Donnerstag der 10. Woche im Jahreskreis

2 Kor 3,15 – 4,1.3-6; Ps 85,9-10.11-12.13-14; Mt 5,20-26

2 Kor 3
15 Bis heute liegt die Hülle auf ihrem Herzen, wenn Mose vorgelesen wird.

16 Sobald er aber zum Herrn zurückkehrt, wird die Hülle entfernt.
17 Der Herr aber ist der Geist; wo aber der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit.
18 Wir alle aber schauen mit enthülltem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn wie in einem Spiegel und werden so in sein eigenes Bild verwandelt, von Herrlichkeit zu Herrlichkeit, durch den Geist des Herrn.
1 Daher erlahmt unser Eifer nicht in dem Dienst, der uns durch Gottes Erbarmen übertragen wurde.
3 Wenn unser Evangelium dennoch verhüllt ist, ist es nur denen verhüllt, die verloren gehen;
4 denn der Gott dieser Weltzeit hat das Denken der Ungläubigen verblendet. So strahlt ihnen der Glanz des Evangeliums von der Herrlichkeit Christi, der Gottes Bild ist, nicht auf.
5 Wir verkünden nämlich nicht uns selbst, sondern Jesus Christus als den Herrn, uns aber als eure Knechte um Jesu willen.
6 Denn Gott, der sprach: Aus Finsternis soll Licht aufleuchten!, er ist in unseren Herzen aufgeleuchtet, damit aufstrahlt die Erkenntnis des göttlichen Glanzes auf dem Antlitz Christi.

In der Lesung hören wir heute die Fortsetzung des gestrigen Argumentationsgangs: Es geht weiterhin um den entscheidenden Unterschied zwischen Altem und Neuem Bund. Die heutigen Verse sind dabei besonders ersichtlich, um zu begreifen, dass „Alter Bund“ und „Neuer Bund“ nicht einfach nur äußere Dimensionen sind, also dass der eine Bund zwischen Gott und dem Volk Israel geschlossen ist, während der andere Bund zwischen Gott und der ganzen Welt, sondern dass es auch um zwei Haltungen geht. Das ist sogar entscheidend, weil ja die Bünde nicht getrennt voneinander sind. Vielmehr geht der erste Bund im zweiten Bund auf, wird erfüllt. Wir haben als Christen das Alte Testament in unsere Bibel aufgenommen und hören so wie die Juden auch die fünf Bücher Mose. Gemäß der Haltung des Alten Bundes wird aber die tiefe Bedeutung der alten Schriften nicht erkannt, es liegt gleichsam eine Hülle auf den Herzen der Hörer. Sie können diesen einen letzten entscheidenden Aspekt nicht erkennen, weil sie den Schlüssel zu alledem nicht haben – Jesus Christus. Diese Worte widersprechen der gesamten modernen Exegese, die darauf aus ist, ja nichts Christliches in die alttestamentlichen Texte hineinzulesen oder sie christologisch zu deuten. Aber das ist der Argumentationsgang des zweiten Korintherbriefes!
Wer aber zum Herrn zurückkehrt, von dem wird diese Hülle genommen. Gemeint ist die Bekehrung. Paulus selbst hat diese Erkenntnis gemacht, als er Jesus vor den Toren Damaskus‘ begegnet und nach dreitägiger Blindheit von Hananias wieder sehend gemacht wird. Es ist nicht nur eine biologische Heilung, sondern auch eine innere Erkenntnis, die ihm geschenkt wird. Es fällt ihm wie Schuppen von den Augen, dass Christus der hermeneutische Schlüssel für das Verständnis der Hl. Schrift ist. Bewirkt ist dies durch den Hl. Geist, der in die Freiheit führt, wie es hier heißt.
Uns ist dieser Blick auf die gesamte Heilsgeschichte und dem Zielpunkt mit Christus geschenkt worden. Wir dürfen enthüllt die Herrlichkeit Gottes schauen, zwar noch nicht das Original, denn das würden wir nicht aushalten, dafür aber das Spiegelbild. Durch das Schauen dieses Spiegelbilds werden wir zunehmend in sein Bild verwandelt. Dies geschieht am intensivsten wenn wir Gott schauen in der eucharistischen Gestalt. Je mehr wir uns ihm in seiner Aussetzung aussetzen, desto mehr verwandelt er uns in sein Bild. Es ist wie ein Spiegel, der auf uns abfärbt.
Paulus möchte deshalb alles daran setzen, so vielen Menschen wie möglich diese Enthüllung zuteilwerden zu lassen. Und wer bis zum Schluss das Evangelium als verhüllt und nicht zugänglich erfährt, wer bis zum Schluss dieses Evangelium nicht annimmt, hat dies durch die eigene Verstocktheit zu verantworten. Paulus hat nämlich alles ihm Mögliche getan, damit alle es annehmen können.
Wenn Paulus sagt, dass der Gott dieser Weltzeit die Ungläubigen ganz verblendet, gibt es sehr unterschiedliche Deutungen, die vor allem von Sekten und Irrlehrern als Bestätigung für ihre dualistischen Weltkonzepte dient. Am plausibelsten erscheint die Deutung, dass damit nicht Gott gemeint ist, sondern der Herrscher dieser gefallenen Schöpfung, der Widersacher Gottes. Der Hl. Thomas von Aquin präzisiert noch weiter: Der Herrscher dieser Welt ist im Grunde der Mammon, der das Denken der Menschen ganz beeinträchtigt, sodass sie sich gar nicht für das Evangelium öffnen können.
Das macht im Kontext dieses Briefes sehr viel Sinn, denn Paulus ist anscheinend von den Korinthern vorgeworfen worden, dass er mit den Spenden nicht richtig umgegangen sei. Es kam deshalb zu einem großen Streit zwischen den Korinthern und Paulus.
Paulus erklärt daraufhin eine weitere wichtige Sache, die allen Geistlichen heutzutage ein einziger Appell sein sollte: Die Apostel verkünden nicht sich selbst, sondern das Evangelium Jesu Christi. Sie stellen ihre eigene Person in den Hintergrund. Was ist heute los? Viele stellen sich selbst ins Rampenlicht, inszenieren sich, feiern sich. So mancher bezeichnet es als Fortschritt und hat sogar einen Begriff dafür, die Kirche in einen humanistischen Verein zu verwandeln: anthropologische Wende. Nein, Jesus soll unser Mittelpunkt sein. Was er sagt und vorgibt, muss unser Maßstab sein und nicht der Mensch.
Er verleiht der Kirche mit seiner frohen Botschaft Strahlkraft, die kein Mensch erreichen kann. Wenn wir als Kirche leuchten wollen, brauchen wir also wieder Evangelisierung. Er ist das Licht, das die Dunkelheit in unseren Herzen erleuchten kann. Das, was Paulus und die anderen Apostel entzündet hat, soll auf alle Menschen übergehen. Der heilige Augustinus sagte: Was du in anderen Menschen entzünden willst, muss in dir selbst brennen. Beten wir um geistliche Berufungen, um das Feuer in den Herzen derer, die das Evangelium verkünden, damit das Feuer der Liebe Gottes auch in heutiger Zeit nicht erlischt!

