Hebr 12,1-4; Ps 22,26-27.28 u. 30ab. 30c-32; Mk 5,21-43
Hebr 12
1 Darum wollen auch wir, die wir eine solche Wolke von Zeugen um uns haben, alle Last und die Sünde abwerfen, die uns so leicht umstrickt. Lasst uns mit Ausdauer in dem Wettkampf laufen, der vor uns liegt,
2 und dabei auf Jesus blicken, den Urheber und Vollender des Glaubens; er hat angesichts der vor ihm liegenden Freude das Kreuz auf sich genommen, ohne auf die Schande zu achten, und sich zur Rechten von Gottes Thron gesetzt.
3 Richtet also eure Aufmerksamkeit auf den, der solche Anfeindung von Seiten der Sünder gegen sich erduldet hat, damit ihr nicht ermattet und mutlos werdet!
4 Ihr habt im Kampf gegen die Sünde noch nicht bis aufs Blut Widerstand geleistet.
Der heutige Abschnitt aus dem Hebräerbrief nimmt das Vorbild Jesu Christi in den Blick. Er schließt sich an einen Abschnitt an, der das Glaubenszeugnis der vielen Gerechten des Alten Testaments zusammenfasst. Deshalb heißt es in Vers 1 auch, dass wir umgeben sind von einer Wolke von Zeugen. Es bezieht sich in erster Linie auf die Zeugen des Alten Bundes, was uns zeigt: Der Hebräerbrief betreibt eben kein Judentumsbashing, wie so oft behauptet wird. Das Oberthema war der Glaube an Gott, der bereits im Alten Bund eine entscheidende Rolle spielt. Aufgrund dieser Glaubenswolke sollen die Adressaten des Hebräerbriefs motiviert werden, ihr Leben zu ändern und umzukehren. Sie sollen die Sünde verabschieden, die unfrei macht („die uns so leicht umstrickt“). Dann wird hier ein typisches Bildfeld aufgegriffen, das auch in anderen neutestamentlichen Briefen zum Tragen kommt – der sportliche Wettkampf. Der Glaube ist wie Sport – man muss ehrgeizig sein, sich anstrengen und Ausdauer beweisen. Nur dann wird man am Ende einen Preis erhalten. Die Adressaten des Briefes sollen in Glauben gleichsam einen Marathon laufen mit dem Ziel vor Augen, das Jesus selbst ist. Er ist Urheber und Vollender des Glaubens, im Bild: Er ist Scout und Trainer, er ist auch derjenige, der am Ende den Siegeskranz verleiht. Dabei ist er ein Trainer, der selbst als Sportler zum Sieger gekürt wurde, denn er ist den Weg des Kreuzes zuerst gegangen, ohne die Schande zu achten. Er hat durchgehalten und ist auf dem „Siegertreppchen“ des Gottesthrons gelandet. Zur Motivation ist es hilfreich, als Gläubiger auf ihn zu schauen, der schon am Ziel ist, damit es leichterfällt, ihm nachzufolgen. Es heißt am Ende, dass die Adressaten noch nicht in voller Hingabe die Nachfolge Christi angetreten sind. Der heutige Abschnitt ist also ein richtiges Motivationsschreiben, das uns heute auch die Botschaft vermittelt: Kämpfe bis zum bitteren Ende, denn es lohnt sich, siehe Christus! Zugleich werden wir vor die Frage gestellt: Gebe ich schon alles? Ist mein Zeugnis vollkommen? Wie groß ist mein Glaube?
Ps 22
26 Von dir kommt mein Lobpreis in großer Versammlung, ich erfülle mein Gelübde vor denen, die ihn fürchten.
27 Die Armen sollen essen und sich sättigen; den HERRN sollen loben, die ihn suchen. Aufleben soll euer Herz für immer.
28 Alle Enden der Erde sollen daran denken/ und sich zum HERRN bekehren: Vor dir sollen sich niederwerfen alle Stämme der Nationen.
