Num 12,1-13; Ps 51,3-4.5-6b.6c-7.12-13; Mt 14,22-36 oder Mt 15,1-2.10-14
Num 12
1 Als sie in Hazerot waren, redeten Mirjam und Aaron gegen Mose wegen der kuschitischen Frau, die er sich genommen hatte. Er hatte sich nämlich eine Kuschiterin zur Frau genommen.
2 Sie sagten: Hat der HERR etwa nur durch Mose gesprochen? Hat er nicht auch durch uns gesprochen? Das hörte der HERR.
3 Mose aber war ein sehr demütiger Mann, demütiger als alle Menschen auf der Erde.
4 Da sprach der HERR plötzlich zu Mose, Aaron und Mirjam: Geht ihr drei hinaus zum Offenbarungszelt! Da gingen die drei hinaus.
5 Der HERR kam in der Wolkensäule herab, blieb am Zelteingang stehen und rief Aaron und Mirjam. Beide traten vor
6 und der HERR sprach: Hört meine Worte! Wenn es bei euch einen Propheten gibt, so gebe ich mich ihm in einer Vision als der HERR zu erkennen, im Traum rede ich mit ihm.
7 Anders bei meinem Knecht Mose. Mein ganzes Haus ist ihm anvertraut.
8 Von Mund zu Mund rede ich mit ihm, in einer Vision, nicht in Rätseln. Die Gestalt des HERRN darf er sehen. Warum habt ihr euch nicht gefürchtet, gegen meinen Knecht, gegen Mose, zu reden?
9 Da entbrannte der Zorn des HERRN gegen sie und er ging weg.
10 Als die Wolke vom Zelt gewichen war, siehe, da war Mirjam weiß wie Schnee vor Aussatz. Aaron wandte sich Mirjam zu und siehe, sie war aussätzig.
11 Da sagte Aaron zu Mose: Mein Herr, ich bitte dich, lege uns die Sünde nicht zur Last, mit der wir töricht gehandelt haben und mit der wir uns versündigt haben!
12 Mirjam soll nicht wie eine Totgeburt sein, halb verwest, wenn sie den Schoß der Mutter verlässt.
13 Da schrie Mose zum HERRN: O Gott, heile sie doch!
In der heutigen Lesung hören wir davon, dass Mose sich eine kuschitische Frau genommen und damit bei seinen Geschwistern für Unmut gesorgt hat. In der Forschung wird rege diskutiert, wer genau mit den Kuschitern in diesem Zusammenhang gemeint ist. Kusch kann allgemein für Afrika stehen, für bestimmte afrikanische Länder wie Ägypten oder Äthiopien. Es wird sogar überlegt, ob Mirjam und Aaron sich auf Zippora beziehen, die midianitische Frau und Tochter des Priesters Jitro. Die Kirchenväter haben diese Umschreibung auf das Land Äthiopien bezogen. Moses Frau Zippora sei deshalb gemeint, weil Midian an Äthiopien grenze. Viele Bibelübersetzungen schreiben sogar explizit „äthiopische Frau“, statt „kuschitische Frau“. Entscheidend ist, dass es sich bei Moses Frau um eine Nichtisraelitin handelt. Der Hl. Ambrosius schreibt über diese Begebenheit, dass das Murren der beiden ein Typos der Eifersucht Israels gegenüber der Heidenvölker sei. Auch zur Zeit Jesu komme dies vor, wir denken z.B. an das Gleichnis vom verlorenen Sohn, dessen großer Bruder oft mit den Pharisäern und Schriftgelehrten identifiziert wird. Denn die Juden zur Zeit Jesu murren darüber, wenn Jesus sich mit den Heiden und Sündern abgab.
