Zweiter Fastensonntag

Gen 22,1-2.9a.10-13.15-18; Ps 116,10 u. 15.16-17.18-19; Röm 8,31b-34; Mk 9,2-10

Gen 22
1 Nach diesen Ereignissen stellte Gott Abraham auf die Probe. Er sprach zu ihm: Abraham! Er sagte: Hier bin ich.

2 Er sprach: Nimm deinen Sohn, deinen einzigen, den du liebst, Isaak, geh in das Land Morija und bring ihn dort auf einem der Berge, den ich dir nenne, als Brandopfer dar!
9 Als sie an den Ort kamen, den ihm Gott genannt hatte, baute Abraham dort den Altar, schichtete das Holz auf, band seinen Sohn Isaak und legte ihn auf den Altar, oben auf das Holz.

10 Abraham streckte seine Hand aus und nahm das Messer, um seinen Sohn zu schlachten.
11 Da rief ihm der Engel des HERRN vom Himmel her zu und sagte: Abraham, Abraham! Er antwortete: Hier bin ich.
12 Er sprach: Streck deine Hand nicht gegen den Knaben aus und tu ihm nichts zuleide! Denn jetzt weiß ich, dass du Gott fürchtest; du hast mir deinen Sohn, deinen einzigen, nicht vorenthalten.
13 Abraham erhob seine Augen, sah hin und siehe, ein Widder hatte sich hinter ihm mit seinen Hörnern im Gestrüpp verfangen. Abraham ging hin, nahm den Widder und brachte ihn statt seines Sohnes als Brandopfer dar.
15 Der Engel des HERRN rief Abraham zum zweiten Mal vom Himmel her zu

16 und sprach: Ich habe bei mir geschworen – Spruch des HERRN: Weil du das getan hast und deinen Sohn, deinen einzigen, mir nicht vorenthalten hast,
17 will ich dir Segen schenken in Fülle und deine Nachkommen überaus zahlreich machen wie die Sterne am Himmel und den Sand am Meeresstrand. Deine Nachkommen werden das Tor ihrer Feinde einnehmen.
18 Segnen werden sich mit deinen Nachkommen alle Völker der Erde, weil du auf meine Stimme gehört hast.

