meines Bänderrisses zu kommen – wie sich inzwischen zeigte, ist ein knöchernes Band am rechten Oberarmkopf abgerissen, nicht „die Schulter gebrochen“ -, führte nun zu meinem und Euerem Pech dazu, daß ich den Termin 12. Dezember für Euere von mir schon so lang ersehnte nächste „Erklärbar“ nicht mitbekam. Ich hoffe aber, bald eine Aufzeichnung davon sehen zu können.

    Gottes und der Mutter Gottes Schutz und Segen für Dich und Eduard, und natürlich auch Martin Brüske und für alle im „Neuen Anfang“, und gute Reise nach Rom, wo Papst Franziskus heute seinen 87. Geburtstag begehen durfte.

    Herzliche und marianische Grüße

    Dein und Euer Paul

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