Die Vorgeschichte des Mose, bevor er zum Propheten über Israel berufen worden ist, scheint ein Umweg zu sein. Viele Jahrzehnte hat er seinem Schwiegervater gedient und Schafe und Ziegen gehütet. Doch all dies ist eingeschlossen in den universalen Heilsplan Gottes. Wir können im Nachhinein auch diesen vermeintlichen Umweg als Mosaiksteinchen Gottes erkennen, denn dass Mose eine nichtisraelitische Frau hat, scheint uns eine Lektion und Vorbereitung auf den Bund Gottes mit allen Menschen, gleichermaßen für Juden und Heiden. Das Problem, weshalb Mose bei seinen Geschwistern Anstoß erregt, ist dass er zugleich ein Verbot ausgesprochen hat, außerhalb des Volkes Israel eine Ehe einzugehen. Mose kann aber nicht seine bereits vorhandene Frau und die aus der Ehe hervorgehenden Kinder rückgängig machen. Das ist ein entscheidender Unterschied. Er hat sie ja geheiratet, bevor das Verbot der Mischehe von Gott gegeben worden ist.
Das alles führt die Geschwister dazu, sich selbst zu erheben. Sie reden sich nun ein, dass Gott auch zu ihnen gesprochen habe wie zu Mose. Sie bilden sich darauf etwas ein, obwohl sie nicht dieselbe Berufung erhalten wie er. Ihnen hat sich Gott nicht im brennenden Dornbusch offenbart und gesagt, dass sie das Volk aus Ägypten führen sollen. Sie haben nicht durch einen Stab all die Plagen Gottes erwirkt. Sie haben nicht das Meer geteilt. Sie haben nicht mit Gott so innig im Offenbarungszelt gesprochen. Dort ist Mose allein hineingegangen.
Sie behaupten also von sich, Propheten zu sein, ohne eine Beauftragung von Gott erhalten zu haben. Das lässt Gott aber nicht auf sich sitzen, denn sie schmücken sich mit Orden, die er nicht vergeben hat.
So werden sie in der Gegenwart Gottes, der sich in der Wolkensäule offenbart, zur Rechenschaft gezogen. Diese Szene zeigt uns bereits auf, dass zwischen ihnen und Mose ein großer Unterschied besteht: Er geht immer wieder ins Offenbarungszelt, um beim Allerheiligsten mit Gott zu sprechen. Aaron und Mirjam müssen vor dem Zelt stehen bleiben. Ein weiterer Unterschied besteht in ihrer Haltung: Mose wird beschrieben als ein demütiger Mann, demütiger als alle anderen. Aaron und Mirjam brüsten sich aber und behaupten, so wie Mose zu sein. Das ist alles Andere als demütig.
Gott erklärt den beiden Geschwistern, dass wenn jemand zum Propheten berufen ist, eine Beauftragung von Gott erhält. Er offenbart sich den Propheten im Traum oder in Visionen.
Wenn wir so darüber nachdenken, merken wir, dass ihnen nicht einmal das gegeben ist. Mose hingegen ist sogar mehr als die Propheten des Alten Bundes. Ihm ist das ganze Haus Israel anvertraut. Er sieht nicht einfach nur Visionen, das auch, aber er spricht von Angesicht zu Angesicht mit Gott. Das übersteigt Prophetie und zeigt uns, wie sehr Mose eigentlich geheiligt ist. Gegen so einen Gottesmann zu reden, ist also eine besonders schwerwiegende Sünde und zieht besonders schlimme Konsequenzen nach sich.
So wird Mirjam nach dieser Begegnung am Zelteingang mit Aussatz geschlagen. Plötzlich gewandelt in ihrer Haltung gegenüber Mose flehen diese ihn um Vergebung an und dieser bittet Gott, seine Schwester zu heilen. An Moses Reaktion erkennen wir wirklich, dass er demütig ist. Er könnte wütend sein und zu ihr sagen: Das hast du verdient, weil du gegen mich gesprochen hast! Doch stattdessen steht er sogar noch als Fürsprecher für sie bei Gott ein.
Diese heutige Episode lehrt uns ganz viel und ist total aktuell: Erstens können wir uns nicht eigenmächtig Orden an die Brust hängen. Zweitens fällt auch auf uns zurück, wenn wir Gottesmänner schlecht machen. Wir sollen grundsätzlich keine üble Nachrede verbreiten, denn das gehört zur Sünde gegen das fünfte Gebot. Umso schwerwiegender ist es, wenn wir jene beleidigen, die eine besondere Berufung von Gott erhalten haben. Das sind in unserer Zeit sehr oft die Priester und Bischöfe. Auch da ist es oft die Reaktion, sich mit ihnen gleichsetzen zu wollen, wenn wir an ihnen eine vermeintliche Schwäche beobachten. Dann vergessen auch die Menschen von heute, dass sie mehr sind als ihre menschlichen Schwächen: Geweihte! Dass nun die Öffnung des Priestertums für Verheiratete und Frauen gefordert wird, erinnert uns sehr stark an die Worte der Geschwister Moses: „Hat er nicht auch durch uns gesprochen?“ Dann wirft man gerne das Taufpriestertum und das Weihepriestertum in einen Topf.
