Neh 8,2-4a.5-6.8-10; Ps 19,8.9.10.12 u. 15; 1 Kor 12,12-31a; Lk 1,1-4; 4,14-21
Neh 8
2 Am ersten Tag des siebten Monats brachte der Priester Esra die Weisung vor die Versammlung, Männer und Frauen und überhaupt alle, die schon mit Verstand zuhören konnten.
3 Vom frühen Morgen bis zum Mittag las Esra auf dem Platz vor dem Wassertor den Männern und Frauen und denen, die es verstehen konnten, daraus vor. Das ganze Volk lauschte auf das Buch der Weisung.
4 Der Schriftgelehrte Esra stand auf einer Kanzel aus Holz, die man eigens dafür errichtet hatte.
5 Esra öffnete das Buch vor aller Augen; denn er stand höher als das versammelte Volk. Als er das Buch aufschlug, erhoben sich alle.
6 Dann pries Esra den HERRN, den großen Gott; darauf antworteten alle mit erhobenen Händen: Amen, amen! Sie verneigten sich, warfen sich vor dem HERRN nieder, mit dem Gesicht zur Erde.
8 Man las aus dem Buch, der Weisung Gottes, in Abschnitten vor und gab dazu Erklärungen, sodass die Leute das Vorgelesene verstehen konnten.
9 Nehemia, das ist Hattirschata, der Priester und Schriftgelehrte Esra und die Leviten, die das Volk unterwiesen, sagten dann zum ganzen Volk: Heute ist ein heiliger Tag zu Ehren des HERRN, eures Gottes. Seid nicht traurig und weint nicht! Alle Leute weinten nämlich, als sie die Worte der Weisung hörten.
10 Dann sagte er zu ihnen: Nun geht, haltet ein festliches Mahl und trinkt süßen Wein! Schickt auch denen etwas, die selbst nichts haben; denn heute ist ein heiliger Tag zur Ehre unseres Herrn. Macht euch keine Sorgen; denn die Freude am HERRN ist eure Stärke.
Heute hören wir einen Ausschnitt aus dem Buch Nehemia. Man muss dazu sagen, dass Nehemia und Esra ganz eng miteinander zusammenhängen und ursprünglich auch ein Doppelwerk darstellten. Das, was wir heute das Buch Nehemia nennen, hieß ursprünglich zweites Buch Esra. In beiden Büchern tritt der Prophet Esra auf. Auch in der heutigen Episode geht es um ihn, der die Judäer die Richtung weist, als diese nach dem Babylonischen Exil das Leben in der Heimat wieder aufnehmen. Sie versammeln sich auf dem Platz vor dem Wassertor, um von Esra die Torah vorgelesen zu bekommen. Männer und Frauen, alle ab einem verständigen Alter, sind versammelt, um das Wort Gottes zu hören. Dabei steht Esra auf einer Holzkanzel, die man für den Anlass errichtet hat. Die Menschen erheben sich. Esra preist Gott und die Menschenmenge bestätigt dies durch ihr Amen und ihre Gestik der Verneigung. Offensichtlich begreifen die Menschen, dass Gott auf besondere Weise in der Torah anwesend ist.
Die Menschen weinen, werden aber von Esra, Nehemia und den Leviten zur Freude angehalten angesichts des Tags „zu Ehren des HERRN“. Stattdessen sollen sie feiern und süßen Wein trinken als Zeichen der Freude. Auch die Mangelnden sollen versorgt werden.
Die Freude ist die größte Waffe, deshalb bringen sie es auf den Punkt: Denn die Freude am HERRN ist eure Stärke.
Was wir gehört haben, ist absolut typologisch zu verstehen. Es ist die Grundlegung unseres Wortgottesdienstes, der den ersten Teil unserer hl. Messe bildet.
Alle sollen das Wort Gottes hören, denn der Glaube kommt vom Hören (Röm 10,17). Dabei stehen sie auf als Zeichen des besonderen Respekts. Der Vorleser steht auf einer Kanzel. Wir denken sehr an die Verlesung des Evangeliums, das für uns auch ein besonderer Moment in der Liturgie ist. Es wird aus dem Evangelium verlesen, wo Jesus selbst zitiert wird! Unmittelbar vor der Lesung wird Gott gepriesen im Halleluja, bei dem die Gläubigen einstimmen. Nach der Verlesung des Evangeliums wird der Text erklärt. Die Homilie der Hl. Messe ist genau dafür gedacht – die Hl. Schrift auszulegen, nicht um eine politische Rede zu halten, wie es oft in unseren Ortsgemeinden geschieht.
