Sir 36,1-2.5-6.13.16-22; Ps 79,5 u. 8.9.11 u. 13; Mk 10,32-45
Sir 36
1 Hab Erbarmen mit uns, Gebieter, du Gott aller,
2 sieh herab und wirf die Furcht vor dir auf alle Völker!
5 Sie sollen dich erkennen, wie auch wir erkannt haben, dass es keinen Gott gibt außer dir, Herr!
6 Erneuere die Zeichen und wirke andere Wunder!
13 Sammle alle Stämme Jakobs!
16 Verteil den Erbbesitz wie in den Tagen der Vorzeit!
17 Herr, hab Erbarmen mit dem Volk, das bei deinem Namen gerufen worden ist, und mit Israel, das du einem Erstgeborenen gleichgemacht hast!
18 Habe Mitleid mit der Stadt deines Heiligtums, mit Jerusalem, dem Ort deiner Ruhe!
19 Erfülle Zion mit deinem Lobpreis und dein Volk mit deiner Herrlichkeit!
20 Gib Zeugnis für das, was du am Anfang geschaffen hast, und erwecke die Prophezeiungen wieder, die in deinem Namen ergangen sind!
21 Gib den Lohn denen, die dich erwarten, und deine Propheten sollen sich glaubwürdig erweisen!
22 Erhöre, Herr, die Bitte deiner Diener gemäß dem Segen Aarons über dein Volk! Alle auf der Erde werden erkennen, dass du Herr bist, der Gott der Ewigkeiten.
In der heutigen Lesung hören wir ein Gebet um die Rettung Israels. Immer wieder ist das Gottesvolk in Gefahr und befindet sich in Fremdherrschaft als Folge der Sünde gegen Gott. In den letzten vorchristlichen Jahrhunderten erleben die Israeliten vor allem die hellenistische Fremdherrschaft.
Gott wird um sein Erbarmen angefleht und zugleich als der Weltherrscher angerufen. Das ist eine Betrachtung, die die Israeliten immer mehr vornehmen, vor allem in Situationen der politischen Unterdrückung: Auch wenn irdische Herrscher sie zu Sklaven machen, sie aus ihrem Heimatland vertreiben oder zu Vasallen machen, haben sie dennoch den eigentlichen Herrscher auf ihrer Seite, Gott selbst. Dieser steht über allen irdischen Königen und entscheidet über das Geschick der ganzen Welt.
Gott soll herabsehen. Dahinter steht die Vorstellung, dass Gott in der Ewigkeit thront, doch an der Weltgeschichte nicht unbeteiligt ist. Er soll eingreifen und alle Völker gottesfürchtig machen. Die Israeliten wünschen sich, dass ihr Gott von allen anerkannt wird und so die Unterdrückung aufhört. Was die anderen Völker vor allem lernen sollen, ist die Einzigkeit des Gottes Israels. Viele der umliegenden Völker, auch die Griechen, glauben an ein ganzes Pantheon, sind also dem Polytheismus ergeben. Sie sollen lernen, dass es nur einen einzigen Gott gibt. Dies sollen sie erkennen, indem sie Gottes große Taten erkennen. Deshalb erfolgt auch in Vers 6 die Bitte, die Zeichen und Wunder zu erneuern bzw. weitere Wunder zu vollbringen.
Wenn im Gebet die Sammlung der Stämme Jakobs erbeten wird, bezieht sich das nicht nur auf die Zerstreuung der Juden in der Welt, die ein Ende nehmen soll – denn Gott hat seinem Volk das Verheißene Land ja nicht umsonst gegeben – es bezieht sich auch auf jene Stämme, die von Juda weggebrochen und synkretistisch geworden sind. Sie sollen wieder eins werden mit dem Königreich Juda, das an Gottes Verheißungen noch ein wenig mehr festgehalten hat. Die „guten alten Zeiten“ werden zurückersehnt, das heißt die Zeit nach der Landnahme bis zur davidischen Dynastie. Als dann das Volk in zwei Parteien zerbrochen ist, ist mit ihr zusammen die Hoffnung auf das Heil zerbrochen. Was wir hier im Gebet also vor allem spüren, ist die Sehnsucht nach der Einheit, die zerbrochen ist. Wir denken an Jesu hohepriesterliches Gebet, das er einige Jahrhunderte später formuliert und dabei betet: „Vater, lass sie eins sein, wie wir eins sind.“ Gleichermaßen wird um Israel und Juda gebetet (mit Israel ist das Nordreich gemeint).