Ps 85
9 Ich will hören, was Gott redet: Frieden verkündet der HERR seinem Volk und seinen Frommen, sie sollen sich nicht zur Torheit wenden.
10 Fürwahr, sein Heil ist denen nahe, die ihn fürchten, seine Herrlichkeit wohne in unserm Land.
11 Es begegnen einander Huld und Treue; Gerechtigkeit und Friede küssen sich.
12 Treue sprosst aus der Erde hervor; Gerechtigkeit blickt vom Himmel hernieder.
13 Ja, der HERR gibt Gutes und unser Land gibt seinen Ertrag.
14 Gerechtigkeit geht vor ihm her und bahnt den Weg seiner Schritte.

Als Antwort beten wir Psalm 85, der für die jüdische Liturgie bestimmt war. Es geht in diesen Versen um die Bitte um Gerechtigkeit, heute also um eben jene Gerechtigkeit in Person, Jesus Christus! Wir sehen das leidende Volk Israel vor uns, das um Erlösung vom „Frondienst“ bittet. Dies ist wichtig, denn uns wird noch einmal die Haltung des Alten Bundes vor Augen geführt, die wir mit christlichen Augen aber in eine andere Haltung übertragen.
„Ich will hören, was Gott redet“ ist ein Ausdruck der Bereitschaft des Beters. Gottes Willen anzuhören und nicht verstockt zu sein, ist eine wichtige Zusage an Gott. Die Selbstaufforderung ist als Psalmenanfang ja häufig belegt. Gott verkündet seinem Volk den Frieden, das ist so eine große Verheißung, dass ihre Ablehnung eine einzige Torheit darstellt, einen absoluten Leichtsinn. Wer einen gesunden Menschenverstand besitzt, kann nur so reagieren. Dieser Friede, der Schalom, ist Gottes Gabe, die hier noch als Gabe an das auserwählte Volk Israel verstanden wird. Bei Paulus weitet sich aber der Blick auf alle Menschen, die den Frieden Gottes in ihren Herzen willkommen heißen. Schon in der Botschaft an den Perserkönig Kyros entdecken wir erste Hinweise auf das universale Heil Gottes.
Im Folgenden hören wir von Heilsverheißungen: Huld und Treue begegnen einander. Das Begriffspaar wird üblicherweise auf Gott bezogen. Sie sind seine Eigenschaften. Ebenso kommen „Gerechtigkeit und Friede“ von Gott. Wenn hier bildlich-poetisch gesagt wird, dass sie sich küssen, meint das ihre Verbindung. Ich habe schon öfter erklärt, dass dem umfassenden Heil eine Gerichtsvollstreckung vorausgeht. Beides gehört zusammen. Gericht und Heil sind zwei Seiten einer Medaille. Der Friede des Gottesreiches kommt, nachdem alles Böse vernichtet und gerichtet worden ist. Es hat im Reich Gottes keinen Platz. Gottes Gerechtigkeit ist nicht als etwas Böses und Angsterfüllendes anzusehen, sondern als Erlösung von den Ungerechtigkeiten dieser Welt. Bedrohlich ist es nur für jene, die bis zum Schluss Gott abgelehnt haben. Diese erhalten dann ihre finale Abrechnung.
„Treue sprosst aus der Erde hervor“ ist eine wunderbare poetische Formulierung, die verdeutlicht: Egal, wie sehr nun alles in Trümmern liegt und zerstört ist – Gott ist dennoch treu und hält fest an dem Bund, den er mit seiner Braut geschlossen hat. Die Treue sprosst aus der Erde hervor, denn die Wurzeln sind trotz der Verwüstung intakt geblieben. Auch wenn die Bäume abgehauen worden sind (was ein Gerichtsbild ist, das auch Johannes der Täufer aufgreifen wird), wächst aufgrund der gebliebenen Wurzel ein neuer Baum hervor. Und die hervorsprossende Treue in Person ist Jesus Christus.