30 Es aßen und warfen sich nieder alle Mächtigen der Erde. Alle, die in den Staub gesunken sind, sollen vor ihm sich beugen. Und wer sein Leben nicht bewahrt hat,
31 Nachkommen werden ihm dienen. Vom Herrn wird man dem Geschlecht erzählen, das kommen wird.
32 Seine Heilstat verkündet man einem Volk, das noch geboren wird: Ja, er hat es getan.
Als Antwort beten wir Psalm 22, den Jesus laut Markuspassion am Kreuz angestimmt hat. Es handelt sich dabei um einen Klagepsalm, der wie sehr oft zum Ende hin in einen Lobpreis umschlägt. Aus diesem lobpreisenden Ende beten wir heute einige Verse.
„Von dir kommt mein Lobpreis in großer Versammlung, ich erfülle mein Gelübde vor denen, die ihn fürchten.“ Der Gläubige – zunächst König David, der Komponist, darüber hinaus jeder gläubige Jude und später Christ – betet dies im liturgischen Kontext. Zuvor beklagte der Beter ja das Gefühl der absoluten Gottesferne, denn es heißt zu Anfang ja: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Es folgte sodann eine Bitte, die erfüllt worden ist und deshalb den Anlass zum Lobpreis darstellt. Gott erhört wirklich die Bitten seiner Gläubigen! Der Gläubige möchte nun das Gelübde einlösen, was uns zeigt, dass der Beter Gott bei Gebetserhörung seinen dankenden Lobpreis versprochen hat. Dies setzt er nun um, wenn er Gott vor den Gottesfürchtigen lobt. Wir denken an die vielen Glaubenszeugen des Alten Bundes, von denen der Hebräerbrief im gestrigen Abschnitt schrieb und die nun auf ewig Gott loben und preisen können.
„Die Armen sollen essen und sich sättigen; den HERRN sollen loben, die ihn suchen. Aufleben soll euer Herz für immer.“ Die Sättigung der Armen ist wörtlich zu verstehen, aber auch im übertragenen Sinne. Jene, denen es an dem Lebensnotwendigen mangelt, sollen in diesem Punkt „gesättigt“ werden. Auch die Einsamen sollen diese „Sättigung“ erfahren durch Gemeinschaft und Beistand. Die Ausgestoßenen sollen „Sättigung“ erfahren durch Rechte, die sie schützen und stützen. Die Hoffnungslosen sollen „gesättigt“ werden durch Hoffnung. Das Herz meint schließlich die Mitte des Lebens, den Kern des Menschen, nicht nur einfach sein lebensnotwendiges Organ. Es ist auch der Sitz der Seele, weshalb wir diesen Vers auch anagogisch verstehen dürfen, also auf die Ewigkeit hin: Gesättigt werden auch die Armen mit dem Himmelreich, mit dem ewigen Freudenfest, das sie dort erwartet.
In Vers 28 wird der Wunsch geäußert, dass alle Enden der Erde von diesem Heil erfahren sollen und alle Menschen weltweit sich vor Gott niederwerfen sollen. Dieser Wunsch wird wahr am Ende der Zeiten bei der eschatologischen Völkerwallfahrt. Menschen aus allen Nationen, aus allen Himmelsrichtungen, aus allen Zeiten, werden kommen und Gott anbeten im himmlischen Jerusalem. Dies zeigt sich jetzt schon im sakramentalen und ekklesiologischen Sinne. Denn aus allen Nationen bekehren sich Menschen zu Christus und lassen sich taufen. Aus allen Himmelsrichtungen strömen Menschen zusammen zum Kreuzesopfer Jesu Christi, das sich in jeder Hl. Messe vergegenwärtigt. Sie antizipieren das, was beim ewigen Hochzeitsmahl des Lammes vollkommen sein wird.