Ps 51
3 Gott, sei mir gnädig nach deiner Huld, tilge meine Frevel nach deinem reichen Erbarmen!
4 Wasch meine Schuld von mir ab und mach mich rein von meiner Sünde!
5 Denn ich erkenne meine bösen Taten, meine Sünde steht mir immer vor Augen.
6 Gegen dich allein habe ich gesündigt, ich habe getan, was böse ist in deinen Augen. So behältst du recht mit deinem Urteilsspruch, lauter stehst du da als Richter.
7 Siehe, in Schuld bin ich geboren und in Sünde hat mich meine Mutter empfangen.
12 Erschaffe mir, Gott, ein reines Herz und einen festen Geist erneuere in meinem Innern!
13 Verwirf mich nicht vor deinem Angesicht, deinen heiligen Geist nimm nicht von mir!
Im heutigen Psalm bittet König David um Gottes Barmherzigkeit. Dieser Psalm ist eine Selbstanklage des Königs David, der sich vor Gott versündigt hat. Er könnte genauso gut eine Vergebungsbitte Mirjams und Aarons darstellen, die sich gegen Mose verschuldet haben. Es ist auch ein passender Psalm für jeden Einzelnen von uns, die wir uns immer wieder vor Gott verschulden.
Gott soll gnädig sein nach seinem reichen Erbarmen. Schon im Alten Testament haben wir zahlreiche Beispiele dafür, dass Gott nicht nur als strenger Richter, sondern gerade auch als barmherziger Vater verstanden wird. Das betonen uns vor allem jene Heilsgestalten, die eine besonders innige Beziehung zu Gott führen – Mose, der mit Gott von Angesicht zu Angesicht redet sowie David, der immer wieder mit Gott Zwiesprache hält, ihn lobt wie kein anderer.
„Wasch meine Schuld von mir ab und mach mich rein von meiner Sünde“, ist ein Vers, den die Priester bei der Gabenbereitung zum Schluss beten, während der Messdiener ihnen Wasser über die Hände gießt. Auch Mirjam wird die Sehnsucht gehabt haben, von der Verunreinigung der Sünde reingewaschen zu werden. Diese hat sich ja sogar äußerlich an ihr gezeigt, als sie vom Aussatz befallen ist. Gott lässt gerade jene Krankheit an ihr zu, um die Menschen dafür vorzubereiten, was Sünde ist – die innere Verwesung des Menschen. Sünde führt in den Tod.
Aber auch wir beten diesen Vers, jedesmal wenn wir uns versündigt haben und umkehren. König David bittet Gott um sein Erbarmen und um die Vergebung der Schuld, wobei er gleichzeitig seine Sünden bekennt. Er hat schwere Sünden begangen, vom Ehebruch bis hin zu einem Mord. Und doch glaubt er, dass Gottes Liebe größer ist als seine größte Sünde. So tut es auch der verlorene Sohn im Gleichnis vom barmherzigen Vater, so möchte Jesus auch, dass wir tun. Gott kennt unsere Sünden schon längst, aber er möchte uns sprechen lassen, er gibt uns Gelegenheit, die eigene Schuld laut auszusprechen und somit einzugestehen. So gibt Gott auch Mirjam und Aaron die Chance, neu anzufangen. Sie bitten ihren Bruder um Vergebung, sodass sie vor Gott ihre aufrichtige Reue beweisen.
Wenn es heißt: „In Schuld bin ich geboren und in Sünde hat mich meine Mutter empfangen“, heißt das nicht, dass David ein uneheliches Kind ist. Vielmehr soll es heißen, dass der Mensch eine gefallene Natur ist. Von Anfang seines Lebens an neigt er zur Sünde und muss deshalb Gott um Verzeihung bitten. Wir nennen diesen Umstand theologisch Erbsünde. Jeder Mensch neigt zum Bösen und ist schwach, anfällig für die Versuchungen und Nachstellungen des Teufels. Umso mehr muss der Mensch Gott um seine Gnade bitten.