Wenn es heißt, dass Gott Zion mit seinem Lobpreis erfüllen soll, meint es, dass er ihnen Anlass zum Lobpreis schenken soll.
Was vor langer Zeit prophezeit worden ist, soll wieder geweckt werden, ja sich erfüllen. Wir verspüren gerade zum Ende hin die messianische Tragweite des Gebets. Die alten Verheißungen sollen sich erfüllen, die Propheten sich als Wahrheitsträger erweisen. Die Menschen erwarten den Herrn. Sie sind in einer adventlichen Stimmung, die immer stärker wird, bis Gott Mensch wird und tatsächlich unter den Menschen sein Zelt aufschlägt in Jesus Christus.
Aufgrund des Segens des aaronitischen Priestertums soll Gott ihr Gebet erhören. Wir müssen bedenken, welche Spannungen sich zu jener Zeit abspielen. Wir denken an die Makkabäeraufstände, an den grauenhaften Sakrileg, der im Tempel von Jerusalem begangen wird, die Schwierigkeiten, den Tempelkult weiterzuführen. So verstehen wir umso besser, was es mit den Worten auf sich hat.
Alle Menschen werden das Heil Gottes sehen und ihn anerkennen. Dies wird sich nicht erst am Ende der Zeiten vollkommen erfüllen, sondern ist jetzt schon Realität, weil das Evangelium Jesu Christi in die ganze Welt getragen wird, wodurch das Heil Gottes weltweit angenommen wird.
Ps 79
5 Wie lange noch, HERR? Willst du für immer zürnen, wird brennen wie Feuer dein Eifer?
8 Rechne uns die Schuld der Vorfahren nicht an! Mit deinem Erbarmen komm uns eilends entgegen! Denn wir sind sehr erniedrigt.
9 Hilf uns, Gott unsres Heils, um der Herrlichkeit deines Namens willen! Reiß uns heraus und vergib uns die Sünden um deines Namens willen!
11 Das Stöhnen des Gefangenen komme vor dein Angesicht! Durch deinen mächtigen Arm erhalte die Kinder des Todes am Leben.
13 Wir aber, dein Volk und die Herde deiner Weide, wir wollen dir danken auf ewig, von Geschlecht zu Geschlecht dein Lob verkünden.
Der heutige Psalm ist ebenfalls ein Bittgebet und ein Flehen, das ganz in die Situation des Volkes in Fremdherrschaft passt.
„Wie lange noch, HERR?“ Ist ein typischer Ausdruck, den wir vor allem in Klagepsalmen lesen.
„Willst du für immer zürnen, wird brennen wie Feuer dein Eifer?“ Diese Frage können wir als rhetorische Frage bewerten, denn anhand von prophetischen Schriften wie denen des Jeremia ist klar, dass auch die schweren Schicksalsschläge nicht ewig andauern.
Dann wird etwas gesagt, das immer wieder Thema bei Schicksalsschlägen Israels wird: „Rechne uns die Schuld der Vorfahren nicht an!“ Das ist eine tiefe Wahrheit, die auch heutzutage gerne ignoriert wird. Wir müssen die Konsequenzen der Sünde unserer Vorfahren mittragen. Das hat nichts mit Reinkarnation zu tun, sondern hängt mit der Natur der Sünde zusammen. Diese hat Generationen übergreifende Auswirkungen. Aber so wie wir unter den Vergehen unserer Eltern, Großeltern etc. zu leiden haben, können wir auch als ihre Nachkommen stellvertretend für sie Gott um Verzeihung bitten! Das ist sogar ganz wichtig und notwendig! Wir wissen nicht, ob sie immer noch dafür im Fegefeuer büßen müssen, und können so ihre Zeit im Fegefeuer verkürzen. Ein wenig Ahnenforschung ist dann absolut nützlich, weil wir so ihrer offensichtlichsten und größten Sünden gewahr werden (wenn es zum Beispiel einen Mord gab oder einen großen Streit, der öffentlich bekannt wurde, den man sogar in der Zeitung lesen konnte, der vielleicht bekannt wurde, weil die Personen berühmt sind). So können wir zumindest für diese bewusst um Vergebung bitten.
