10. Sonntag im Jahreskreis (A)

Hos 6,3-6; Ps 50,7-8.12-13.14-15; Röm 4,18-25; Mt 9,9-13

Hos 6
3 Lasst uns ihn erkennen, ja lasst uns nach der Erkenntnis des HERRN jagen! Er kommt so sicher wie das Morgenrot; er kommt zu uns wie der Regen, wie der Frühjahrsregen, der die Erde tränkt.
4 Was soll ich mit dir tun, Efraim? Was soll ich mit dir tun, Juda? Eure Liebe ist wie eine Wolke am Morgen und wie der Tau, der bald vergeht.
5 Darum habe ich durch die Propheten zugeschlagen, habe sie durch die Worte meines Mundes umgebracht. Dann wird mein Recht hervorbrechen wie das Licht.
6 Denn an Liebe habe ich Gefallen, nicht an Schlachtopfern, an Gotteserkenntnis mehr als an Brandopfern.

Heute hören wir die erste Lesung aus dem Buch Hosea. Das heutige Kapitel stellt im Kern einen Aufruf zur Umkehr dar. Hosea ruft dazu auf, den HERRN zu erkennen, der Gotteserkenntnis gleichsam nachzujagen. Auch wir sollen ihn von ganzem Herzen suchen, dann wird er sich finden lassen. Jesus sagt es uns zu, wenn er formuliert: „Wer suchet, der findet. Wer anklopft, dem wird aufgetan.“ Und auch das Hohelied ist voll der Sehnsucht nach Gott, wenn es heißt „Ich suchte, den meine Seele liebt.“
„Er kommt so sicher wie das Morgenrot“ ist ein verbreitetes messianisches Motiv. Man erwartete, dass der Messias aus dem Osten komme, die Sonne der Gerechtigkeit mit dem Sonnenaufgang komme (Mal 4,2). Es ist also nicht nur ein Bild für das ganz sichere Kommen Gottes. Auch das Kommen als Regen ist messianische Motivik. In Ps 72,6 heißt es über ihn: „Er ströme wie Regen herab auf die Felder, wie Regenschauer, die die Erde benetzen.“
Gott spricht die Stämme Juda und Efraim an, deren Bundestreue vergänglich sind wie eine Wolke oder Morgentau (das hebräische Wort חֶסֶד chesed heißt „Treue“). Warum eigentlich werden diese beiden Stichworte genannt? Sie fassen das Nord- und Südreich zusammen, denn Israel ist zu jener Zeit ja zweigeteilt.
Weil Gott die Untreue sieht, hat er durch die Propheten immer wieder zugeschlagen. Dieses Zuschlagen geschieht dabei hauptsächlich durch das Wort Gottes, das wie ein zweischneidiges Schwert die Herzen der Menschen „seziert“. Es ist also in erster Linie eine spirituelle Waffe, mit der Gott durch die Propheten dreinschlägt. Wo sie nicht hörten, mussten sie auch am Leib die Konsequenzen zu spüren bekommen – durch die Fremdherrschaften, Kriege, manchmal auch durch Seuchen.
Das Recht Gottes wird „hervorbrechen wie das Licht“, weil es in der Finsternis aufleuchten wird. Dann werden sich die Menschen danach sehnen, dass endlich Gerechtigkeit kommt. So ist jede Gerichtsankündigung Gottes eine Erlösung für die ungerecht Behandelten damals und in unserer heutigen Zeit. Dieses Recht ist hervorgebrochen wie das Licht, als Gott Mensch geworden ist und sein Recht Person wurde. Jesus hat wirklich das Recht gebracht, weil er den Menschen die Torah richtig erklärt und vor allem selbst vollkommen vorgelebt hat. Jesus hat auch den Beziehungsaspekt als den Kern hinter allen göttlichen Geboten herausgestellt – das Doppelgebot der Liebe. Und diese Liebe ist es, die Gott von uns verlangt, ebenso damals von seinen auserwählten Kindern Israels. Das ist es, was er will, die Rückkehr der Herzen zu ihm, eine persönliche Umkehr statt eine Besänftigung durch Schlachtopfer. Jetzt ist es höchste Zeit, zu Gott umzukehren und ihn um Vergebung zu bitten!

