Jona 1,1 – 2,1.11; Jona 2,3.4.5-6.8 u. 10; Lk 10,25-37
Jona 1-2
1 Das Wort des HERRN erging an Jona, den Sohn Amittais:
2 Mach dich auf den Weg und geh nach Ninive, der großen Stadt, und rufe über sie aus, dass ihre Schlechtigkeit zu mir heraufgedrungen ist.
3 Jona machte sich auf den Weg; doch er wollte nach Tarschisch fliehen, weit weg vom HERRN. Er ging also nach Jafo hinab und fand dort ein Schiff, das nach Tarschisch fuhr. Er bezahlte das Fahrgeld und ging an Bord, um nach Tarschisch mitzufahren, weit weg vom HERRN.
4 Der HERR aber warf einen großen Wind auf das Meer und es entstand ein gewaltiger Seesturm und das Schiff drohte auseinanderzubrechen. 5 Da gerieten die Seeleute in Furcht und jeder schrie zu seinem Gott um Hilfe. Sie warfen sogar die Ladung ins Meer, damit das Schiff leichter wurde. Jona war in den untersten Raum des Schiffes hinabgestiegen, hatte sich hingelegt und schlief fest.
6 Der Kapitän ging zu ihm und sagte: Wie kannst du schlafen? Steh auf, ruf deinen Gott an; vielleicht denkt dieser Gott an uns, sodass wir nicht untergehen.
7 Dann sagten sie zueinander: Kommt, wir wollen das Los werfen, um zu erfahren, wer an diesem unserem Unheil schuld ist. Sie warfen das Los und es fiel auf Jona.
8 Da fragten sie ihn: Sag uns doch, weshalb dieses Unheil über uns gekommen ist. Was treibst du für ein Gewerbe und woher kommst du, was ist dein Land und aus welchem Volk bist du?
9 Er antwortete ihnen: Ich bin ein Hebräer und verehre den HERRN, den Gott des Himmels, der das Meer und das Festland gemacht hat.
10 Da gerieten die Männer in große Furcht und sagten zu ihm: Was hast du da getan? Denn die Männer erkannten, dass er vor dem HERRN auf der Flucht war, wie er es ihnen mitgeteilt hatte.
11 Und sie sagten zu ihm: Was sollen wir mit dir machen, damit das Meer sich beruhigt und uns verschont? Denn das Meer wurde immer stürmischer.
12 Jona antwortete ihnen: Nehmt mich und werft mich ins Meer, damit das Meer sich beruhigt und euch verschont! Denn ich weiß, dass dieser gewaltige Sturm durch meine Schuld über euch gekommen ist.
13 Die Männer aber ruderten mit aller Kraft, um wieder an Land zu kommen; doch sie richteten nichts aus, denn das Meer stürmte immer heftiger gegen sie an.
14 Da riefen sie zum HERRN: Ach HERR, lass uns nicht untergehen wegen dieses Mannes und rechne uns, was wir jetzt tun, nicht als Vergehen an unschuldigem Blut an! Fürwahr, wie du wolltest, HERR, so hast du gehandelt.
15 Dann nahmen sie Jona und warfen ihn ins Meer und das Meer hörte auf zu toben.
16 Da gerieten die Männer in große Furcht vor dem HERRN und sie schlachteten für den HERRN ein Opfer und machten ihm Gelübde.
1 Der HERR aber schickte einen großen Fisch, dass er Jona verschlinge. Jona war drei Tage und drei Nächte im Bauch des Fisches.