Jene werden sich aber freuen und gesättigt werden im Himmelreich, die ihr Leben nicht bewahrt haben. Das können wir durchaus schon so verstehen, dass es die Märtyrer meint. Wir denken an Jesu Worte: „Wer sein Leben gewinnt, der wird es verlieren. Wer es um meinetwillen verliert, wird es finden.“ Was bringt es denn, wenn einer die ganze Welt gewinne, aber sein eigenes Leben verliert? Diese Dinge hat Jesus gesagt ausgehend von der Tradition des Alten Testaments. Das ewige Leben, dessen Vorstellung schon im Alten Testament beginnt, ist das wahre und eigentliche Leben. Deshalb muss es dem Menschen darum gehen, dieses Leben nicht zu verlieren.
Im Psalm ist unter dem Einfluss des Hl. Geistes schon aufgeschrieben worden, dass ein Volk geboren wird, das in Zukunft kommt. Das ist höchst messianisch! Es wird das Volk Gottes gesammelt werden, wenn Gott Mensch wird und das Reich Gottes verkünden wird! Jesus wird einen Neuen Bund zwischen Gott und diesem Volk besiegeln mit seinem eigenen Blut. Es wird nicht mehr eingeschränkt sein auf ein biologisches Volk, sondern zusammengesetzt aus Menschen aller Völker, Stämme, Sprachen und Nationen, die zum Glauben an Christus kommen. Der gemeinsame Glaube und die dazugehörige Taufe werden dieses Volk zu einem gemeinsamen Volk entstehen lassen. Dies geschieht durch den Hl. Geist, der Einheit schafft, und durch das Kreuzesopfer Jesu Christi, der der Gemeinschaftsstifter ist.
Mk 5
21 Jesus fuhr wieder ans andere Ufer hinüber und eine große Menschenmenge versammelte sich um ihn. Während er noch am See war,
22 kam einer der Synagogenvorsteher namens Jaïrus zu ihm. Als er Jesus sah, fiel er ihm zu Füßen
23 und flehte ihn um Hilfe an; er sagte: Meine Tochter liegt im Sterben. Komm und leg ihr die Hände auf, damit sie geheilt wird und am Leben bleibt!
24 Da ging Jesus mit ihm. Viele Menschen folgten ihm und drängten sich um ihn.
25 Darunter war eine Frau, die schon zwölf Jahre an Blutfluss litt.
26 Sie war von vielen Ärzten behandelt worden und hatte dabei sehr zu leiden; ihr ganzes Vermögen hatte sie ausgegeben, aber es hatte ihr nichts genutzt, sondern ihr Zustand war immer schlimmer geworden.
27 Sie hatte von Jesus gehört. Nun drängte sie sich in der Menge von hinten heran und berührte sein Gewand.
28 Denn sie sagte sich: Wenn ich auch nur sein Gewand berühre, werde ich geheilt.
29 Und sofort versiegte die Quelle des Blutes und sie spürte in ihrem Leib, dass sie von ihrem Leiden geheilt war.
30 Im selben Augenblick fühlte Jesus, dass eine Kraft von ihm ausströmte, und er wandte sich in dem Gedränge um und fragte: Wer hat mein Gewand berührt?
31 Seine Jünger sagten zu ihm: Du siehst doch, wie sich die Leute um dich drängen, und da fragst du: Wer hat mich berührt?
32 Er blickte umher, um zu sehen, wer es getan hatte.
33 Da kam die Frau, zitternd vor Furcht, weil sie wusste, was mit ihr geschehen war; sie fiel vor ihm nieder und sagte ihm die ganze Wahrheit.
34 Er aber sagte zu ihr: Meine Tochter, dein Glaube hat dich gerettet. Geh in Frieden! Du sollst von deinem Leiden geheilt sein.
35 Während Jesus noch redete, kamen Leute, die zum Haus des Synagogenvorstehers gehörten, und sagten: Deine Tochter ist gestorben. Warum bemühst du den Meister noch länger?
36 Jesus, der diese Worte gehört hatte, sagte zu dem Synagogenvorsteher: Fürchte dich nicht! Glaube nur!
37 Und er ließ keinen mitkommen außer Petrus, Jakobus und Johannes, den Bruder des Jakobus.
38 Sie gingen zum Haus des Synagogenvorstehers. Als Jesus den Tumult sah und wie sie heftig weinten und klagten,
39 trat er ein und sagte zu ihnen: Warum schreit und weint ihr? Das Kind ist nicht gestorben, es schläft nur.