Ps 50
7 Israel, ich bin gegen dich Zeuge, Gott, dein Gott bin ich.
8 Nicht wegen deiner Opfer rüge ich dich, deine Brandopfer sind mir immer vor Augen.
12 Hätte ich Hunger, ich brauchte es dir nicht zu sagen, denn mein ist der Erdkreis und seine ganze Fülle.
13 Soll ich denn das Fleisch von Stieren essen und das Blut von Böcken trinken?
14 Bring Gott ein Opfer des Dankes und erfülle dem Höchsten deine Gelübde!
15 Ruf mich am Tage der Not; dann rette ich dich und du wirst mich ehren.

Auch der Psalm thematisiert die fehlende Aufrichtigkeit des Volkes bei der Opferpraxis. Es handelt sich um eine Anklage Gottes gegen das Volk. Dieser ist Zeuge gegen das Vergehen des Volkes. Er sieht in das Herz des Menschen und erkennt, ob es aufrichtig ist oder nicht.
„Nicht wegen deiner Opfer rüge ich dich, deine Brandopfer sind mir immer vor Augen.“ Gott sagt nicht, dass die Opferpraxis an sich falsch ist. Er hat Mose diese ja vorgegeben. Er kritisiert das Wie. Opfer ist nicht gleich Opfer. Was er kritisiert, kritisiert auch die Äußerlichkeit esoterischer Angebote von heute, in denen ein wenig Meditation, Möbel umstellen oder Diät den „Stand der Gnade“ wiederherstellt ohne persönliche Umkehr. Das Volk Israel bringt Opfer dar, ohne gleichzeitig eine korrekte innere Haltung einzunehmen und einen bestimmten moralischen Lebenswandel aufzuweisen. Es ist absolut aktuell, wenn wir es auf uns heute beziehen: Wie viele Menschen kommen zur Messe und empfangen sogar die Kommunion, obwohl sie die Gebote überhaupt gar nicht halten und seit über vierzig Jahren nicht mehr gebeichtet haben. Wir sind heute sogar schlimmer als die Israeliten damals, denn diese trugen die Worte und Gebote Gottes noch in ihrem Mund. Sie haben sie noch aufgezählt und thematisiert, aber nicht gehalten.
Gott braucht die unaufrichtigen Opfer des Volkes nicht, weil ihm ohnehin alle Tiere gehören. Er ist der Schöpfer und wenn es ihm darum ginge, seinen „Hunger“ nach ihnen zu stillen, könnte er das auch selbst tun. Gott kritisiert das Gottesbild des Volkes, das mit der falschen Opferhaltung einhergeht: Es tut so, als ob Gott ein launisches und zorniges Wesen ist, das man durch Opfer besänftigen muss. Dieses Gottesbild vertreten die umliegenden Völker auch, doch ist Gott eigentlich ganz anders. Sein Wesen hat er den Israeliten offenbart, doch sie fallen zurück auf ein archaisches Gottesbild, bei dem es gar nicht um eine personale Beziehung geht.
Gott möchte unsere Liebe, wenn wir sie ihm durch den Bund mit ihm versprochen haben. Das darf er als „Bräutigam“ von uns erwarten. Es geht um Beziehung. Er möchte unsere Dankbarkeit, deshalb soll Israel Opfer des Dankes darbringen und das Bundesversprechen einhalten, konkret: durch das Halten der Gebote. Gott möchte unser Herz und nicht alle möglichen Bestechungen in Form von Opfern, die wir ihm gleichsam vor die Füße werfen. Es ist vergleichbar mit einem Kind, dessen Eltern haufenweise Geld und materielle Güter investieren statt dem Kind Zeit und Liebe zu schenken. Solche „Gaben“ möchte das Kind gar nicht haben. Es möchte die Zuwendung der Eltern. Es ist auch wie mit Kindern, die ihre Eltern finanziell versorgen oder sonstiges für die Eltern geben, um ihr Gewissen zu beruhigen, doch die Eltern nie besuchen. Das wäre so viel wertvoller für sie!
Wenn Israel diese aufrichtige Beziehung wieder aufnimmt und sich um Bundestreue bemüht, wird Gott seine Gebete und Bitten auch erfüllen. Es ist im Neuen Bund sehr ähnlich: Wir fragen uns oft, warum Gott unsere Gebete nicht erhört. Dabei sollten wir uns selbst hinterfragen und prüfen, ob unsere Beziehung zu ihm vielleicht zerbrochen ist und wir gar nicht im Stand der Gnade sind. Das würde bedeuten, dass wir uns von ihm sehr weit entfernt haben. Unter diesen Umständen kann er uns aber nicht helfen. Wir müssen zuerst zurückkommen, dann können wir ruhend an seiner Brust oder in einem anderen Bild: sitzend auf dem Vaterschoß alles erbitten. Er wird uns alles geben, insofern es seinem Willen entspricht.