Die Menschen sollen gestärkt und mit neuer Erkenntnis aus der Messe herausgehen. Das alles geschieht am Tag des Herrn, den wir Sonntag nennen. Es ist ein Freudenfest, ein Tag der Freude, denn wir begehen ihn als Auferstehungstag. Das ist der Grund unserer Freude, die uns ins Herz gegeben ist. Freude ist mehr als eine Laune und Emotion. Freude ist die unerschütterliche Gewissheit im Inneren, dass Gott das letzte Wort hat. Freude ist unser Fundament, entgegen der antichristlichen Strömungen, Anfeindungen und Nachstellungen des Bösen am Glauben festzuhalten und bei allem an die Güte Gottes zu glauben. Sie ist unsere größte Waffe, denn was der Böse versucht, ist uns zu entmutigen. Wenn er uns den inneren Antrieb raubt, kann er uns ganz schnell einknicken. Dann haben wir nämlich keine Kraft mehr, gegen den Strom zu schwimmen. Deshalb ist die Freude unsere Stärke, die wir nicht verlieren sollen.
Der Tempel ist noch im Aufbau, deshalb ist es das Höchste, was die Judäer an Gottesbegegnung haben können. Der Schwerpunkt liegt auf der katechetischen Unterweisung, solange keine Kultpraxis möglich ist. Die Menschen sind ganz Ohr und offenen Herzens. So lange haben sie das Gefühl gehabt, dass Gott sie anschweigt und sich von ihnen abgewandt hat. Nun spricht er sie durch die hl. Schriften an und trifft sie mitten ins Herz. Betroffen und berührt, aber auch voller Einsicht hören sie die Worte. Deshalb weinen sie auch. Es berührt sie aber nicht nur, sondern reinigt sie auch. Das Wort Gottes ist mehr als nur etwas, das man anhört. Gott selbst spricht uns direkt im Herzen an. Es ist ein Dialog, den er mit uns führt. Den Judäern wird hier eine große Gnade geschenkt. Mögen doch auch heute viele Menschen von der Botschaft Jesu Christi berührt werden, die durch den Mund des Geistlichen vom Ambo oder von der Kanzel verlesen wird! Mögen auch sie die Gnade der Umkehr und auch eine Reinigung erfahren. Mögen wir alle genährt werden durch das Wort Gottes und durch eine gute Unterweisung stets ein bisschen erkenntnisreicher aus der hl. Messe kommen!
Ps 19
8 Die Weisung des HERRN ist vollkommen, sie erquickt den Menschen. Das Zeugnis des HERRN ist verlässlich, den Unwissenden macht es weise.
9 Die Befehle des HERRN sind gerade, sie erfüllen das Herz mit Freude. Das Gebot des HERRN ist rein, es erleuchtet die Augen.
10 Die Furcht des HERRN ist lauter, sie besteht für immer. Die Urteile des HERRN sind wahrhaftig, gerecht sind sie alle.
12 Auch dein Knecht lässt sich von ihnen warnen; reichen Lohn hat, wer sie beachtet.
15 Die Worte meines Munds mögen dir gefallen; / was ich im Herzen erwäge, stehe dir vor Augen, HERR, mein Fels und mein Erlöser.
Wir beten als Antwort einen Lobpsalm auf die Schöpfung Gottes und auf seine Weisung, passend zur Lesung aus dem Buch Nehemia.
In Vers 8 wird die Vollkommenheit der Weisung gepriesen, das heißt der Torah. Sie „erquickt den Menschen“. Gott gibt keine Gebote auf, die den Menschen einschränken, belasten und unglücklich machen sollen. Es geht immer darum, dass er nur das Beste für den Menschen bereithält und genau weiß, was er braucht. Die Torah macht vielmehr frei und bringt dem Menschen Heil. Einen solchen Heilungsprozess erfahren wir in der Lesung. Die Menschen weinen, weil sie sich von der gehörten Botschaft im Herzen berühren lassen.