Die erste Lesung ist ein einziger Typos, der auf Christus verweist, vor allem auf seinen Kreuzestod, auf den wir ja in der Fastenzeit zugehen.
Es geht um die schwerste Bewährungsprobe, die Abraham durchzustehen hat: Nachdem er so viele Jahrzehnte auf die Erfüllung der Zusage Gottes gewartet hat – einen Sohn, der den Anfang des verheißenen Gottesvolkes markiert, soll er ihn opfern. Auf einem der Berge des Gebirges Morija. Was für ein Schock das für ihn gewesen sein muss!
Doch wir lesen nichts davon, dass er Gott widerspricht. Er setzt sofort um, was er von ihm erwartet. So macht er sich mit Isaak auf den Weg zu dem Ort, den Gott selbst als Opferungsort angibt. Es geht um das Bergland von Morija bzw. wird im zweiten Buch der Chroniken Morija auf einen einzelnen Berg bezogen. Dort errichtet Salomo seinen ersten Tempel. So wird uns bewusst: Der Ort, an dem der Vater seinen einzigen Sohn dahingeben soll, ist dort, wo später der Tempel von Jerusalem entsteht und immer wieder Opfer dargebracht werden! Ja, es geht sogar noch weiter und somit eröffnet sich uns der hermeneutische Rahmen, in dem wir diese Erzählung auffassen müssen: Es ist der Ort, an dem der himmlische Vater seinen einzigen Sohn Jesus Christus opfern wird am Kreuz. Betrachten wir die Episode also von diesem typologischen Zusammenhang her:
Abraham baut einen Altar, schichtet Holz auf, fesselt seinen Sohn und legt ihn auf den Altar. Er ist schon dabei, auszuholen, um mit dem Messer das Kind zu töten. Wir können uns nur ansatzweise vorstellen, was in ihm vorgegangen sein muss. Er leistet überhaupt keinen Widerstand, aber wie sehr sein Herz bei all dem blutet und wie sehr er gegen die Versuchung ankämpft, Gott zu misstrauen, das können wir erahnen. Und doch ist Gott bei ihm an erster Stelle. Er steht höher als sein eigener Sohn, auf den er so lange gewartet hat. Und sein Verhalten zeigt, dass er ganz und gar auf Gott vertraut. Es ist sogar so, dass viele Kirchenväter über diese Szene schreiben: Abraham hat ganz auf die Allmacht Gottes vertraut und geglaubt, dass dieser seinen Sohn von den Toten auferwecken kann! Das ist für uns einmal mehr ein Hinweis auf die typologische Verbindung zu Jesus Christus.
Bevor Abraham seinen Sohn opfern kann, gebietet ein Engel ihm Einhalt. Er hat die Glaubensprobe bestanden. Statt der Opferung des eigenen Sohnes soll er einen Widder opfern, der sich im Gestrüpp verfangen hat. Abraham hat bewiesen, dass er Gott ganz glaubt – durch sein Verhalten. Glaube ist zutiefst mit Gehorsam verbunden und zeigt sich in der praktischen Ausübung. Er war ganz bereit, seinen Sohn nicht zurückzuhalten.
Weil Abraham Gott den ersten Platz in seinem Leben gibt, wird ihm ganz großer Segen verheißen. So ist es auch mit uns. Wenn wir in allem das Reich Gottes suchen, so wird Jesus später sagen, dann wird uns alles dazugegeben. Dann werden wir nicht nur am Existenzminimum leben, sondern ein Leben in Fülle haben. Gott gibt immer im Übermaß. Sein Segen ist grenzenlos. Erneut wird ihm ein großes Volk verheißen, dass sogar zum Gegenstand des Segens aller anderen Völker sein wird. Die Nichtjuden werden mit der Zeit erkennen, was für einen großen Gott die Juden haben. Und der Nachkomme schlechthin, Jesus Christus, wird der ultimative Segen für alle Menschen sein. Das ist schon sehr messianisch, was Abraham hier verheißen wird!
Betrachten wir die typologischen Linien eingehender: Was uns heute leider nicht verlesen wird, ist der Weg auf den Berg Morija. Denn es ist so, dass Isaak selbst das Holz für seine Opferung den Berg hinauf trägt. So wird es Jesus Christus sein, der das Holz seines Kreuzes den Berg hinauf tragen wird, um darauf festgebunden und geopfert zu werden. Im Gegensatz zu Isaak, der verschont bleibt, wird Jesus Christus wahrlich geopfert werden und bis auf den letzten Blutstropfen für uns hingegeben werden. Für die ersten Christen war es offensichtlich, diese Verbindungslinien zu ziehen und davon ausgehend den Kreuzestod Jesu Christi als Opfertod zu bezeichnen. So wie über die Linie Isaaks das Volk Gottes entsteht, so entsteht über Jesus Christus das Volk des Neuen Bundes. Er ist der Erstgeborene dieser neuen Schöpfung. Wenn wir die Liebe Abrahams zu seinem Sohn betrachten – wie lange hat er auf ihn gewartet und wie sehr muss er an ihm gehangen haben – dann haben wir ansatzhaft eine Ahnung davon, wie sehr der himmlische Vater seinen Sohn liebt. Und doch war er bereit, diesen für unsere Erlösung hinzugeben! Je mehr wir darüber nachdenken, desto mehr begreifen wir, dass Gott die Liebe ist.
Es gibt noch eine weitere Sache, die man anhand dieser Erzählung realisiert: Der Böse greift stets Vorhandenes auf, um es zu pervertieren. So ist das größte Übel unserer heutigen Zeit die Opferung des eigenen Kindes durch die Abtreibung. Statt Jesu spätere Worte „das ist mein Leib, der für euch hingegeben wird“ ertönt das „das ist mein Leib“ im Sinne von „mein Bauch gehört mir“, so als ob das ungeborene Kind zum eigenen Körper gehören würde.