11 Da befahl der HERR dem Fisch und dieser spie den Jona an Land.
Heute hören wir die Lesung aus dem Buch Jona. Es handelt sich um eine sehr bekannte Geschichte, die aktueller nicht sein könnte. Jona lebt und wirkt im 8. Jh. v. Chr. in der Regierungszeit König Jerobeams II im Nordreich Israel. Er erhält den Auftrag von Gott, in der assyrischen Metropole Ninive Umkehr zu predigen, bevor es zur Zerstörung der Stadt kommen kann. Ninive liegt im heutigen Irak und wurde vor einigen Jahren vom IS zerstört. Es handelt sich also um einen Ort weiter im Osten. Gebürtig stammt Jona nämlich aus Galiläa. Doch statt in den Osten zu ziehen, schlägt er die entgegengesetzte Richtung ein – er nimmt in Jaffa ein Schiff nach Tarschisch, das mit Tartessos, einer Hafenstadt an der Südküste der iberischen Halbinsel identifiziert wird.
Er unternimmt also das Gegenteil von dem, was Gott ihm aufgetragen hat. Er möchte Ninive nicht die Umkehr predigen. Warum? Es handelt sich um eine heidnische Stadt. Es gilt als ein Ort der Gottverlassenheit. Wenn Ninive später zerstört werden wird, wird es spätestens dann zum Inbegriff der Gottesferne. Er befürchtet, dass wenn er dort hinkommt und die Bußpredigt vornimmt, die Menschen es annehmen werden und Gott ihnen barmherzig sein wird. Er gönnt ihnen die Chance zur Umkehr nicht. Das geht über sein Empfinden hinaus. Wenn er seinen eigenen Landsleuten Umkehr predigen müsste, sähe das alles ganz anders aus.
So liegt er nun im Schiff und schläft, während ein immenser Sturm aufkommt. Wir erinnern uns an Christus, der auch mal bei einem starken Sturm im Boot liegt und schläft. Die Seeleute flehen ihre Götter um Gnade an, werfen Ballast vom Schiff, damit sie sich vor Schiffbruch retten können.
Der Kapitän weckt den schlafenden Insassen, damit dieser zu seinem Gott fleht. Jetzt erst bemerkt Jona, was passiert.
Wie soll Jona denn seinen Gott anflehen, wenn er zuvor ja vor ihm geflohen ist? Er selbst sagt nichts, doch als sie das Los werfen, um zu begreifen, wer das Unheil auf die gesamte Schiffsbesatzung gezogen hat, fällt es auf ihn. Spätestens jetzt sollte es ihm selbst bewusst werden und er beichtet alles. Die Seeleuchte geraten in Furcht, weil er einem so mächtigen Gott anhängt, der Meer und Festland geschaffen hat. Sie haben vor allem Angst, weil sie begreifen, dass Jona vor ihm geflohen ist. Das muss eine besonders schlimme Sünde sein!
Die Leute sind verzweifelt und der Sturm verschlimmert sich zunehmend. Jona begreift, dass es seine Schuld ist. Er ist bereit, die Konsequenzen auf sich zu nehmen. So schlägt er selbst vor, dass man ihn ins Meer schmeißt. Noch versuchen die Seeleute eine andere Möglichkeit, doch es bringt nichts. Sie wenden sich an den Gott Jonas mit den Worten: „Ach HERR, lass uns nicht untergehen wegen dieses Mannes und rechne uns, was wir jetzt tun, nicht als Vergehen an unschuldigem Blut an! Fürwahr, wie du wolltest, HERR, so hast du gehandelt.“ Sie tun das nicht, weil sie jemanden umbringen wollen, sondern um Gerechtigkeit für Gott zu erlangen. Das ist sehr bemerkenswert! Das heißt, dass auch die Andersgläubigen ein Gebet an den Gott Israels formulieren! Nicht nur das: Sie werden ihm sogar opfern. Sie legen auch Gelübde ab. Alles deutet darauf hin, dass die Männer zum Glauben an den Gott Israels gekommen sind – durch das Opfer Jonas. Sobald Jona über Bord geht, beruhigt sich der Sturm. So haben die Männer Gewissheit darüber, dass es an dem Propheten lag. Der Prophet überlebt jedoch, denn ein riesiger Fisch verschluckt ihn, in dem er drei Tage und Nächte bleibt. Danach speit der Fisch Jona an Land und er ist gerettet.