40 Da lachten sie ihn aus. Er aber warf alle hinaus und nahm den Vater des Kindes und die Mutter und die, die mit ihm waren, und ging in den Raum, in dem das Kind lag.
41 Er fasste das Kind an der Hand und sagte zu ihm: Talita kum!, das heißt übersetzt: Mädchen, ich sage dir, steh auf!
42 Sofort stand das Mädchen auf und ging umher. Es war zwölf Jahre alt. Die Leute waren ganz fassungslos vor Entsetzen.
43 Doch er schärfte ihnen ein, niemand dürfe etwas davon erfahren; dann sagte er, man solle dem Mädchen etwas zu essen geben.
Auch im komplexen, heutigen Evangelium geht es um den Glauben. Jesus ist wieder am ursprünglichen Ufer des Sees Gennesaret angekommen und dort sammeln sich wieder viele Menschen um ihn. Da kommt Jairus, ein Synagogenvorsteher zu Jesus und wirft sich vor ihm nieder. Er fleht ihn von Herzen an, dass er seine sterbende Tochter heile. Jairus betet inbrünstig. Es ist dieselbe Haltung eines Vaters im Gebet für sein Kind und Jesus ist gerne bereit, ihm zu helfen. So machen sie sich auf den Weg zu ihm nach Hause. Doch Jesus hat einen noch größeren Plan.
Während sie sich durch die Masse drängen, spürt Jesus, wie eine Kraft von ihm ausströmt. Jesus weiß schon längst, wer ihn berührt hat, was für ein Leben diese Person geführt hat und wie ihr Innenleben ist. Er weiß schon längst alles und fragt doch ganz bewusst: „Wer hat mein Gewand berührt?“
Es ist eine unscheinbare Frau voller Glauben. Keiner hat sie beachtet und doch hat sie mit ihrer Aktion sehr viel Mut bewiesen. Denn es handelt sich um eine seit zwölf Jahren blutflüssige Frau. Ihre Blutungen machen sie kultisch dauerhaft unrein und sie kann weder am Gottesdienst teilnehmen, noch irgendwelche sozialen Kontakte pflegen. Andere Juden werden durch den Kontakt zu ihr ja auch kultisch unrein und meiden sie deshalb. Sie ist eine seit Jahren isolierte Frau, die es dennoch gewagt hat, sich in eine Menschenmenge zu begeben. Noch mehr: Ihr Glaube ist so stark, dass er die Furcht vor den kultischen Reinheitsgeboten übertrumpft. Sie vertraut so sehr, dass ihre Berührung Jesus kultisch nichts anhaben kann, weil er der Sohn Gottes ist.
Eigentlich ist Jesus unterwegs zu Jairus‘ Tochter und doch widmet er sich der blutflüssigen Frau. Erstens möchte er ihr mit der Aufmerksamkeit zeigen, wie die Liebe des Vaters ist: Er liebt jeden Einzelnen so, als wäre er der Einzige auf der Welt. Zweitens möchte Jesus den Glauben der Frau den Umstehenden als Glaubensbeispiel heranziehen und sie zugleich in die Gesellschaft wieder eingliedern. Ihr Glaube ist so stark, dass sie die kultischen Reinheitsgebote aufs Spiel setzt. Sie glaubt sogar so stark, dass sie nicht mal Jesus selbst, sondern nur sein Gewand berühren muss. Er ruft deshalb in die Menge: „Wer hat mein Gewand berührt?“ Sie soll sich outen, damit es jeder mitbekommt als Glaubenszeugnis. Auch hier sehen wir, wie entscheidend es ist, vom eigenen Glauben Zeugnis abzulegen zur Stärkung der anderen Menschen. Zitternd vor Furcht stellt sie sich der Aufmerksamkeit Gottes. Sie hat Angst, weil sie genau weiß, dass sie gegen die jüdischen Gesetze gehandelt hat. Sie hat Angst, dass die Menschen um sie herum sie bestrafen werden. Drittens ist die ganze Situation eine Lektion für Jairus, der Jesus ja zum Weitergehen drängt. Jede Sekunde zählt, um seine sterbende Tochter zu retten. Jesus möchte ihm etwas beibringen: Gott erhört unsere Bitten sehr gern und bereitwillig, aber eben nicht immer nach unseren Vorstellungen. Er tut es manchmal sogar ganz anders oder im Gegenteil dessen, was wir erbeten haben – nicht weil er uns quälen will, sondern weil er dadurch noch viel mehr Heil bringen möchte. Er sieht das umfassende Bild im Gegensatz zu uns. So verzögert sich das Kommen Jesu zur Tochter des Synagogenvorstehers nicht, weil sie Jesus egal ist. Er möchte ein noch viel größeres Zeichen wirken, als Jairus von ihm erbeten hat. Durch das, was nun kommt, möchte er nämlich nicht nur ein biologisches Leben retten, sondern auch den Glauben der Anwesenden stärken.