„Gerechtigkeit blickt vom Himmel hernieder“ ist wie bereits oben beschrieben keine bedrohliche Aussage, sondern ein tröstlicher Satz. Gott ist der Zustand auf Erden nicht egal. Er kümmert sich um seine Schöpfung und greift ein, wo Ungerechtigkeit herrscht. Er blickt vom Himmel herab, der sein „Wohnort“ ist, das heißt trotz seiner Existenz in der Ewigkeit sieht er alles, was im Diesseits geschieht. Das ist eine Aussage gegen deistische Konzepte.
Beides gemeinsam weist auf die Eigenschaften des Messias hin – wahrer Gott (Gerechtigkeit blick vom Himmel hernieder) und wahrer Mensch (Treue sprosst aus der Erde hervor).
Was von Gott kommt, ist immer gut. Auch das Gericht ist etwas Gutes, weil ohne es das umfassende Heil nicht kommen kann. Er gibt Gutes auch schon im Diesseits, indem er zum Beispiel für eine gute Ernte sorgt. Das ist Ausdruck seines Segens für die Menschen.
„Gerechtigkeit geht vor ihm her und bahnt den Weg seiner Schritte.“ Wie mehrfach gesagt kann Gott erst unter den Menschen wohnen im Himmlischen Jerusalem, wenn seine Gerechtigkeit alles Böse vernichtet, die gefallene Schöpfung komplett auf Null gebracht und eine neue Schöpfung hervorgebracht hat. Weil Gott der Gute ist, kann nichts Böses in seiner Gegenwart bestehen.
Für uns bedeutet diese Aussage ganz konkret: Der ganze Zustand in unserer Welt muss erst immer schlimmer werden, weil es wie die Geburtswehen ist, die dem Glück des geborenen Kindes vorausgehen. Diese werden auch immer stärker, bis das Kind endlich kommt. Es ist für uns in dieser Welt also sehr schmerzhaft und wird immer schlimmer, aber wir wissen, dass mit zunehmender Drastik das Kommen unseres Herrn immer näher rückt. Und sein Erbe, der Hl. Geist, trägt uns in diesen letzten Tagen hindurch.

Mt 5
20 Darum sage ich euch: Wenn eure Gerechtigkeit nicht weit größer ist als die der Schriftgelehrten und der Pharisäer, werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen.
21 Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt worden ist: Du sollst nicht töten; wer aber jemanden tötet, soll dem Gericht verfallen sein. 
22 Ich aber sage euch: Jeder, der seinem Bruder auch nur zürnt, soll dem Gericht verfallen sein; und wer zu seinem Bruder sagt: Du Dummkopf!, soll dem Spruch des Hohen Rates verfallen sein; wer aber zu ihm sagt: Du Narr!, soll dem Feuer der Hölle verfallen sein. 
23 Wenn du deine Opfergabe zum Altar bringst und dir dabei einfällt, dass dein Bruder etwas gegen dich hat, 
24 so lass deine Gabe dort vor dem Altar liegen; geh und versöhne dich zuerst mit deinem Bruder, dann komm und opfere deine Gabe! 
25 Schließ ohne Zögern Frieden mit deinem Gegner, solange du mit ihm noch auf dem Weg zum Gericht bist! Sonst wird dich dein Gegner vor den Richter bringen und der Richter wird dich dem Gerichtsdiener übergeben und du wirst ins Gefängnis geworfen. 
26 Amen, ich sage dir: Du kommst von dort nicht heraus, bis du den letzten Pfennig bezahlt hast.