„Das Zeugnis des HERRN ist verlässlich“ bezieht sich ebenfalls auf die Torah, denn das hebräische Wort עֵד֥וּת edut, das hier mit „Zeugnis“ übersetzt wird, kann auch mit „Gebot“ übersetzt werden. Es macht den Unwissenden weise, denn es ist die Schule Gottes.
Gottes Befehle sind „gerade“ und „erfüllen das Herz mit Freude“. Gott erwartet nichts Unmögliches, bei dem man ganz überfordert ist. Die Geradlinigkeit steht für die Nachvollziehbarkeit und Machbarkeit. Sie erfüllen mit Freude, weil Gott den Menschen glücklich machen möchte. Diese Freude ist unsere Stärke, das ist der Kern der Lesung.
Gottes Weisung ist rein und erleuchtet die Augen. Sie ist ganz frei von bösen Absichten und Hinterhältigkeit. Sie ist so, dass sie den Weg vor dem Menschen erkennbar macht und er erkennt, wie er sich verhalten soll. So gehen ja auch die Anwesenden in der Lesung mit Erkenntnis zurück in ihre Häuser, um den Tag des HERRN mit Freude zu begehen.
Auch in Vers 10 wird mit ähnlichen Ausdrücken wiederholt, dass Gottes Weisung wahr und gerecht ist. Dort ist aber auch die Rede von der Gottesfurcht, die lauter ist. Dieses uns kaum noch geläufige Wort ist ein Synonym für „rein“ und soll verdeutlichen, dass die Gottesfurcht bei der Befolgung der Torah essenziell ist.
Diese Worte gelten nach wie vor. Gottes Gebote machen uns frei und glücklich. Wenn wir den Weg der Gebote Gottes gehen, werden wir wirklich Freude im Herzen haben.
König David nimmt sich selbst bei diesen Worten nie heraus. Er stellt sich immer in die erste Reihe, wenn es um Buße und Umkehrbereitschaft geht. Er selbst sieht sich stets im Lichte Gottes, wie er wirklich ist. Das lässt ihn demütig bleiben, denn er weiß um seine großen Sünden. So ist er stets auf der Hut, weil er weiß, wie schnell der Mensch fallen und von Gottes Geboten abrücken kann.
„Die Worte meines Munds mögen dir gefallen“ bezieht sich auf den Lobpreis, den König David hier für Gottes Torah und seine Schöpfung formuliert. Er hofft, dass sein Preislied Gott gefalle.
Dass es aber nicht nur um schöne Worte geht, sondern auch um die Erwägung seines Herzens, wird durch den zweiten Teilsatz deutlich: „was ich im Herzen erwäge, stehe dir vor Augen“. Er bringt singend also zum Ausdruck, was sein Herz erwägt. So soll auch unser Lobpreis sein, damit Gott uns nicht vorwerfen kann: „Sie preisen mit mit ihren Lippen, doch ihr Herz ist weit weg von mir“ (Jes 29,13).
David nennt Gott zum Schluss seinen Felsen und seinen Erlöser. Beides sind Bilder, die Jesus aufgreifen wird bzw. die auf ihn angewandt werden.
Die Weisung Gottes ist dafür da, den Menschen glücklich zu machen und der Kern aller Gebote und Gesetze ist die Liebe. Das geht schon aus dem AT selbst hervor. Wenn Jesus dies noch einmal betonen wird, ist es im Grunde nichts Neues, sondern eine Erinnerung daran, wie es ursprünglich gedacht war. Alles, was Gott den Israeliten vorschreibt, kommt ihnen zugute. Es fördert ein gutes Zusammenleben.
1 Kor 12
12 Denn wie der Leib einer ist, doch viele Glieder hat, alle Glieder des Leibes aber, obgleich es viele sind, einen einzigen Leib bilden: So ist es auch mit Christus.
13 Durch den einen Geist wurden wir in der Taufe alle in einen einzigen Leib aufgenommen, Juden und Griechen, Sklaven und Freie; und alle wurden wir mit dem einen Geist getränkt.