David sehnt sich nach einem reinen Herzen und einem festen Geist. Gott möge ihn erneuern, der er von Natur aus schwach ist. Auch wir sehnen uns nach einem Neuanfang und dürfen beten: Herr, schenke mir ein neues Herz, ein neues Leben in deinem Segen. Und wenn wir mit derselben Haltung zu ihm kommen wie König David hier im Psalm durchblicken lässt, dann wird Gott auch nicht zögern, unser Leben zu erneuern.
David bittet Gott darum, die Freundschaft mit ihm nicht zu kündigen („verwirf mich nicht von deinem Angesicht“). Er bittet ihn darum, die Salbung nicht zurückzunehmen, seinen gesamten Heilsplan mit David („nimm deinen Hl. Geist nicht von mir“, denn Salbung bedeutet Geistgabe). Er bittet Gott insgesamt darum, den Bund mit ihm nicht zu kündigen wegen dem, was er ihm angetan hat. Gott hat ihm aber zugesagt, dass er treu ist und einen Bund nicht zurücknimmt. Und so bitten auch wir Gott darum, dass er den Bund mit uns nicht kündigt, aber nun den neuen Bund. Gott ist treu. Er bleibt bei uns, aber es hängt von uns ab, ob wir uns selbst durch die Ablehnung Gottes aus dem Stand der Gnade verabschieden oder nicht. Mit diesem Stand der Gnade ist der Hl. Geist verbunden. Dieser kann in einem nur dann wirken, wenn die Leitung nicht verstopft oder sogar abgeschnitten ist.
Mt 14
22 Gleich darauf drängte er die Jünger, ins Boot zu steigen und an das andere Ufer vorauszufahren. Inzwischen wollte er die Leute nach Hause schicken.
23 Nachdem er sie weggeschickt hatte, stieg er auf einen Berg, um für sich allein zu beten. Als es Abend wurde, war er allein dort.
24 Das Boot aber war schon viele Stadien vom Land entfernt und wurde von den Wellen hin und her geworfen; denn sie hatten Gegenwind.
25 In der vierten Nachtwache kam er zu ihnen; er ging auf dem See.
26 Als ihn die Jünger über den See kommen sahen, erschraken sie, weil sie meinten, es sei ein Gespenst, und sie schrien vor Angst.
27 Doch sogleich sprach Jesus zu ihnen und sagte: Habt Vertrauen, ich bin es; fürchtet euch nicht!
28 Petrus erwiderte ihm und sagte: Herr, wenn du es bist, so befiehl, dass ich auf dem Wasser zu dir komme!
29 Jesus sagte: Komm! Da stieg Petrus aus dem Boot und kam über das Wasser zu Jesus.
30 Als er aber den heftigen Wind bemerkte, bekam er Angst. Und als er begann unterzugehen, schrie er: Herr, rette mich!
31 Jesus streckte sofort die Hand aus, ergriff ihn und sagte zu ihm: Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt?
32 Und als sie ins Boot gestiegen waren, legte sich der Wind.
33 Die Jünger im Boot aber fielen vor Jesus nieder und sagten: Wahrhaftig, Gottes Sohn bist du.
34 Sie fuhren auf das Ufer zu und kamen nach Gennesaret.
35 Als die Leute jener Gegend ihn erkannten, schickten sie in die ganze Umgebung. Und man brachte alle Kranken zu ihm
36 und bat ihn, er möge sie wenigstens den Saum seines Gewandes berühren lassen. Und alle, die ihn berührten, wurden geheilt.
Nach der wunderbaren Speisung des gestrigen Evangeliums „drängt“ Jesus seine Jünger heute, mit einem Boot ans andere Ufer zu fahren. Das Verb ἀναγκάζω anangkazo heißt „zwingen, überzeugen, beweisen“ und muss hier so verstanden werden, dass Jesus sich durchsetzt, obwohl die Jünger davon nicht so begeistert sind. Entweder klingt noch nach, dass Jesus zuvor etwas Absurdes von ihnen verlangt hat („gebt ihr ihnen zu essen“), sodass sie immer noch verwirrt vom Wunder sind, oder es ist etwas ganz anderes, was sehr an das Taborereignis erinnert: Sie wollen nicht weg, weil es so schön ist. Sie haben mit dem Wunder der Speisung von 5000 Gottes Herrlichkeit erahnt und wollen diesen wunderbaren Moment nicht direkt wieder verlassen. Sie sind Augenzeugen der Herrlichkeit Gottes geworden.