Röm 4
18 Gegen alle Hoffnung hat er voll Hoffnung geglaubt, dass er der Vater vieler Völker werde, nach dem Wort: So zahlreich werden deine Nachkommen sein.
19 Ohne im Glauben schwach zu werden, bedachte er, der fast Hundertjährige, dass sein Leib und auch Saras Mutterschoß schon erstorben waren.
20 Er zweifelte aber nicht im Unglauben an der Verheißung Gottes, sondern wurde stark im Glauben, indem er Gott die Ehre erwies,
21 fest davon überzeugt, dass Gott die Macht besitzt, auch zu tun, was er verheißen hat.
22 Darum wurde es ihm auch als Gerechtigkeit angerechnet.
23 Doch nicht allein um seinetwillen steht geschrieben: Es wurde ihm angerechnet,
24 sondern auch um unseretwillen, denen es angerechnet werden soll, uns, die wir an den glauben, der Jesus, unseren Herrn, von den Toten auferweckt hat.
25 Wegen unserer Verfehlungen wurde er hingegeben, / wegen unserer Gerechtmachung wurde er auferweckt.

In der zweiten Lesung aus dem Römerbrief reflektiert Paulus die Gunst, die uns Menschen durch den alten Bund erwiesen worden ist: Abraham und seinen Nachkommen, mit denen Gott den Bund immer wieder erneuert hat, ist diese besondere Ehre nicht deshalb zuteil geworden, weil sie es sich zuvor verdient hätten. Ebenso können wir Christen sagen, dass wir nicht deshalb durch das Kreuzesopfer Jesu Christi erlöst worden sind, weil wir das zunächst irgendwie verdient hätten. Das wird durch die Wendung „aufgrund des Gesetzes“ ausgedrückt, was meint, dass die Torah gehalten wird. Abraham und seinen Nachkommen wurde die Gnade aufgrund der Glaubensgerechtigkeit verliehen. Zu Abrahams Zeiten gab es die Torah noch gar nicht. Er hat Gott ganz geglaubt und ihm vertraut, deshalb hat Gott mit ihm den Bund geschlossen.
In diesem Kontext im Römerbrief geht es Paulus darum, Glaubensvorbilder heranzuziehen, anhand derer man dies besonders deutlich erkennen kann. Abraham hat als alter Mann Gott geglaubt, dass dieser ihn zum Vater vieler Völker machen könne und dass der Erbe von seiner Frau hervorgehen würde, die selbst schon nicht mehr im gebärfähigen Alter war. Er hat Gott die Ehre erwiesen in vielen Situationen und sein Glaube stand selbst nach der Geburt des Kindes auf dem Prüfstand. Gott hat diesen wirklich wie Gold im Feuer erprobt, aber Abraham hat die Prüfung bestanden. Damals bestand das mosaische Gesetz noch nicht, aber Abraham gilt dennoch als gerechter Mann. Er hatte noch keine Chance, die Gebote zu halten, um vor Gott gerechtfertigt zu werden. Das beweist, dass die Rechtfertigung vor Gott nicht aus eigener Kraft geschieht, also wie hier konkret durch das Halten der Gebote. Abraham ist es angerechnet worden, die Initiative ging also von Gott aus. Ebenso betrifft es uns, die wir im Neuen Bund leben, denn uns wird die Gerechtigkeit angerechnet durch die Hingabe Jesu Christi am Kreuz. Er hat unsere Gerechtmachung durch sein Erlösungswerk erwirkt. Er wurde für unsere Sünden hingegeben, für unsere Rechtfertigung wieder auferweckt. Dass wir im Stand der Gnade sein können, dass wir auf dem Schoß des Vaters als seine geliebten Kinder sitzen dürfen, kurzum: dass wir mit ihm in einer Bundesbeziehung leben können, verdanken wir Christus, nicht uns selbst. Er hat uns zu Kindern Gottes gemacht. Das heißt nicht, dass wir untätig sind und vor uns hinleben, sondern dass wir uns als Kinder Gottes verhalten und ihm die Bundestreue halten – ganz wie das schon Israel tun sollte.