Jesus greift diese Episode auf, um sie typologisch auf sich zu beziehen. So wie Jona drei Tage im Bauch des Fisches ist, so muss der Menschensohn drei Tage im Grab liegen, bevor er aufersteht.
Nach diesem ganzen Umweg wird Jona den Auftrag Gottes erfüllen und nach Ninive gehen. Hätte er diesen spektakulären Umweg nicht gemacht! Andererseits: Hätte er das Schiff nicht genommen und hätte der Sturm nicht getobt, wären die Seeleute nicht zum Glauben an Gott gekommen.
Jona 2
2 Da betete Jona zum HERRN, seinem Gott, aus dem Inneren des Fisches heraus:
3 In meiner Not rief ich zum HERRN / und er erhörte mich. Aus dem Leib der Unterwelt schrie ich um Hilfe / und du hörtest meine Stimme.
4 Du hast mich in die Tiefe geworfen, in das Herz der Meere; / mich umschlossen die Fluten, all deine Wellen und Wogen / schlugen über mir zusammen.
5 Ich sagte: Ich bin verstoßen / aus deiner Nähe. Wie kann ich jemals wiedersehen / deinen heiligen Tempel?
6 Das Wasser reichte mir bis an die Kehle, / die Urflut umschloss mich; Schilfgras umschlang meinen Kopf. /
8 Als meine Seele in mir verzagte, / gedachte ich des HERRN und mein Gebet drang zu dir, / zu deinem heiligen Tempel.
10 Ich aber will dir opfern / und laut dein Lob verkünden. Was ich gelobt habe, will ich erfüllen. / Vom HERRN kommt die Rettung.
Als Antwort beten wir keinen Psalm, sondern ein Gebet des Jona, das umgangssprachlich als Jona-Psalm bezeichnet wird. Es handelt sich um ein Gebet, das er im Bauch des Fisches an Gott gerichtet hat. Es hat wirklich den Stil der Psalmen.
Gott hat Jona in der Not erhört. Zwar sitzt er im Bauch eines Fisches, aber er lebt. Aus dem Leib der Unterwelt schrie er um Hilfe, denn er wäre in den Fluten ertrunken. Doch dann kam der Fisch. Jona begreift dieses Geschehen als Rettungsaktion.
Die Tiefe und das Herz der Meere meint Jona nicht nur wortwörtlich, sondern auch moralisch: Er ist wirklich herabgesunken, dass er sich in die entgegengesetzte Richtung macht. Was hat er sich dabei nur gedacht? Als ob wir Menschen vor Gott fliehen können! Wir können nicht weit kommen ohne den Segen Gottes. Er ist sehr tief gesunken, sodass alles über ihm zusammenbricht. Die Fluten schlagen über ihm zusammen. Es schnürt ihm die Luft zu. Das müssen wir uns zu Herzen nehmen: Wir können nicht aufatmen fern von Gott. Wenn wir das Gegenteil von dem versuchen, was Gott für uns bereithält, kann es uns nicht gut gehen. Gott hat doch das Beste für uns bereit. Er weiß, was wir können und was wir schaffen. Wirklich frei und glücklich können wir sein, wenn wir auf seinen Wegen gehen.
Wir müssen auch bedenken, dass Jona nicht irgendein Mensch ist. Er ist ein Prophet. Gott selbst hat zu ihm gesprochen und sich offenbart. Er wird besonders streng behandelt, weil ihm so eine große Gnade, aber auch Verantwortung zuteilgeworden ist. Wenn so jemand wie er sich also aus dem Staub machen will, wird er besonders Rechenschaft ablegen.
In seiner Not ist ihm wohl alles bewusst geworden. Er war überzeugt, dass Gott ihn verworfen hat oder er zumindest nie wieder Gottes Herrlichkeit im Tempel erfahren wird.