Die zweite Erklärung macht mehr Sinn. Warum? Jesus tat die ganzen Wunder im Laufe seines irdischen Lebens ja in erster Linie, damit die Menschen zum Glauben an ihn kommen bzw. gestärkt werden. Seine Jünger werden da keine Ausnahme gebildet haben!
Und nun lesen wir auch die Bestätigung dessen, was wir gestern schon vermutet haben: Jesus schickt die Leute nun selbst nach Hause, was die Jünger zuvor ja schon tun wollten. Jesus will von Anfang an niemanden quälen oder das leibliche Wohl vernachlässigen. Das Wunder ist ja nun vollbracht und die Lektion Gottes erteilt worden (die Vorbereitung der Anwesenden auf die Eucharistie und das himmlische Hochzeitsmahl). Jesus wollte die Menschen ja nicht überstrapazieren, indem er sie mitten in die Pampa lockt. Er hat sie genährt – körperlich, aber vor allem seelisch! Nun sollen sie „darüber schlafen“, also alles verarbeiten, was passiert ist.
Dann tut Jesus etwas, das auf den ersten Blick absurd erscheint: Er schickt seine Jünger auf den See, geht selbst aber auf einen Berg. Das muss man richtig verstehen. Jesus zieht sich immer wieder auf einen Berg zurück, um mit seinem Vater zu sein. Jesus könnte es auch anders machen, denn egal, wo er ist, ist er eins mit seinem Vater. Er tut es aber um der Menschen willen. Sie sollen immer wieder die göttlichen Lektionen erteilt bekommen und nach und nach tiefer in das Geheimnis Gottes eintauchen. Seine Jünger sind Juden. Sie wissen aus der Hl. Schrift, dass der Berg der Ort einer besonderen Nähe zu Gott ist. Die wichtigen heilsgeschichtlichen Stationen haben auf einem Berg stattgefunden: Mose erhielt die zehn Gebote auf dem Berg Sinai, Abraham opferte seinen Sohn fast auf einem der Berge im Gebirge Morija. Die Arche Noahs ging auf einem Berg an Land. Elijah hatte ebenfalls eine Gottesbegegnung am Horeb. Man könnte noch ewig so weiter aufzählen. Die Jünger Jesu werden verstanden haben, warum Jesus ausgerechnet nach so spektakulären Wundertaten die Nähe zu seinem Vater sucht. Für uns ist das heute besonders erkenntnisreich: Wir sehen an Jesu Verhalten, wie eine Liebesgemeinschaft mit Gott geht. Wir sollen uns im Gebet mit Gott von seiner Liebe umarmen lassen und dabei unseren „Tank“ auffüllen, mit dem wir dann unseren Mitmenschen barmherzig sein sollen. Gestern lasen wir davon, dass Jesus mit den Menschen Mitleid hatte. Er hat diesen Tausenden seine ganze Liebe geschenkt. Und danach geht er wieder zum Vater und tankt neu auf. So sollen auch wir die Liebe, die wir dem Nächsten schenken, immer wieder vom Herrn holen. Sind wir ganz in seiner Gemeinschaft, werden wir selbst zu einer unerschöpflichen Quelle der Liebe. Andernfalls geraten wir sehr schnell an unsere Grenzen.