Ps 116
10 Ich glaube – auch wenn ich sagen muss: Ich bin tief erniedrigt!
15 Kostbar ist in den Augen des HERRN der Tod seiner Frommen.
16 Ach HERR, ich bin doch dein Knecht, dein Knecht bin ich, der Sohn deiner Magd! Gelöst hast du meine Fesseln.
17 Ich will dir ein Opfer des Dankes bringen, ausrufen will ich den Namen des HERRN.
18 Meine Gelübde will ich dem HERRN erfüllen in Gegenwart seines ganzen Volks.

19 in den Höfen des Hauses des HERRN, in deiner Mitte, Jerusalem. Halleluja!

Heute beten wir einen Dankespsalm, der zum sogenannten Ägyptischen Hallel gehört (ein großes Loblied bestehend aus den Psalmen 113-118). Es wird so genannt, weil es an das erste Pessachfest in Ägypten erinnert. Das ägyptische Hallel ist zu den großen Wallfahrtsfesten gebetet worden, also haben die Juden zur Zeit Jesu dieses Hallel zum kommenden Pessachfest ebenfalls gebetet. Wir können uns durchaus vorstellen, dass Jesus auch im Abendmahlssaal dieses Hallel angestimmt hat, denn es war Tradition, dieses Loblied am Sederabend mit der Familie zu singen (und der Zwölferkreis war Jesu Familie). Es macht absolut Sinn, diesen Psalm im Anschluss an die Lesung zu beten. So wie Abraham bereit war, seinen Sohn dahinzugeben, ist der himmlische Vater bereit, seinen Sohn dahinzugeben. Dadurch wird der Neue Bund mit den Menschen besiegelt, dessen Einsetzung im Abendmahlssaal stattfindet, in dem Jesus mit seinen Aposteln Ps 116 betet. Nicht nur die Opferung Isaaks, sondern auch die Opferung des Passahlammes stellt einen Typos zum Opfertod Jesu Christi dar. So wie durch das Blut des Lammes die Israeliten vor dem Todesengel bewahrt werden, so werden wir durch das Blut des Lammes Gottes vor dem seelischen Tod gerettet.
„Wie kann ich dem HERRN vergelten all das Gute, das er mir erwiesen?“ Mit dieser rhetorischen Frage bringen schon die Israeliten zum Ausdruck, dass der Exodus mit der Befreiung aus dem Sklavenhaus Ägypten absoluter Gnadenerweis Gottes ist. Das Volk hätte es nie zustande gebracht, diese Befreiungsaktion erst einmal zu verdienen durch gute Taten und Opfer. Und auch wir können nur so beten, denn wer von uns hätte das Kreuzesopfer durch eigenes Gutsein zuerst verdienen können? Die übergroße Schuld mit den hohen Wellen ihrer todbringenden Konsequenzen hätte durch menschliche Kraft nie gesühnt werden können. Es war ein einziger Gnadenakt Gottes, seinen geliebten Sohn für uns dahinzugeben, um diese übergroße Schuld zu sühnen!
„Den Becher des Heils will ich erheben. Ausrufen will ich den Namen des HERRN.“ Jesus musste den Becher des Leidens und Todes trinken, von dem er voller Todesangst im Garten Getsemani noch gesagt hat: „Vater, nimm diesen Kelch von mir…doch nicht mein, sondern dein Wille geschehe“. Weil er ihn bereitwillig getrunken hat, ist er für uns zum Becher des Heils geworden! Wir rufen den Namen des HERRN an, bis er wiederkommt in Herrlichkeit. So geschehen in seinem Namen bis heute Zeichen und Wunder.
„Kostbar ist in den Augen des HERRN der Tod seiner Frommen.“ Das soll nicht heißen, dass Gott es gefällt, wenn Menschen sterben müssen. Es heißt vielmehr, dass der Preis für den Tod sehr hoch ist, weil die Frommen ihm kostbar sind. Und der Frommste ist Jesus Christus, sein eingeborener Sohn. Sein Tod ist so teuer, dass er mit dem Preis die Sünde der ganzen Welt loskaufen konnte!
„Gelöst hast du meine Fesseln.“ Dies bezieht sich zunächst auf die Fesseln des Sklavenhauses Ägypten, deren Lösung der Psalm ja dankend gedenkt. Der Kreis schließt sich aber mit der Befreiung aus der Sklaverei der Sünde durch die Erlösung Jesu Christi, der auf diese Weise noch viel existenziellere Fesseln gelöst hat! Er hat nicht nur unsere Fesseln des ewigen Todes gelöst, sondern wird am Ende der Zeiten dem Bösen endgültig die Fesseln anlegen!
„Ich will dir ein Opfer des Dankes bringen, ausrufen will ich den Namen des HERRN.“ Dies ist eine gelübdeartige Zusage, die liturgisch im Laufe der Wallfahrt ja umgesetzt wird. Es werden Opfer im Tempel von Jerusalem dargebracht. Wir lesen es an diesem heutigen Tag eucharistisch: Ja, wir bringen ein Opfer des Dankes dar, die Eucharistie, die Danksagung, die zwar auf den ersten Blick Mahl (ja, das darf man nicht vergessen), aber zutiefst vom Kern und Wesen her Opfer ist.
„Meine Gelübde will ich dem HERRN erfüllen in Gegenwart seines ganzen Volks.“ Diese Zusage im Kontext der Wallfahrt geschieht vor den Augen der anderen. Danksagung ist ein Opfervorgang, der nicht individuell bleibt, sondern in Versammlung. Deshalb feiern wir bis heute die Eucharistie in der Gemeinschaft der Heiligen – und damit sind nicht nur jene auf Erden gemeint, sondern auch die Heiligen, die bereits am Thron Gottes stehen, auch die Engel, die Gott dienen!