Was hier in der Einheitsübersetzung mit „Urflut“ übersetzt wird, heißt wörtlich zunächst einmal „Abgrund“. Deshalb übersetzen andere Bibelausgaben mit „Tiefe“. Zugleich ist es dasselbe Wort wie in der Genesis, als der Geist Gottes über der Urflut schwebt. Das bedrohliche Meer des Jona ist Inbegriff des Chaos ob der Ablehnung Gottes, zugleich auch ein Hinweis auf das Wasser der Sintflut. Wasserfluten sind im Verlauf der Hl. Schrift immer wieder Sinnbild der überwältigenden Sündenlast. Das Schilfgras wird alternativ auch mit Seetang übersetzt.
Not lehrt beten. Jona wendet sich in seiner Not an den Herrn. So sehr wollte er vor ihm fliehen, doch nun hängt er sich ganz an ihn.
Er gelobt ihm, ein Opfer darzubringen, wenn er heile aus der Situation herauskommt. Er gelobt es, weil er weiß, dass Gott seine Rettung ist. Er vertraut ganz darauf, dass Gott ihn aus der Situation retten wird. Schon sitzt er ja im Fischbauch. Der erste Schritt zur Rettung ist bereits erfolgt. Er ist nicht ertrunken. Dass diese Situation von Gott gewirkt ist, scheint für ihn eindeutig: Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass man mitten beim Ertrinken von einem riesigen Fisch verschluckt wird?
Lk 10
25 Und siehe, ein Gesetzeslehrer stand auf, um Jesus auf die Probe zu stellen, und fragte ihn: Meister, was muss ich tun, um das ewige Leben zu erben?
26 Jesus sagte zu ihm: Was steht im Gesetz geschrieben? Was liest du?
27 Er antwortete: Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen und deiner ganzen Seele, mit deiner ganzen Kraft und deinem ganzen Denken, und deinen Nächsten wie dich selbst.
28 Jesus sagte zu ihm: Du hast richtig geantwortet. Handle danach und du wirst leben!
29 Der Gesetzeslehrer wollte sich rechtfertigen und sagte zu Jesus: Und wer ist mein Nächster?
30 Darauf antwortete ihm Jesus: Ein Mann ging von Jerusalem nach Jericho hinab und wurde von Räubern überfallen. Sie plünderten ihn aus und schlugen ihn nieder; dann gingen sie weg und ließen ihn halbtot liegen.
31 Zufällig kam ein Priester denselben Weg herab; er sah ihn und ging vorüber.
32 Ebenso kam auch ein Levit zu der Stelle; er sah ihn und ging vorüber.
33 Ein Samariter aber, der auf der Reise war, kam zu ihm; er sah ihn und hatte Mitleid,
34 ging zu ihm hin, goss Öl und Wein auf seine Wunden und verband sie. Dann hob er ihn auf sein eigenes Reittier, brachte ihn zu einer Herberge und sorgte für ihn.
35 Und am nächsten Tag holte er zwei Denare hervor, gab sie dem Wirt und sagte: Sorge für ihn, und wenn du mehr für ihn brauchst, werde ich es dir bezahlen, wenn ich wiederkomme.
36 Wer von diesen dreien meinst du, ist dem der Nächste geworden, der von den Räubern überfallen wurde?
37 Der Gesetzeslehrer antwortete: Der barmherzig an ihm gehandelt hat. Da sagte Jesus zu ihm: Dann geh und handle du genauso!
Heute hören wir das Gleichnis vom barmherzigen Samariter. Die Vorgeschichte ist folgende: Ein Gesetzeslehrer stellt Jesus die Frage: „Meister, was muss ich tun, um das ewige Leben zu erben?“ Das ist eine entscheidende Frage. Wie erhalten wir Menschen das ewige Leben? Dass ein Gesetzeslehrer diese Frage stellt, ist nicht selbstverständlich. Nicht alle religiösen Gruppen zur Zeit Jesu glauben an ein Leben nach dem Tod, so lehnen es die Sadduzäer ab, die ja die religionspolitische Elite jener Zeit darstellen.