Im Evangelium hören wir erneut aus der Bergpredigt einen wichtigen Ausschnitt. Es geht um Gerechtigkeit, die mit Beziehung zu tun hat und nicht (nur) mit Buchstabentreue. Auch dort wird also die unterschiedliche Haltung des Alten und Neuen Bundes aufgegriffen.
Wer vor Gott gerecht sein möchte, muss eine weitaus größere Gerechtigkeit als die der Pharisäer und Schriftgelehrten aufweisen. Denn diese halten erstens gar nicht die vollständige Lehre im ursprünglichen Sinne, zweitens bauen sie ein menschliches Konstrukt darum, das sie statt der göttlichen Gebote halten. Das größte Problem aber besteht in der fehlenden Beziehung. Sie halten die Gebote nicht aus Liebe zu Gott, sondern um der Gebote willen. Dies führt zu einer Äußerlichkeit ohne entsprechende innere Herzenshaltung.
Und dann konkretisiert Jesus, was er damit meint, indem er die Gebote so auslegt, wie Gott sie eigentlich gemeint hat:
Er nimmt als erstes Beispiel das fünfte Gebot „du sollst nicht töten“. „Die Alten“ haben es so ausgelegt, dass man niemanden töten soll. Jesus „radikalisiert“ es jetzt aber im Sinne einer von Grund auf erfolgten Wendung nach innen und stellt heraus, dass schon die Wut auf den Anderen, der Groll, die Rache, die bösen Wünsche gegenüber dem Anderen ein Verstoß gegen das Gebot sind. Ebenso ist es mit Beleidigungen. Er erklärt sie zum verbalen Mord. Nicht nur auf der Ebene des Handelns sündigt man gegen das fünfte Gebot, sondern auch auf den Ebenen der Gedanken und der Worte. Und diese Dinge reichen schon aus, kultisch unrein zu sein. Bevor man ein Opfer im Tempel darbringt, soll man zuerst Frieden schließen. Dabei soll man Friedensstifter sein selbst da, wo der Andere eigentlich die bösen Gedanken gegen einen selbst hegt.
Wenn Jesus dann das Bild des Wegs zum Gericht erwähnt, meint er damit nicht nur, dass man sich so schnell wie möglich versöhnen soll und es möglichst untereinander regeln soll, sondern auch die anagogische Ebene: Versöhne dich jetzt mit Gott und dem Nächsten, solange du noch lebst. Wenn du es bis zum Gericht Gottes nicht getan hast, wird es eine schmerzhafte Sache. Es ist selbst für die Angehörigen schmerzhaft, die einen unversöhnten Streit ihrer Familienmitglieder bis in den Tod begleiten müssen. So wie es besser ist, untereinander den Streit zu klären, bevor man im Gericht ankommt und dann ins Gefängnis muss, so ist es mit der Sühne eigener Sünden. Besser man sühnt sie noch in diesem Leben, denn danach wird es viel schmerzhafter, es im „Gefängnis“ des Fegefeuers abzubezahlen. Die Leiden des irdischen Daseins sind schmerzhaft genug. Wir dürfen diese annehmen und aufopfern zur Sühne unserer eigenen Sünden und der Sünden der ganzen Welt.

Die Dinge, die Jesus hier vor allem konkret als Beispiele anführt, sind für uns wichtig, die wir wirklich in uns gehen und nach ganz vergessenen Leichen im Keller suchen. Er gibt in der Bergpredigt im Grunde Anleitungen, wie eine gründliche Gewissenserforschung aussehen muss. Sie muss dabei vom Grundsatz ausgehen, dass der Mensch eine Beziehung zu Gott hat und jede Sünde ein Streit, ein Konflikt, eine Beleidigung Gottes ist. Er hilft uns, auf unseren moralischen Lebenswandel zu schauen wie Gott. Auch wenn es schmerzhaft ist, sich dann in einem realistischen Bild zu sehen, auch wenn es Überwindung kostet, umzukehren – nur so können wir in eine wirklich innere Beziehung zu Gott kommen, der ja schon an der Schwelle steht und Ausschau nach uns hält – bereit, uns in die Arme zu nehmen, wenn wir zu ihm zurückkehren. Nur so wird es eine echte Versöhnung geben und ein großes Fest wie bei der Rückkehr des verlorenen Sohns.

Ihre Magstrauss


Hinterlasse einen Kommentar