Röm 8
31 Ist Gott für uns, wer ist dann gegen uns?
32 Er hat seinen eigenen Sohn nicht verschont, sondern ihn für uns alle hingegeben – wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken?
33 Wer kann die Auserwählten Gottes anklagen? Gott ist es, der gerecht macht.
34 Wer kann sie verurteilen? Christus Jesus, der gestorben ist, mehr noch: Der auferweckt worden ist, er sitzt zur Rechten Gottes und tritt für uns ein.

In der zweiten Lesung hören wir nun die Konsequenz der Erlösung, die Auswirkungen für unser weiteres Leben: Weil Gott uns erlöst hat und wir diese durch die Taufe gläubig angenommen haben, sind wir sein Eigentum geworden. Wir gehören nun zu seiner Familie. Als österliche Menschen sind wir mit der Gabe einer unerschütterlichen Hoffnung und inneren Gewissheit beschenkt worden, dass egal was passiert, wir uns unserer Kindschaft Gottes sicher sein dürfen. Und wenn man uns auch für den Glauben umbringen sollte – wir würden direkt in die Arme des Vaters eingehen. Was können uns schon andere Menschen anhaben, wenn wir Gott an unserer Seite haben!
Er hat im Gegensatz zu Abraham seinen Sohn nicht verschont, damit wir alles nur erdenklich Gute erhalten konnten, vor allem das ewige Leben! Wenn er schon bereit war, sein Kostbarstes zu verschenken, wieso sollte er uns nicht in unserem weiteren Leben alles schenken, was wir brauchen! Jesus meinte es wirklich ernst, als er sagte, dass wir zuerst das Reich Gottes suchen sollen und uns alles andere dazugegeben werde.
Und wenn wir für den Glauben auch vor Gericht gestellt werden sollten und im weltlichen Sinne ungerecht genannt werden: In Gottes Augen sind wir gerecht, wenn wir seine Gebote halten. Durch die Taufgnade sind wir gerechtfertigt worden vor ihm. Wir sind reines weißes Leinen geworden, doch müssen uns im Laufe des Lebens bewähren so wie Abraham. Doch Gott verleiht uns die Gnade, gut zu sein.
Jesus Christus selbst tritt für uns ein beim eigentlichen Gericht, dem Gericht Gottes. Dagegen halten keine weltlichen Gerichte stand, die uns für den christlichen Glauben verurteilen wollen.
Heutzutage gibt es viele Staaten, die christenfeindlich sind. Im Laufe der gesamten Kirchengeschichte war die Christenverfolgung noch nie so schlimm wie in heutiger Zeit. Viele Menschen fühlen sich von Paulus‘ Worten angesprochen. Sie werden wirklich vor die Gerichte gestellt und verurteilt, müssen im Gefängnis sitzen, werden sogar gefoltert oder direkt umgebracht. Doch was die Menschen nicht töten können, ist ihr ewiges Leben. Gott hat das letzte Wort und sein Gericht verläuft ganz anders. Bei ihm trifft es jene mit einem negativen Urteil , die seine geliebten Kinder verfolgt haben.