Jesus möchte diesem Mann mit seiner eigenen Mentalität zur Antwort verhelfen – indem er das Gesetz befragt. Hier meint das Gesetz die Torah. Der Gesetzeslehrer arbeitet tagtäglich mit den Hl. Schriften der Juden und so geht Jesus auf diese ein. Der Mann antwortet wahrheitsgemäß mit dem Doppelgebot der Liebe – zunächst mit Dtn 6,4-9, dem Sch’ma Israel, dann mit Lev 19,18, dem Aufruf zur Nächstenliebe.
Weil er richtig geantwortet hat, lobt Jesus ihn und sagt ihm zu, dass wenn er danach handelt, das ewige Leben erlangen wird.
Der Gesetzeslehrer lässt das aber nicht so stehen und fragt nach: Wer ist mein Nächster? Und so beginnt Jesus das Gleichnis vom barmherzigen Samariter. Es ist eine Erzählung, die zu den bekanntesten Schriftworten zählt. Und doch wird die Geschichte oft falsch verstanden. Umso aufmerksamer müssen wir sie nun hören, um sie richtig zu verstehen:
Ein Mann geht von Jerusalem nach Jericho hinab und wird unterwegs von Räubern überfallen. Schon allein diese Aussage muss genau verstanden werden, damit es nicht zu einer Fehlinterpretation kommt. Es handelt sich um einen Mann, dessen Nationalität uns unbekannt sind. Und dennoch können wir vermuten, dass es ein Jude ist. Warum? Er ist unterwegs von Jerusalem nach Jericho, was vielleicht darauf hindeutet, dass er bei einem Wallfahrtsfest oder allgemein beim Tempel war und nun auf der Rückreise ist. Wenn wir auch bedenken, dass gleich noch weitere Personen diesen Weg wählen werden – von Jerusalem nach Jericho – handelt es sich vielleicht um die Wallfahrtssaison. Man weiß nichts von dem Mann und er liegt halbtot und ausgeraubt danieder.
Dann kommt ein Priester denselben Weg hinab. Wir betonen: Er kommt von Jerusalem und ist unterwegs nach Jericho. Er lässt den Mann dort liegen, obwohl er ihn sieht. Es wird nun immer wieder interpretiert, dass er aufgrund der kultischen Verunreinigung beim Kontakt mit Blut oder Tod nicht eingreift. Er kann von weitem ja nicht erkennen, ob der Mann wirklich tot ist oder noch lebt. Ausgehend davon wird auf das Priestertum des Alten Bundes sowie auf die Priester des Christentums geschimpft, dass ihnen der Gottesdienst wichtiger ist als die Nächstenliebe. Wir hören dann oft Predigten, in denen zur tätigen Nächstenliebe aufgerufen wird und Gottesdienst, Liturgie schlecht gemacht werden, so als ob die Diakonia vor der Leiturgia komme. Darum geht es hier aber nicht. Der Priester im Gleichnis kommt von der Opferung im Jerusalemer Tempel. Er hat dies schon getan und ist auf dem Heimweg! Was hier also kritisiert werden muss, ist nicht der Jerusalemer Tempelkult, sondern dass sich die Gnade, die der Priester durch die Opferung erhalten hat, nicht im Alltag bewährt. Er hat nun die Chance, die Liebe, die er von Gott selbst empfangen hat, an den Nächsten weiterzugeben. Stattdessen lässt er ihn liegen. Selbst wenn er in dem Moment kultunfähig werden würde, wäre das doch unwichtig! Er hat das Opfer ja schon dargebracht. Dennoch geht er an dem Halbtoten vorbei.