14 Auch der Leib besteht nicht nur aus einem Glied, sondern aus vielen Gliedern.
15 Wenn der Fuß sagt: Ich bin keine Hand, ich gehöre nicht zum Leib!, so gehört er doch zum Leib.
16 Und wenn das Ohr sagt: Ich bin kein Auge, ich gehöre nicht zum Leib!, so gehört es doch zum Leib.
17 Wenn der ganze Leib nur Auge wäre, wo bliebe dann das Gehör? Wenn er nur Gehör wäre, wo bliebe dann der Geruchssinn?
18 Nun aber hat Gott jedes einzelne Glied so in den Leib eingefügt, wie es seiner Absicht entsprach.
19 Wären alle zusammen nur ein Glied, wo bliebe dann der Leib?
20 So aber gibt es viele Glieder und doch nur einen Leib.
21 Das Auge kann nicht zur Hand sagen: Ich brauche dich nicht. Der Kopf wiederum kann nicht zu den Füßen sagen: Ich brauche euch nicht.
22 Im Gegenteil, gerade die schwächer scheinenden Glieder des Leibes sind unentbehrlich.
23 Denen, die wir für weniger edel ansehen, erweisen wir umso mehr Ehre und unseren weniger anständigen Gliedern begegnen wir mit umso mehr Anstand,
24 während die anständigen das nicht nötig haben. Gott aber hat den Leib so zusammengefügt, dass er dem benachteiligten Glied umso mehr Ehre zukommen ließ,
25 damit im Leib kein Zwiespalt entstehe, sondern alle Glieder einträchtig füreinander sorgen.
26 Wenn darum ein Glied leidet, leiden alle Glieder mit; wenn ein Glied geehrt wird, freuen sich alle Glieder mit.
27 Ihr aber seid der Leib Christi und jeder Einzelne ist ein Glied an ihm.
28 So hat Gott in der Kirche die einen erstens als Apostel eingesetzt, zweitens als Propheten, drittens als Lehrer; ferner verlieh er die Kraft, Machttaten zu wirken, sodann die Gaben, Krankheiten zu heilen, zu helfen, zu leiten, endlich die verschiedenen Arten von Zungenrede.
29 Sind etwa alle Apostel, alle Propheten, alle Lehrer? Haben alle die Kraft, Machttaten zu wirken?
30 Besitzen alle die Gabe, Krankheiten zu heilen? Reden alle in Zungen? Können alle übersetzen?
31 Strebt aber nach den höheren Gnadengaben!
Die Lesung ist wie letzten Sonntag dem ersten Korintherbrief entnommen. Paulus möchte in diesem Abschnitt herausstellen, dass es gut ist, dass nicht alle dasselbe gut können. Vielmehr ist die Vielfalt der Begabungen von Gott bewusst so eingegeben, dass sie dem Aufbau der Gemeinde zugute kommt. Es geht bei Charismen nicht um natürliche Begabungen. Diese sind einem von Geburt an eingegeben. Hier geht es aber um übernatürliche Begabungen, wie ich in der letzten Woche erklärt habe. Charismen zu erhalten, wird durch eine natürliche Disposition erleichtert, so ist ein Mensch mit pädagogischen Fähigkeiten eher dazu disponiert, vom Geist Gottes das Charisma des Lehrens zu erhalten. Jemand, der von Natur aus eher sensibel ist, ist für das Charisma der Unterscheidung der Geister geeignet etc.