Mk 9
2 Sechs Tage danach nahm Jesus Petrus, Jakobus und Johannes beiseite und führte sie auf einen hohen Berg, aber nur sie allein. Und er wurde vor ihnen verwandelt;
3 seine Kleider wurden strahlend weiß, so weiß, wie sie auf Erden kein Bleicher machen kann.
4 Da erschien ihnen Elija und mit ihm Mose und sie redeten mit Jesus.
5 Petrus sagte zu Jesus: Rabbi, es ist gut, dass wir hier sind. Wir wollen drei Hütten bauen, eine für dich, eine für Mose und eine für Elija.
6 Er wusste nämlich nicht, was er sagen sollte; denn sie waren vor Furcht ganz benommen.
7 Da kam eine Wolke und überschattete sie und es erscholl eine Stimme aus der Wolke: Dieser ist mein geliebter Sohn; auf ihn sollt ihr hören.
8 Als sie dann um sich blickten, sahen sie auf einmal niemanden mehr bei sich außer Jesus.
9 Während sie den Berg hinabstiegen, gebot er ihnen, niemandem zu erzählen, was sie gesehen hatten, bis der Menschensohn von den Toten auferstanden sei.
10 Dieses Wort beschäftigte sie und sie fragten einander, was das sei: von den Toten auferstehen.