Mt 9
9 Als Jesus weiterging, sah er einen Mann namens Matthäus am Zoll sitzen und sagte zu ihm: Folge mir nach! Und Matthäus stand auf und folgte ihm nach.

10 Und als Jesus in seinem Haus bei Tisch war, siehe, viele Zöllner und Sünder kamen und aßen zusammen mit ihm und seinen Jüngern.
11 Als die Pharisäer das sahen, sagten sie zu seinen Jüngern: Wie kann euer Meister zusammen mit Zöllnern und Sündern essen?
12 Er hörte es und sagte: Nicht die Gesunden bedürfen des Arztes, sondern die Kranken.
13 Geht und lernt, was es heißt: Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer! Denn ich bin nicht gekommen, um Gerechte zu rufen, sondern Sünder.

Im Evangelium hören wir von dem Apostel und Evangelisten Matthäus, der im Markusevangelium Levi genannt wird. Es handelt sich um einen Zöllner, dessen Berufsgruppe nicht gut angesehen ist. Das liegt daran, dass Zöllner immer mehr als nötig eintreiben müssen, um das Risiko von Missernten etc. zu berücksichtigen. Sie gelten deshalb als unehrlich, erhalten keine bürgerlichen Ehrenrechte und werden vor Gericht nie als zuverlässige Zeugen einbezogen. Jesus hat im heutigen Evangelium aber einen wunderbaren Plan mit diesem Menschen. Er sieht in ihm mehr als nur den unehrlichen Zöllner. Er sieht das Potenzial eines von Gott geliebten Kindes. So ist es auch bei uns Menschen. Wir drücken anderen schnell einen Stempel auf. Wir schreiben andere ab, obwohl wir sie erstens gar nicht richtig kennen können (also nicht in ihr Herz schauen können), zweitens noch so schlimme Menschen jederzeit eine Umkehr erleben, ein besserer Mensch werden können. Jeder hat jederzeit eine neue Chance verdient. Und wie Matthäus in Wirklichkeit ist, sieht nur Gott. Billy Graham sagte einmal sinngemäß: Es gibt drei Arten des Ichs – das Ich, das ich selbst kenne, das Ich, das die Menschen kennen und das Ich, das Gott kennt. Jesus sieht in Matthäus, was sonst keiner bisher gesehen hat – vielleicht nicht mal er selbst.
Warum eigentlich hat dieser Zöllner, der dann Jesu Jünger wird, zwei verschiedene Namen? Das hängt wohl damit zusammen, dass er beide Namen besaß. Die moderne Exegese bestreitet dies, weil im Gegensatz zu Paulus kein jüdischer und römischer Name vorlag, sondern zwei jüdische. Dem ist entgegen zu halten, dass es auch eine latinisierte Form gibt (nämlich eben Matthäus) und eine doppelte Namensgebung auch mit seiner römischen Bürgerschaft zusammenhängen kann wie bei Paulus. Eine andere Erklärung ist, dass er später von Jesus den Namen Matthäus erhalten hat. Das alles spielt für uns eine untergeordnete Rolle. Für uns ist es lehrreich, dass Jesus so einen Menschen überhaupt beruft. Wie schon bei den anderen Aposteln steht der Berufene direkt auf und folgt Jesus nach, ohne zu zögern. Wie auch bei Zachäus hält Jesus gemeinsames Mahl mit Matthäus und seinen Freunden. Da er bei den meisten Juden nicht beliebt ist, hat er in seinem Umfeld Menschen seines Berufsstandes.