„Hilf uns, Gott unsres Heils“ – ja, Gott ist ein Gott, der nur das Heil für uns bereithält! Er ist es nicht, der uns dieses Unheil schickt, in dem wir uns befinden. Er ist allein der Gute. Alles Böse kommt vom Bösen und was uns Schlimmes widerfährt, haben wir sehr oft uns selbst zuzuschreiben. Dann sind es die Konsequenzen unserer falschen Entscheidungen. Gott ist aber so groß und barmherzig, dass er uns noch aus diesen selbstgemachten Katastrophen herausholt, obwohl wir sie eigentlich rein rechnerisch gesehen verdient haben. „Reiß uns heraus“ dürfen dann auch wir zu Gott rufen. Aber dann sollen wir ihm zugleich unsere Aufrichtigkeit zeigen, indem wir gleichzeitig sagen: „vergib uns die Sünden“.
Gott ist nicht gleichgültig gegenüber unserem Leiden. Es ist nicht sein Wille, dass wir leiden müssen. Er hat das Schreien seines Volkes in Ägypten gehört und auch im babylonischen Exil. Er hört auch unser Schreien unser Stöhnen, die wir gefangen sind – im Gefängnis unserer eigenen Sünden.
Gott erhört unser Gebet, vor allem wenn es durch und durch reumütig und aufrichtig ist. So können wir am Ende Gott für seine Rettung danken, wie es hier in Vers 13 geschieht: „Wir wollen dir danken auf ewig.“ Und wenn es dann heißt „von Geschlecht zu Geschlecht dein Lob verkünden“, hat das in diesem Kontext eine besondere Wirkung: Durch die Vergebung unserer Vorfahren können auch diese dann ganz bei Gott sein und ihn auf ewig preisen. Gott ist groß. Er möchte unser Heil und tut alles dafür, dass wir zu ihm umkehren. Denn wir können nur dann glücklich sein, wenn wir bei ihm sind, wenn wir auf seinen Wegen gehen und nach unserem Tod dann ewig bei ihm im Himmel sind.
Mk 10
32 Während sie auf dem Weg hinauf nach Jerusalem waren, ging Jesus voraus. Die Leute wunderten sich über ihn, die ihm nachfolgten aber hatten Angst. Da versammelte er die Zwölf wieder um sich und kündigte ihnen an, was ihm bevorstand.
33 Er sagte: Siehe, wir gehen nach Jerusalem hinauf; und der Menschensohn wird den Hohepriestern und den Schriftgelehrten ausgeliefert; sie werden ihn zum Tod verurteilen und den Heiden ausliefern;
34 sie werden ihn verspotten, anspucken, geißeln und töten. Und nach drei Tagen wird er auferstehen.
35 Da traten Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, zu ihm und sagten: Meister, wir möchten, dass du uns eine Bitte erfüllst.
36 Er antwortete: Was soll ich für euch tun?
37 Sie sagten zu ihm: Lass in deiner Herrlichkeit einen von uns rechts und den andern links neben dir sitzen!
38 Jesus erwiderte: Ihr wisst nicht, um was ihr bittet. Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinke, oder die Taufe auf euch nehmen, mit der ich getauft werde?
39 Sie antworteten: Wir können es. Da sagte Jesus zu ihnen: Ihr werdet den Kelch trinken, den ich trinke, und die Taufe empfangen, mit der ich getauft werde.
40 Doch den Platz zu meiner Rechten und zu meiner Linken habe nicht ich zu vergeben; dort werden die sitzen, für die es bestimmt ist.
41 Als die zehn anderen Jünger das hörten, wurden sie sehr ärgerlich über Jakobus und Johannes.
42 Da rief Jesus sie zu sich und sagte: Ihr wisst, dass die, die als Herrscher gelten, ihre Völker unterdrücken und ihre Großen ihre Macht gegen sie gebrauchen.
43 Bei euch aber soll es nicht so sein, sondern wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein,
44 und wer bei euch der Erste sein will, soll der Sklave aller sein.
45 Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele.
Jesus nähert sich seinem Todesort Jerusalem. Er kündigt seinen Aposteln sein Leiden an, was sie vielleicht noch nicht richtig verstanden haben werden: Er wird den Hohepriestern und Schriftgelehrten ausgeliefert und von den Heiden hingerichtet werden, aber nach drei Tagen wieder auferstehen. Für einen Juden eine undenkbare Sache! Deshalb wird es den Aposteln schwer gefallen sein, es bis aufs Letzte zu begreifen.