Ebenso kommt nun ein Levit an ihm vorbei und hilft genauso wenig wie der Priester. Auch er hat seinen Dienst im Tempel bereits vollzogen. Warum hilft er dem Mann nun nicht? Gottes- und Nächstenliebe gehören zusammen. Wenn Gott uns mit seiner Liebe überschüttet und uns segnet, dann möchte er, dass wir das auch unserem Nächsten weitergeben. Wir sollen doch barmherzig wie der Vater im Himmel sein. Und das Wort für die Barmherzigkeit ist im Griechischen dasselbe Wort für Mitleid. Diese beiden haben die Zeit der Gnade nicht erkannt, die empfangene Liebe Gottes an den Nächsten weiterzugeben.
Doch dann kommt ein Samariter. Ausgerechnet ein Erzfeind der Juden! Mit diesen sprechen die Juden nicht. Doch dieser hat Mitleid mit dem Halbtoten. Er weiß ja nicht, was das für ein Mensch ist. Doch er hilft ihm, verbindet seine Wunden, bringt ihn auf seinem Esel zu einer Herberge und bezahlt seinen Aufenthalt.
Dieser Mann ist dem Halbtoten der Nächste geworden, weil er Mitleid hatte. So sollen wir alle Mitleid haben, wenn wir Not sehen. Und Liebe kennt keine Grenzen. Es spielt keine Rolle, welche Nationalität, Religion, welches Geschlecht etc. der Leidende hat.
Warum hat Jesus ausgerechnet einen Priester und einen Leviten zum Negativbeispiel gemacht, wenn er den Kult an sich nicht kritisiert? Hier spricht Jesus ja mit einem Gesetzeslehrer, einem angesehenen Juden. Er provoziert hier ganz bewusst mit der vermeintlichen Elite, damit gerade jene mit religiöser Verantwortung sich an die eigene Nase fassen und ihr Verhalten überdenken. Viele dieser Menschen seiner Zeit nutzen ihre Position aus, um geachtet zu werden, besondere Privilegien zu genießen, aber nicht als besonders enge Beziehung zum Herrn. Ihnen fehlt oft die Liebe und der persönliche Bezug zu Gott. Deshalb nennt Jesus gerade jene. Er möchte, dass auch sie zur Besinnung kommen und umkehren.
Jesus schließt das Gespräch mit den Worten: Dann geh und handle genauso!“ Das ist ein Aufruf nicht nur an den Gesetzeslehrer im Evangelium. Das ist auch ein Appell an uns, genauso zu handeln. Nehmen wir Jesu Worte ernst und seien wir den anderen Menschen der oder die Nächste. Der Hl. Franz von Assisi, dessen Gedenktag heute ist, hat das Gebet formuliert „Herr, mach mich zu einem Werkzeug deines Friedens.“ Und in diesem Gebet heißt es unter anderem: „Nicht dass ich geliebt werde, sondern dass ich liebe.“ Darum geht es. Wir sollen nicht erwarten, dass andere uns Gutes tun, sondern selbst zu denen werden, die andere Menschen gut behandeln. Schließlich überschüttet Gott uns tagtäglich mit seinem Segen. Die Liebe Gottes ist immer überfließend und so ist es an uns, die Gottesliebe anderen Menschen weiterzugeben.
Und in dieser Haltung dürfen wir nie vergessen: Gottes Barmherzigkeit ist ein riesiges Meer. Wer sind wir, selektiv vorzugehen bei der Haltung der Barmherzigkeit? Wenn Gott uns einen Menschen schickt, dem wir barmherzig sein sollen, dürfen wir uns nicht querstellen. Wenn Gott Jona nach Ninive schickt, damit die Heiden sich bekehren, darf Jona Gott nicht einfach „korrigieren“, so auch der Priester sowie der Levit im Evangelium. Gönnen wir den anderen das Meer der Barmherzigkeit Gottes, damit wir nicht wie Jona im Meer der Urflut ertrinken! Gott weiß schließlich genau um den Seelenzustand des entsprechenden Menschen. Wer sind wir, ihn aufzuhalten?
Ihre Magstrauss