Heute am zweiten Fastensonntag hören wir im Evangelium von der Verklärung des Herrn. Sie trägt sich sechs Tage nach dem Aufenthalt in Cäsarea-Philippi zu. Dabei nimmt Jesus die drei Apostel Jakobus, Johannes und Petrus mit. Dieses Trio begleitet Jesus immer zu Ereignissen, bei denen nur wenige Menschen Zutritt haben (z.B. im Haus des Jairus, als seine Tochter gestorben war).
Den Dreien wird heute ein unvergleichliches Privileg geschenkt: Sie erhaschen einen Blick nicht „nur“ auf den Auferstandenen, sondern sogar mehr – auf den Jesus, wie er nach der Himmelfahrt ist und den der Rest der Menschheit erst am Ende der Zeiten sehen wird. Dann wird er in seiner Herrlichkeit auf einer Wolke zu uns herabfahren.
Berge sind in der Hl. Schrift die Orte besonderer Gottesbegegnung. So wie Morija, das spätere Bergland von Judäa, zu einem besonders intensiven Ort Gottes wird, so ist der Tabor in der Verklärungsgeschichte Ort der besonderen Offenbarung. So wir Morija zwar einerseits Ort der Passion und des Opfertodes wird, nach drei Tagen aber zum Ort der Auferstehung und des Heils, so ist der Tabor ein Ausblick auf die Herrlichkeit Gottes.
Was dort auf dem Tabor geschehen ist, schließt übrigens einen Kreis, den Gott im Laufe der Heilsgeschichte zu zeichnen begonnen hat: Bereits im AT hat er sich in seiner Herrlichkeit gezeigt. Damals stieg Mose zusammen mit Aaron, Nadab, Abihu und den siebzig von den Ältesten Israels auf den Berg Sinai (Ex 24), um die Herrlichkeit zu schauen. Bis ganz nach oben durften sie aber nicht, sondern hielten einen Abstand ein. Nur Mose durfte ganz zu Gott vordringen, um die Gesetze des HERRN zu erhalten. Und doch konnte er Gottes Herrlichkeit nicht ganz schauen. Etwas später erfahren wir von der Gunst, die Gott dem Mose zuteil werden ließ: Er zeigte Mose beim Vorbeiziehen seinen Rücken (Ex 33).
Auch im ersten Buch der Könige war der Sinai Ort der Gottesbegegnung. Elija flüchtete dort hin, als man ihm nach dem Leben trachten wollte – zum Dank für sein Bemühen um das Gesetz Gottes. Und auch hier forderte Gott auf: „Komm heraus und stell dich auf den Berg vor den Herrn!“ Als Elija sich nach dem Vorüberziehen von Sturm, Erdbeben und Feuer beim leisen Säuseln bereit machte, verhüllte er sein Gesicht. Auch er sah Gottes Herrlichkeit nicht ganz.
Was diesen beiden Großen verwehrt blieb, dürfen nun die Apostel schauen: die Herrlichkeit Gottes. Lassen wir es uns auf der Zunge zergehen. Welche Gnade ist diesen drei einfachen Männern geschenkt worden, dass sie nicht auf der Stelle gestorben sind, als sie diese geballte Liebe schauen durften! Und das ist nicht alles. Plötzlich sehen sie zwei Gestalten bei Jesus. Und es sind ausgerechnet Mose und Elija! Die zwei, die das Gesetz und die Propheten repräsentieren, die den Messias so sehnlichst angekündigt haben, deren Lebensende so besonders war. Ausgerechnet sie beide stehen bei Jesus und unterhalten sich mit ihm. Die drei Apostel kannten die Hl. Schrift. Sie haben den Code verstanden. Der Kreis hat sich geschlossen. Oder er wird weiter gezeichnet:
Jesus zeigt jenen drei Aposteln seine Herrlichkeit, die wenig später mit ihm im Garten Getsemani ausharren würden. Er zeigt sich jenen drei Aposteln, die feste Säulen der Jerusalemer Urgemeinde und darüber hinaus werden würden. Es ist eine Stärkung vor der großen Versuchung – und ein Vorgeschmack auf das Ostergeheimnis.
Das Licht des Gesichts und der Kleider Jesu sind die Beschreibung der Gnade Gottes. Diese haftet so an ihm, dass man davon ganz geblendet wird.
Warum möchte Petrus drei Hütten bauen? Ist er so durcheinander, dass er nicht weiß, was er da von sich gibt? Im Griechischen heißt es eigentlich nicht „Hütten“, sondern „Zelte“ (σκηνάς skenas). Petrus möchte drei Zelte aufschlagen, was uns sehr an den Tempel in der Zeit der Wüstenwanderung erinnert. Petrus hat mit dieser Frage also eigentlich den Nagel auf den Kopf getroffen! Er hat den Bogen zum Sinai, zur Offenbarung Gottes und zum Offenbarungszelt geschlossen. Er hat die Typologie erkannt, die vom Wort Gottes aus Steintafeln bis zum fleischgewordenen und verklärten Wort Gottes führt. Er möchte Zelte aufschlagen, um diese Herrlichkeit festzuhalten wie das Allerheiligste in der Bundeslade einen Zeltort bekommen hat. Auch dies führt uns zurück zu Morija und dem später entstehenden Tempel zur Zeit Salomos. Gott hat bereits damals sein Zelt aufgeschlagen auf dem Berg.
Auch wir haben unsere Tabormomente in unserem Leben. Auch wir möchten diese Hoch-Zeiten festhalten und am liebsten nicht zurück in den grauen Alltag. Und auch die Kirche hält diese Herrlichkeit fest, indem sie den eucharistischen Herrn im Tabernakel aufbewahrt.
Im Grunde ist jede Heilige Messe ein einziger Tabormoment, denn auch dort wird Christus in Gestalt von Brot und Wein verherrlicht.
Dann passiert etwas, das die Jünger in Angst versetzt. Eine Wolke legt sich auf sie nieder. Das ist ein weiteres typologisches Signal! Auch auf dem Sinai stieg die Wolke Gottes nieder, als seine Gegenwart den Ort aufsuchte. So ist es auch auf dem Tabor, wo eine Stimme Jesus Christus als seinen geliebten Sohn proklamiert. Auch die Israeliten hatten mächtigen Respekt, als Gottes Gegenwart den Sinai erfüllte. Im Gegensatz zu ihnen dürfen die drei Aposteln mit Jesus oben sein und seine Herrlichkeit schauen!
Sie fallen mit dem Gesicht zu Boden. So überwältigend ist dieses ganze Ereignis. Und als sie wieder aufblicken, nachdem Jesus sie angefasst hat, ist alles wieder normal.
Jesus gebietet ihnen, das Ereignis bis zu seiner Auferstehung für sich zu behalten. Die ganze Rede von seiner messianischen Identität soll erst nach seinem Tod thematisiert werden. Immer wieder verbietet Jesus den Geheilten, sogar den Dämonen, von seiner messianischen Identität zu sprechen.
Warum aber hat Jesus die Aposteln mitgenommen und warum passierte dies zu so einem scheinbar willkürlichen Moment?
Nichts bei Gott ist zufällig und es hat sein perfektes Timing. Gott stärkt die drei zentralen Apostel vor dem Leiden, vor der großen Herausforderung. Ausgerüstet mit dieser Glaubensstärkung sollen sie in die große Katastrophe gehen, die uns im Nachhinein aber zur größten Erlösung geworden ist. So möchte Gott auch uns immer wieder mit ganz besonderen Gnaden und Hoch-Zeiten beschenken, damit wir beschwingt von diesen Dingen dann in der großen Bedrängnis, in der Versuchung, in dem schweren Leiden durchhalten. Passion und Auferstehung, Karfreitag und Ostern. Beides geht nicht ohne das andere. Deshalb hören wir einerseits Texte des Opfers und des Todes, andererseits von der Erlösung und Herrlichkeit des Himmels. Davon ausgehend betrachten wir unsere ganz persönliche Passion, um gestärkt zu werden im Durchleben unseres Karfreitags hin zu unserem Ostern. Davon ausgehend betrachten wir den Weg der österlichen Bußzeit bis hin in die Zuspitzung der Passion und der Auferstehung Jesu Christi am dritten Tag.