Die Vielfalt der Charismen vergleicht Paulus mit einem Leib, der viele Glieder hat. Das ist ein gängiges Bild für die Kirche, denn sie ist der Leib Christi. Paulus veranschaulicht anhand vieler Beispiele, dass ein Körper verschiedene Bestandteile hat, die alle eine wichtige Funktion einnehmen. Und doch bilden diese gemeinsam einen einzigen Organismus. Auch Christi mystischer Leib besteht aus vielen verschiedenen Menschen, „Juden und Griechen, Sklaven und Freie“ sind „mit dem einen Geist getränkt“. Dieser eine Geist vereint die verschiedenen Glieder durch die eine Taufe miteinander. Alle haben dieselbe Taufgnade geschenkt bekommen, durch die sie zu Kindern Gottes im Neuen Bund geworden sind. Sie alle haben dieselbe Würde, und doch bekommen sie von dem einen Geist unterschiedliche Dienstgaben geschenkt. So erklärt Paulus anhand der vielen verschiedenen Glieder eines Leibes die Mitglieder der Kirche. Ein Fuß muss sich nicht herabsetzen, nur weil er keine Hand ist. Er ist genauso wichtig wie eine Hand. Ein Ohr muss nicht neidisch sein, weil es kein Auge ist. Es ist in seiner Bedeutung genauso wichtig wie das Auge. Diese einzelnen Organe, Sinne etc. können nicht ohne einander. Alles hängt miteinander zusammen, sodass die Glieder des Leibes nicht für sich sein können. Sie müssen zusammenarbeiten. Es gibt gewiss eine Abstufung der Glieder, sodass Paulus von den schwächeren Gliedern spricht. Dies soll aber nicht zur Spaltung führen, sondern den schwächeren Gliedern kommt umso größere Ehre zu. Alles hängt miteinander zusammen und wenn der Leib an einer Stelle erkrankt, leidet der ganze Leib.
Überraschend ist, dass dieser Abschnitt entgegen der Argumentatoren, die jegliche Hierarchie bei den frühen Schriften des Paulus wegdiskutieren möchten, sehr wohl hierarchische Strukturen erkennen lässt: Zuerst hat Gott nämlich die Apostel eingesetzt, die nicht umsonst zuerst genannt werden. Sie sind das Fundament der Kirche. Nicht umsonst sprechen wir von einer apostolischen Kirche. Diese Apostel haben die Vollmacht Jesu Christi empfangen. Wem sie die Hände auflegen, denen geben sie diese Vollmacht weiter.
Zweitens hat Gott die Propheten und drittens die Lehrer eingesetzt. Diese beiden Aufgaben sind sehr wichtig. An anderer Stelle erklärt er, dass die Gabe der Prophetie im Dienst an der Gemeinde ein besonders großes Gewicht besitzt. Schon im Alten Testament sind Propheten sehr entscheidend für das Volk Israel. Wer einen Propheten aufnimmt, bekommt den Lohn eines Propheten. Die Lehrer sind deshalb so wichtig, weil das Evangelium Jesu Christi in der Gemeinde lebendig gehalten werden muss. Schließlich herrscht in der ersten Christengeneration eine Mentalität der Mündlichkeit vor. Es gibt noch kein Neues Testament und die Dinge, die Jesus gesagt und getan hat, werden mündlich überliefert.
Dann nennt Paulus weitere charismatische Gaben: Wirken von Machttaten (Wunderkraft), Krankenheilung, helfen und leiten, Zungenrede und ihre Interpretation. Der Geist Gottes wirkte nicht nur damals, er wirkt auch heute. Diese Charismen existieren auch heute noch, nur dass die Menschen sie vergessen haben. Deshalb erbitten sie diese Dinge nicht mehr. Dabei kann jeder Getaufte und Gefirmte sie erbitten, der sie in rechter Absicht empfangen möchte – zur Auferbauung der Gemeinde. Statt also nach der Priesterweihe für alle und Gleichberechtigung zu schreien, sollten wir vielleicht wieder umdenken und fragen, wie wir uns in die Gemeinde einbringen können – durch die natürlichen Talente, aber auch durch die übernatürlichen Charismen!
Paulus erklärt, dass natürlich nicht alle Propheten sein können oder alle Zungenrede beherrschen. Was bringt es, wenn alle in Zungen beten und keiner es deuten kann? Es benötigt solche und solche. Anscheinend gab es in Korinth das Problem, dass alle dasselbe Charisma angestrebt haben oder neidisch auf das Charisma des anderen waren. Vielleicht hat man dort auch die eine Gabe höher geschätzt als die andere. Deshalb erklärt Paulus hier, dass jedes Charisma, jede Aufgabe, jede Begabung wichtig im Gesamt der Gemeinde ist. Jeder ist ein wichtiges Zahnrad im Apparat.