Der worst case tritt ein. Bevor sie Jairus‘ Haus schließlich erreichen, ist seine Tochter verstorben und Angehörige fangen die Gruppe mit Jesus und Jairus unterwegs ab. Sie geben richtig auf und sagen sogar: „Warum bemühst du den Meister noch länger?“ Jesus ermutigt entgegen aller Erwartungen Jairus dazu, es der gerade bezeugten blutflüssigen Frau gleichzutun – zu glauben und sich nicht zu fürchten. Jesus hat Jairus bewusst diese Frau vor Augen geführt und in seiner Gegenwart die Heilung vorgenommen mit den abschließenden Worten: „Dein Glaube hat dich gerettet.“ Jairus sollte innerlich auf das Kommende vorbereitet werden.
Sie gehen jedenfalls weiter bis zum Haus und Jesus nimmt die drei Jünger Petrus, Jakobus und Johannes mit. Auch diese sollen heute etwas lernen.
Die Trauer über das zwölfjährige Kind ist groß. Es ist kein Zufall, dass ihr Alter dem Zeitraum der Krankheit der blutflüssigen Frau entspricht. Beide Heilungen hängen zusammen. In beiden Fällen geht es um kultische Verunreinigung. Im ersten Fall ist es der blutige Ausfluss der Frau, im zweiten Fall ist es der Tod des Mädchens, der alle verunreinigt, die zu ihr ins Haus gehen. Dies erklärt unter anderem, warum Jesus nicht so viele Menschen mit ins Haus nimmt. Er tut es aber auch wegen des Zeichens, das er wirken möchte und das nicht weitererzählt werden soll: die Totenerweckung.
Die dort anwesenden Menschen verspüren heftige Trauer und weinen sehr. Der Schmerz über den Tod des eigenen Kindes ist eines der grausamsten Dinge, die man im Leben erfahren kann. So muss sich auch Gott gefühlt haben beim grausamen Tod seines Sohnes. So muss es auch Maria ergangen sein, der ein Schwert durchs Herz ging, wie Simeon ihr angekündigt hat. Wie sehr wird Gott über jene geweint haben, die ihn abgelehnt, ausgeliefert und hingerichtet haben? Wie sehr weint er über den Verlust des ewigen Lebens seiner geliebten Geschöpfe, die seine Liebe auch heute nicht annehmen und ihn bis zum Schluss ablehnen? Er ist doch ein Gott des Lebens und hat für uns das ewige Leben bereit!
Jesus sagt den Menschen zu, dass das Kind nicht tot sei, sondern schlafe. Womöglich ist das Kind in eine Art Koma gefallen. Was auch immer mit dem Kind passiert ist, die Menschen sind sehr ungläubig. Sie lachen Jesus aus und scheinen seine Worte nicht einmal in Betracht zu ziehen. So ist es immer wieder. Jesus wird verspottet, obwohl er Gott ist. Wir in seiner Nachfolge erfahren bis heute genau dasselbe. Wo wir mutig zur Wahrheit stehen, werden wir ausgelacht, insbesondere wo das gesellschaftliche Umfeld besonders atheistisch ist. Dann wird das Gesagte nicht einmal als eine Alternative unter vielen angesehen. Das Wort Gottes wird einfach als Ganzes abgelehnt.