Jesus isst mit Sündern, weil er Gott ist. Dieser ist so allmächtig, dass er höchstpersönlich tief in das sündige Leben von uns Menschen eintauchen kann, ohne dass es ihm irgendwie schadet. Er tut es, um uns Menschen aus der Sünde herauszuholen, nicht weil er die Sünde an sich gutheißt. Sein Verhalten ist also kein Anlass, Sünder zur Kommunion zuzulassen, wie heutzutage gerne instrumentalisiert wird. Jesus hält Mahl als „Rettungsaktion“ für die echten Sünder (die vor Gott Sünder sind, nicht die von den Menschen abgestempelt werden) und als prophetische Zeichenhandlung für die Selbstgerechten (Gott hält Mahl mit allen Menschen guten Willens, beim letzten Abendmahl mit seinem berufenen Zwölferkreis, in der eucharistischen Gemeinschaft mit allen Getauften und zur Eucharistie Gekommenen, am Ende des Lebens beim himmlischen Hochzeitsmahl). Wer daran teilnimmt, wird nicht automatisch nach den Maßstäben der Pharisäer und Schriftgelehrten entschieden, sondern allein nach Gottes Maßstab – mit so einigen Überraschungen. Warum Überraschungen? Weil nur Gott das Herz der Menschen sieht und genau weiß, wer wirklich gerecht ist (nicht nur nach außen so tut).
Sie sind es auch, die auf Jesu Mahlgemeinschaft mit den von ihnen bezeichneten „Sündern“ unzufrieden reagieren. Sie zeigen durch ihre Reaktion, dass sie Jesus als Messias und Gott nicht erkannt haben. Sie sehen Jesus als üblichen Rabbi, der sich an die jüdischen Gesetze halten soll. Sie sehen nicht, dass der Messias Herr über die Torah ist.
Jesus bekommt ihre Reaktion mit und weil er alle Menschen retten will, geht er auch auf diese Menschen zu mit den Worten: „Nicht die Gesunden bedürfen des Arztes, sondern die Kranken“. Gott ist der Arzt unserer Seelen. Er macht uns wieder heil, wo wir uns von ihm behandeln lassen. Jesu Mahlgemeinschaft ist also nicht nur „Rettungsaktion“ und prophetische Zeichenhandlung, sondern vor allem eine „Therapiesitzung“. Wir könnten uns jetzt fragen: „Heißt das, dass die Zöllner und Sünder bei Jesu Mahlgemeinschaft die Kranken sind und die Pharisäer und Schriftgelehrten nicht?“ Wir können uns getrost selbst beantworten: Natürlich ist jeder Mensch krank, nämlich durch die Erbsünde. Es gibt niemanden, der ganz gesund ist. Jeder ist nur unterschiedlich „krank“. Das ist eine Sache. Die andere ist aber hier entscheidend: Wer erkennt die eigene Krankheit und lässt sich auf die Therapie Gottes ein? Wer meint, keine Umkehr nötig zu haben, weil er schon gerecht genug ist, wird die eigene Krankheit nicht sehen und deshalb nie therapiert. Jesus verrät uns durch seine Antwort jedoch wirklich, dass er die Sünde der Zöllner nicht bagatellisiert. Es ist Stehlen und Lügen. Das sind ernstzunehmende Sünden. Jesus redet uns unsere Sünden auch nicht weg. Er hält sie uns in Liebe