Am Ende ruft Paulus dazu auf, nach den höheren Gnadengaben zu streben. Dahinter steht seine Argumentation, dass bestimmte Charismen tatsächlich höheres Gewicht besitzen als andere. Er erklärt zum Beispiel, dass während die Gabe der Prophetie jenen Menschen hilft, denen prophezeit wird, die Gabe der Zungenrede allein für Gott ist. Sie ist ein Lobpreis Gottes in der Sprache des Himmels, die ohne die Interpretation eines anderen der Gemeinde nichts „nützt“. Deshalb sollen die Korinther nach den höheren Gnadengaben streben, also vor allem der Prophetie. Das ist aber nicht alles. Denn dann beginnt das dreizehnte Kapitel, in dem Paulus die ganzen Charismen für überflüssig erklärt, wenn sie nicht das Wichtigste beinhalten – die Liebe.
Lk 1
1 Schon viele haben es unternommen, eine Erzählung über die Ereignisse abzufassen, die sich unter uns erfüllt haben.
2 Dabei hielten sie sich an die Überlieferung derer, die von Anfang an Augenzeugen und Diener des Wortes waren.
3 Nun habe auch ich mich entschlossen, nachdem ich allem von Beginn an sorgfältig nachgegangen bin, es für dich, hochverehrter Theophilus, der Reihe nach aufzuschreiben.
4 So kannst du dich von der Zuverlässigkeit der Lehre überzeugen, in der du unterwiesen wurdest.
14 Jesus kehrte, erfüllt von der Kraft des Geistes, nach Galiläa zurück. Und die Kunde von ihm verbreitete sich in der ganzen Gegend.
15 Er lehrte in den Synagogen und wurde von allen gepriesen.
16 So kam er auch nach Nazaret, wo er aufgewachsen war, und ging, wie gewohnt, am Sabbat in die Synagoge. Als er aufstand, um vorzulesen,
17 reichte man ihm die Buchrolle des Propheten Jesaja. Er öffnete sie und fand die Stelle, wo geschrieben steht:
18 Der Geist des Herrn ruht auf mir; / denn er hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt, / damit ich den Armen eine frohe Botschaft bringe; damit ich den Gefangenen die Entlassung verkünde / und den Blinden das Augenlicht; damit ich die Zerschlagenen in Freiheit setze
19 und ein Gnadenjahr des Herrn ausrufe.
20 Dann schloss er die Buchrolle, gab sie dem Synagogendiener und setzte sich. Die Augen aller in der Synagoge waren auf ihn gerichtet.
21 Da begann er, ihnen darzulegen: Heute hat sich das Schriftwort, das ihr eben gehört habt, erfüllt.
Als Evangelium hören wir einen Ausschnitt aus dem ersten und sodann aus dem vierten Kapitel des Lukasevangeliums. Zu Anfang hören wir die Einleitung, in der Lukas Theophilus ankündigt, dass sein Evangelium ein Werk der authentischen Geschichtsschreibung sei, nicht nach modernem Verständnis, sondern nach antikem Verständnis. Das heißt nicht, dass er keinen wirklichen historischen Bericht vornimmt, sondern dass er diesen künstlerisch gestaltet. Und doch berichtet er ein wahres Ereignis. Er arbeitet sorgfältig, befragt Augenzeugen und geht allem detailliert nach. Er setzt sich also nicht hin und schreibt „nur“ ein Glaubenszeugnis nieder, was moderne Theologen ihm oft unterstellen. Wir lesen hier ja schwarz auf weiß, was seine Absicht ist. Theophilus wird mit einer vornehmen Anrede angesprochen, weshalb es sich wohl um einen römischen Heiden hoher Stellung gehandelt hat, wohl ein Katechumene, denn er ist bereits unterwiesen worden.
Sodann hören wir davon, wie Jesus nach der Wüstenzeit mit ihren Versuchungen nach Galiläa zurückkehrt. Dort wirkt er sehr fruchtbar in den Synagogen, weil die Menschen ihm ihre Ohren und Herzen öffnen. Galiläa hat bei den Juden einen schlechten Ruf und ist von vielen heidnischen Gegenden geprägt. Und doch sind es die Galiläer, die sich vor allem bekehren. Jesus kommt eines Tages auch in seine Heimat Nazaret zurück, um dort am Sabbat zu predigen. Dabei ist es so, dass die Juden bereits eine feste Leseordnung besitzen. Je nach Sabbat wird eine andere Stelle aus der hl. Schrift verlesen. An jenem Sabbat ist Jesus an der Reihe, ausgerechnet den Beginn von Jes 61 vorzulesen. Es ist eine messianische Verheißung, die ganz auf Jesus zutrifft. Gottes Vorsehung hat es so gefügt, dass Jesus ausgerechnet an diesem Sabbat dort hinkommt, um den Menschen in Nazaret (von nezer, „Spross“!) genau diese Bibelstelle vorzulesen. Es ist eine einzige Lektion, die ihnen erteilt wird.