Wer ungläubig ist und somit zum Gegenbild der blutflüssigen Frau wird, soll das Haus verlassen. Nur die Familie, Jesus und seine drei Jünger bleiben. Jesus geht zum Mädchen, fasst sie bei der Hand, wie er immer wieder die zu Heilenden bei der Hand fasst, und sagt zu ihr „Talita kum“, „Mädchen, steh auf“. Er richtet die Menschen immer auf, nicht nur körperlich, sondern seelisch, psychisch, gesellschaftlich, einfach umfassend. Er richtet den Glauben vieler Menschen auf, wo diese Heilungen geschehen. Er heilt also nie einfach nur offensichtlich den körperlich Kranken, sondern immer die ganzen Anwesenden gleich seelisch mit. Dabei hat Jesus keine Mühe. Er fasst die Tochter des Jairus einfach und sie steht direkt auf. Jesus ist Gott und muss deshalb keine Anstrengung aufwenden wie z.B. der Prophet Elija beim Jungen in 1 Kön 17. In beiden Fällen lässt Gott den tödlichen Krankheitsverlauf zu, damit er an den Leidenden seine Herrlichkeit offenbaren kann und die Familien zum Glauben an ihn kommen. Bei Gott gibt es nie ein „zu spät“. Wenn er unserem Empfinden nach erst spät eingreift, ist es seiner wunderbaren Vorsehung nach genau der richtige Zeitpunkt. Wir sehen als Menschen nur unsere derzeitige Situation und im Leiden ist unser Blick noch eingeschränkter. Gott sieht aber stets das Gesamtbild und so dürfen wir ihm bei seinem Timing und in der Art und Weise seiner Gebetserfüllung vertrauen. Gott ist so sensibel, dass er Jairus durch die Heilung der blutflüssigen Frau auf die richtige Glaubenshaltung vorbereitet. Hätte Jesus seine Tochter schon geheilt, bevor sie „gestorben“ wäre, wäre sein Glaube und jener seiner Familie vielleicht gar nicht so gestärkt worden.
Jesus schärft den Zeugen dieser Heilung ein, es nicht zu verbreiten. Der Grund ist der übliche: Einerseits soll eine sofortige Verhaftung Jesu vermieden werden, andererseits die Lektion Gottes nicht beeinflusst werden – die Juden sollen von selbst auf Jesu Messianität kommen.
Dies soll geschehen, indem die Art seiner Totenerweckung – das Ergreifen der Hand und das Erheben des Mädchens – mit den Hl. Schriften in Verbindung gebracht werden sollen. Wir haben heute davon in der ersten Lesung gehört, wie Gott den Menschen herauszieht aus der Tiefe. Immer wieder ist es ein Motiv auch in den Psalmen des Alten Testaments. Diese Geste Jesu soll einen Aha-Effekt erzielen.
Der letzte Vers ist typisch für Heilungen, in denen Menschen ins Leben zurückversetzt werden. Es betont, dass die wieder Lebendigen ganz leibhaftig zurück sind. Sie essen wieder, weil sie einen echten lebendigen Körper haben und biologisch wieder gestärkt werden müssen nach der Krankheit. Zurückkehrender Appetit ist ein Signal für die zurückgekehrte Gesundheit.
Heute denken wir in den Lesungen nach über den Glauben, der zugleich Gabe und Aufgabe ist. Wir dürfen uns mit dem Geschenk des Glaubens durch die Taufe und die Firmung nicht einfach zufriedengeben, sondern müssen damit arbeiten – ihn vermehren, nicht verkümmern lassen, damit er stirbt. Dabei brauchen wir die Ausdauer eines Marathonläufers, den Ehrgeiz eines Schülers, die Formbarkeit von Ton, damit der Herr uns mal was sagen kann, und die Offenheit für sein Wirken in unserem Leben.
Ihre Magstrauss