Jesus schickt seine Jünger alleine auf den See. Auch das ist eine Lektion für die Jünger. Sie sind ja eigentlich gesättigt von der wunderbaren Speise – nicht nur körperlich, sondern auch seelisch. Das war jedenfalls das Ziel der Speisung. Und dann kommt der Gegenwind. Sie nehmen ihre ganze Kraft zusammen, haben aber Probleme, voranzukommen. Gott lässt das zu, nicht weil er sadistisch ist, sondern weil er sie lehren will. Der Unterricht des Tages ist noch nicht zuende. In der vierten Nachtwache, also im Morgengrauen, kommt Jesus auf dem Wasser ihnen entgegen. Ihre Reaktion ist Angst, da sie ihn für ein Gespenst halten. Doch Angst ist nicht vom Hl. Geist. Wir brauchen keine Angst zu haben, wenn wir in der Liebe Gottes leben. Deshalb sagt Jesus diesen wichtigen und so oft in der Bibel kommenden Satz „Fürchtet euch nicht!“ Mit Jesu Kommen legt sich der Wind. Das sagt etwas über seine Göttlichkeit aus. Die Schöpfung ist ihm untertan.
Petrus ist wie so oft der Wortführer und möchte wie Jesus auf dem Wasser gehen. Dies tut er auch erfolgreich, denn Jesus verleiht ihm die Gnade. Doch dann schaut er um sich und bekommt es mit der Angst zu tun. Wie gesagt. Diese Emotion kommt nicht vom Hl. Geist, weil sie einen Mangel an Gottvertrauen darstellt. Sofort beginnt er, unterzugehen. Uns zeigt es, wie wichtig das Gottvertrauen ist. Wer an Gottes Allmacht zweifelt, der verliert sofort die Gnade Gottes.
Und als Petrus nach Jesu Rettung schreit, hilft dieser ihm sofort, aber mit den tadelnden Worten „du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt?“ Petrus hat kurz zuvor noch Jesu göttliche Vollmacht bei dem Speisungswunder bezeugt und hier traut er ihm plötzlich nicht mehr zu, ihn über Wasser zu halten. So schnell bekommen wir Angst, obwohl auch in unserem Leben Gott bereits so viele bewirkt hat.
Und dann legt sich der Wind und sie fahren nach Gennesaret. Dort setzt sich die Beschämung für den Kleingläubigen fort: Denn die Menschen in jener Gegend haben einen derart starken Glauben, dass sie nur den Saum des Gewandes Jesu berühren müssen, um geheilt zu werden. Was sich Petrus wohl gedacht hat? Vor seinen eigenen Augen geht Jesus spektakulär auf dem Wasser, nährte zuvor mehrere tausend Menschen und er hatte dennoch Angst, doch diese Menschen hier sehen diese Wunder nicht und berühren einfach dessen Gewand! Oft trifft auf Petrus der Spruch zu: „Hochmut kommt vor dem Fall.“ Bis er seine Übermütigkeit und vorlaute Art überwindet, werden noch so einige Dinge geschehen, aber Gottes Gnade wird an ihm Wunderbares bewirken.
Wir fassen noch einmal zusammen: Jesus tut das Speisungswunder, was an die Eucharistie erinnert. Er bereitet seine Jünger auf den Neuen Bund vor, den er beim letzten Abendmahl beginnen und am Kreuz vollenden würde. Dass er dann direkt zum Berg geht und die Jünger alleinlässt, ist demnach die Vorbereitung der Jünger auf die Zeit nach seinem Tod. Er will sie dafür sensibilisieren, dass er sie durch den Kreuzestod für eine kurze Zeit alleine lassen würde, nur um in der „vierten Nachtwache“ von den Toten aufzuerstehen! Er geht auf dem Wasser, um sie darauf vorzubereiten, wie er als Auferstandener die Naturgesetze überwinden und in verschlossenen Räumen erscheinen wird. Er kommt zu ihnen zurück und mit seiner Gegenwart verschwinden ihre Probleme schlagartig. All das hätte sie zur Einsicht oder zumindest zur Erahnung führen sollen, wer Jesus und wer Gott ist.
Jesus will ihnen durch die Lektion noch etwas anderes lehren: Er will sie darauf vorbereiten, was die Eucharistie bedeuten wird. Sie ist seine Gegenwart, auch wenn sie ihn in jetziger Gestalt nicht mehr sehen. Durch diese Gegenwart soll sich ihr Verhalten auch ändern. Sie sollen verstehen, dass er da ist und dass sie ihm genauso vertrauen können, wie als er in Menschengestalt bei ihnen war. Als Jesus zu ihnen ins Boot steigt, vertrauen sie ihm immer noch nicht, sondern sind immer noch bestürzt und fassungslos. Noch sind sie nicht bereit, den Kern der Eucharistie zu verstehen.