Jesus ist klar, dass er sich selbst in Gefahr bringt, wenn er die folgenden Worte spricht, und doch sagt er sie: „Heute hat sich das Schriftwort (…) erfüllt.“ Er spricht diese Worte mit göttlicher Vollmacht. Das ist für jüdische Ohren, die Jesus als Gott nicht erkennen, absolut blasphemisch. Jesus bezeichnet sich als Gesalbten, was auf hebräisch Messias heißt. Die Menschen sind erstaunt. Sie werden von den vielen Wundertaten und der brennenden Verkündigung Jesu gehört haben. Sie werden von Blindenheilungen und von der frohen Botschaft Jesu Christi erfahren haben. Ihnen wird aufgefallen sein, welch Segen von diesem Menschen ausgeht. Und doch wird diese Anerkennung nicht lange halten. Was wir heute nicht mehr lesen, ist die Provokation der Menge durch die Worte Jesu „ein Prophet wird in seiner Heimat nicht anerkannt.“ Wir lesen nicht mehr davon, wie sie ihn zur Stadt hinaustreiben und versuchen, ihn zu steinigen. So ist es oft auch mit uns. Gott bietet uns das Heil an. Er sagt Dinge, die unseren Ohren schmeicheln, aber auch Dinge, die hart für uns klingen. Er tut dies nicht, um uns zu ärgern, sondern weil wir nur so gerettet werden können. Oft nehmen wir das dann nicht an, sondern beschuldigen ihn. Wir hadern mit ihm und wollen ihn mundtot machen, wie die Menge Jesus steinigen will.
Auch heute werden wir wieder vor die Entscheidung gestellt: Nehmen wir Jesus als den Messias an und beweisen dabei unsere Liebe zu Gott? Nehmen wir den Christus an oder wollen auch wir ihn steinigen? Wir merken im Zusammenhang der heutigen Lesungen, dass sich mit Jesus auch ein Kreis schließt: Bei Nehemia sind die Menschen ganz offen. Sie lassen sich vom Wort Gottes berühren, sodass sie sogar weinen. Sie gehen nach Hause als veränderte Menschen. Im Evangelium verkündet Jesus nicht nur das Wort Gottes durch die Schriftlesung, sondern er ist das Wort Gottes in Fleisch und Blut. Der Geist Gottes ruht auf ihm auf eine Weise wie auf keinem Menschen. Er ist Gott. Er ist die Auslegung dieser Jesajastelle, die er verlesen hat. Deshalb muss er nur einen Satz sagen. Das ist so viel besser, als was den Menschen im Buch Nehemia geschenkt worden ist, doch hier sind Menschen, die ihr Herz nicht öffnen, die sich nicht berühren lassen von Gott selbst, die nicht verändert nach Hause gehen werden. Esra, Nehemia und die Leviten haben die hl. Schriften ganz ausgelegt, wie es ihnen beigebracht worden ist. Jesus lehrt die Menschen mit göttlicher Vollmacht.
Es ist an uns, eine Entscheidung zu treffen: Das Wort Gottes ist auch vor unseren Augen – in Wort und Sakrament. Jesus Christus, das fleischgewordene Wort Gottes, möchte in uns eingehen in der Kommunion. Was tun wir? Lassen wir uns von seiner Liebe berühren? Kommen wir zur Eucharistie, um mit ihm gemeinsam gewandelt zu werden, um auf besonders intensive Weise verändert nach Hause zu gehen? Oder bleiben wir weg, schauen wir weg, machen wir ihn mundtot? Er ruft uns. Kommen wir zu ihm und sagen wir Ja zu ihm!
Ihre Magstrauss