vor, damit wir unser eigenes sündiges Spiegelbild sehen, betroffen sind und uns ändern. Die Zöllner sind in dieser Hinsicht wirklich krank, aber sie lassen sich wenigstens behandeln. Wie ist es mit uns? Reagieren wir auch unwirsch, wenn Gott anderen seine Barmherzigkeit zeigt? Sollten wir nicht froh sein und uns mit diesen Menschen mitfreuen, dass sie zu Gott umkehren? Uns erinnert diese ganze Situation an das Gleichnis vom verlorenen Sohn. Auch dort geht es nicht nur um einen einzigen Sohn, sondern um zwei, die je auf ihre Weise versöhnt werden müssen. Wollen wir zum unbarmherzigen großen Bruder werden, der dem jüngeren die Umkehr nicht gönnt?
Wenn Jesus dann am Ende noch sagt: „Ich bin nicht gekommen, um Gerechte zu rufen, sondern Sünder“, müssen wir genau überlegen, was Jesus damit meint. Jesus beruft dabei Menschen, nicht ihre Sünde. Wen Jesus ruft, der wird dabei immer verändert. Wir denken z.B. an Zachäus, der am Ende alles, was er zuviel eingenommen hat, sogar noch vierfach zurückgezahlt hat. Wir denken auch an Maria Magdalena, die durch die Begegnung mit Jesus von sieben Dämonen befreit worden ist und von da an Jesu Verkündigung u.a. finanziell unterstützt hat. Die Sünder waren keine Sünder mehr, aber befreit wurden sie erst davon, als sie es einsahen und umkehrten. Deshalb sagt Jesus, dass er Sünder beruft, nicht Gerechte – Sünder ist jeder Mensch, aber nicht jeder erkennt sich als Sünder. Ihm nachfolgen kann nur, wer die Demut besitzt, sich zu sehen, wie man wirklich ist, arm und erlösungsbedürftig. Wer sich selbst aber als Gerechter bezeichnet, der keiner Umkehr bedarf, kann Jesus nicht nachfolgen. Es geht also bei der Aussage Jesu weniger darum, wie viel, wie arg, welche Art von Sünde man auf dem Konto hat, sondern vielmehr darum, wie viel man von den Sünden tatsächlich bereut. Gleichzeitig verharmlost er keine einzige Sünde. Sonst würde er nicht zu den großen Sündern sagen: „Geh und sündige von nun an nicht mehr.“ Und die Zehn Gebote möchte er ja nicht im Geringsten verändern. Das sagt er in der Bergpredigt mit aller Deutlichkeit.

Die Lesungen dieses Sonntags stehen ganz unter dem Motto der Aufrichtigkeit und Beziehung zu Gott: Der Herr möchte die Menschen zu einer Familie vereinen und alle Krankheiten heilen. Er ist es, der uns gerecht macht durch die Erlösung. Was er von uns verlangt, ist Aufrichtigkeit, Liebe und Treue. Wie das auch in jeder zwischenmenschlichen Beziehung ist, möchte er von uns, dass wir regelmäßig prüfen, ob zwischen ihm und uns alles in Ordnung ist, ob wir uns von ihm entfernt haben, ob wir lieblos geworden sind. Er möchte, dass wir mutig auf unsere Sünden schauen, denn Einsicht ist der erste Schritt zur Umkehr. Und wenn wir erstmal mit ihm versöhnt sind, schweißt es uns immer mehr mit ihm zusammen.

Ihre Magstrauss

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