Wir lesen die Lektion mehrdimensional. Die Speisung und die sich anschließende Episode erinnert auch an die Fortsetzung: Jesus hinterlässt der Kirche ein Testament, nämlich seinen eigenen Leib. Dann geht er heim zum Vater und beauftragt seine Kirche, in seinem Namen die Verkündigung der frohen Botschaft fortzusetzen. Das Boot/Schiff ist nicht umsonst eine gängige Metapher für die Kirche. Die Gemeinschaft der Gläubigen auf dem Boot müht sich ab in den Stürmen und Gegenwinden der Welt. Sie ist ohne Christus ganz verloren. Vielleicht deutet diese Episode schon die ängstliche Verbarrikadierung der Jünger Jesu an, die erst mit dem Kommen des Hl. Geistes den Mut erhalten, hinauszugehen und das Wort Gottes zu verkündigen. Es lehrt uns heute als Kirche jedenfalls eine deutliche Lektion. Wo wir versuchen, das Boot der Kirche zu steuern, ohne dass Jesus mit im Boot ist, ist unser Schiffbruch vorprogrammiert. Die Gegenwinde sind zu stark, als dass wir aus unserer eigenen Kraft dagegen anrudern könnten. Das betrifft jede Zeit. So war es bei den ersten Christen, so ist es auch gerade heute in den Wirren der Gegenwart. Überlassen wir auch heute als Kirche dem Herrn das Ruder, damit er uns sicher ans andere Ufer bringt, nämlich in das himmlische Jerusalem zum Vater. Die Bootsfahrt der Jünger von einem Ufer ans andere versinnbildlicht somit unsere jetzige Epoche der Kirche von Jesu Bundesschluss bis hin zum Ende der Zeiten. Wir sind in dieser Endzeit und steuern in ganz schlimmen Stürmen auf das andere Ufer zu. Ohne Jesu Gegenwart, das heißt ohne die Eucharistie, sind wir verloren. Falls wir nicht Schiffbruch erleiden, landen wir irgendwo anders, aber nicht im Himmel…Das ist so auch mit jedem einzelnen Menschen, der von einem Ufer ans andere segelt auf dem See seines Lebens. Wir erleiden im Laufe unserer Lebenszeit so viele Stürme und ganz viel Widerstand auf dem Weg zum Himmelreich. Der Böse will uns dort nicht sehen, sondern tut alles daran, dass wir Schiffbruch erleiden. Deshalb versucht er uns immer wieder, damit wir in Sünde fallen. Selbst die „Kleinigkeiten“ bohren winzige Löcher ins Boot, die mit der Zeit immer mehr aufbrechen, Wasser ins Boot laufen lassen und das Schiff zum Sinken bringen können. Rudern wir dann aus eigener Kraft wie wild dagegen an, werden wir höchstens aufgerieben und erschöpft. Irgendwann hören wir dann vielleicht sogar auf zu rudern und werden in die entgegengesetzte Richtung getrieben. Sind wir aber in Gemeinschaft mit Gott, steigt Jesus also zu uns ins Boot, dann muss er nur einmal schnippen und die Stürme legen sich. Laden wir stets Jesus in unser Boot, dann werden wir keinen Schiffbruch erleiden!
Schließlich lesen wir die Bootsepisode anagogisch. Jesus kommt am Ende der Zeiten, also in der letzten Nachtwache, unserem Boot der Kirche bzw. der gesamten Menschheit entgegen. Seine Herrlichkeit wird viele Menschen in Furcht bringen. Wir sollen aber keine Angst haben, sondern unsere Häupter erheben, denn „die Erlösung ist nahe“. Der verherrlichte Menschensohn ist unsere Erlösung, nicht unser Untergang. Wir haben nichts zu befürchten, wenn wir in einer Liebesgemeinschaft sind. Das mussten die Jünger damals noch lernen, das müssen auch wir heutzutage noch lernen. Deshalb steht der schon genannte Satz so oft in der Bibel, nämlich 365 Mal: Hab keine Angst. Er steht für jeden Tag in der Hl. Schrift, damit wir das nie vergessen.
Ihre Magstrauss