Dann kommen Jakobus und Johannes, die beiden Brüder, auf Jesus zu, um ihn um einen Gefallen zu bitten: Lass in deiner Herrlichkeit einen von uns rechts und den andern links neben dir sitzen!“ Vielleicht ist es gar nicht ihr Anliegen, dadurch zu sagen, dass sie einen Ehrenplatz erhalten wollen, sondern dass sie überhaupt bei Jesus auch in der Ewigkeit sitzen dürfen. Es ist Ausdruck einer Sehnsucht, die uns alle erfüllt. Wir möchten alle auf ewig bei Gott sein und ewige Freude haben. Jesus entgegnet jedenfalls etwas ganz Wichtiges: „Ihr wisst nicht, um was ihr bittet.“ Das ist auch in unserer heutigen Zeit so. Oft bitten wir um Dinge, deren Konsequenzen wir gar nicht sehen. Selbst wo wir eine noble Bitte an Gott richten wie ein Leiden, um für die Menschen zu sühnen, haben wir nicht die ganze Tragweite vor Augen, die damit einhergeht. So stellt Jesus ihnen die Frage, ob sie den Kelch trinken können, den Jesus trinkt (ob sie bereit zum Leiden und Martyrium sind), indem er ankündigt, dass sie den Kelch trinken werden. Gleichzeitig erklärt er, dass die Vergabe der Plätze nicht ihm zustehe. Was ist es aber für eine Taufe, von der Jesus spricht? Ist es die Johannestaufe, die er am Jordan an sich geschehen ließ? Er bezieht sich auf die sogenannte Bluttaufe, womit das Martyrium gemeint ist.
Als die anderen Apostel von der Bitte der Zebedäusbrüder erfahren, reagieren sie verärgert, weil sie eine Extrawurst bei ihnen riechen. Es kommt ein Konkurrenzdenken auf, was im Reich Gottes absolut fehl am Platz ist. Deshalb erklärt Jesus: Auf dem Thron zu sitzen und auch schon in dieser Welt eine hohe Position zu haben bei der Evangelisierung, hat nichts mit herrschen zu tun, sondern mit dienen. Es geht nicht um Macht, sondern um Verantwortung. Wer ein hohes Amt bekleidet, muss am meisten zum Sklaven aller werden, sie bedienen und sich um sie kümmern. Es ist also nichts, um das man streiten soll, weil man selbst diese Macht haben will. Jesus ist auch nicht gekommen, um über die Menschen zu herrschen, sondern um sie zu bedienen. Er wird es seinen Aposteln noch einmal anhand von einer bestimmten Geste verdeutlichen, nämlich im Abendmahlssaal, als er ihnen die Füße wäscht. ER, der Messias! Er geht in die Knie und übernimmt die Aufgabe, die ein Haussklave normalerweise tut. So sollen die Apostel „herrschen“. Und wie der Menschensohn gekommen ist, um sein Leben als Lösegeld für viele hinzugeben, so ist es auch mit uns. Wir sollen uns hingeben. Das ist das entscheidende Stichwort auch für unsere heutige Zeit. Jeder Mensch ist zur Hingabe berufen, umso mehr jene, die durch die Taufe zur Heiligkeit berufen sind. Unser Lebensziel soll die Hingabe sein, nicht die Selbstverwirklichung.
Was für uns Laien gilt, gilt umso mehr für die Geistlichen. Sie sollen die Menschen bedienen, in die Knie gehen, der Sklave aller sein und nicht irgendeine Macht ausspielen, die sie an sich reißen, die aber nichts mit Christi Nachfolge zu tun hat. Und wenn wir dann neidisch auf diese Macht schauen und dafür kämpfen, diese Macht umzuverteilen oder an uns zu reißen, dann sind wir schlimmer als die Apostel damals. Sie haben sich nur beschwert, aber es kam nicht zu Machtkämpfen unter ihnen. Warum lernen wir nicht aus Jesu Worten im Evangelium, sondern fordern Dinge, die gegen Gottes Gebote gehen? Warum schreien unsereins „Frauen in alle Ämter!“ und sprechen von „Männermacht“, wenn die von Gott gestiftete Weihe überhaupt nichts mit Macht zu tun hat? Haben wir Jesus wirklich so wenig verstanden?
Ihre Magstrauss