Warum aber hören wir an diesem heutigen Fastensonntag diese Zusammenstellung der Texte? Warum Abrahams Glaubensprüfung und Jesu Verklärung? Wie passt beides zueinander? Vielleicht kann man dafür ein Beispiel aus der Grabtuchforschung heranziehen. Es gibt ja verschiedene heilige Tücher, die uns das Mysterium Christi auf eindringliche Weise näherbringen. Dabei stechen zwei Tücher besonders hervor, die ein- und dasselbe Motiv zeigen: das Muschelseidentuch von Manopello und das Grabtuch von Turin. Beide Tücher zeigen dieselbe Person, sogar die Verletzungen sind identisch, vor allem der Nasenbruch. Es heißt ja, dass das Muschelseidentuch auf den einbalsamierten und ins Grabtuch eingewickelten Leichnam Jesu gelegt worden ist – als Zeichen einer königlichen Bestattung. So erklärt sich die Übereinstimmung der Gesichter. Nun ist es aber so: Während das Grabtuch von Turin vor allem die Wunden und die gesamte Passionsgeschichte Jesu erzählt (die Geiselmale, selbst den Straßenschmutz vom Fall unter dem Kreuz etc.), zeigt das Muschelseidentuch von Manopello den Moment der Auferstehung Jesu Christi. Jesus öffnet die Augen und setzt zum Sprechen an. Man vernimmt gleichsam sein „Abba“. Zwei Tücher – dasselbe Motiv – und doch zwei Seiten einer Medaille: Passion und Auferstehung.
Dies kann man meines Erachtens wunderbar auf die Zusammenschau der heutigen Lesungen beziehen. Während Genesis das Leiden und den Schmerz über den Tod des geliebten Sohnes ausdrückt, lesen wir die Verklärung als Vorgeschmack auf die Freude und Herrlichkeit des ewigen Lebens. Schließlich ist es ja auch der Grund, warum Jesus ausgerechnet Petrus, Johannes und Jakobus mitnimmt. Sie sollen gestärkt werden vor der großen Bewährungsprobe und dem großen Leiden beginnend im Garten Getsemani. Leiden und Auferstehungsfreude liegen ganz eng beieinander. Deshalb passen die Texte bei genauerem Hinsehen sehr gut zueinander. Auch in unserem Leben liegen Freude und Leid ganz eng beieinander. Und wie ich schon oft geschrieben habe: kein Ostern ohne Karfreitag. Kein Morgengrauen ohne vorausgehende Nacht.

Ihre Magstrauss

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