Donnerstag der 28. Woche im Jahreskreis

Röm 3,21-30a; Ps 130,1-2.3-4.5-6b; Lk 11,47-54

Röm 3
21 Jetzt aber ist unabhängig vom Gesetz die Gerechtigkeit Gottes offenbart worden, bezeugt vom Gesetz und von den Propheten:

22 die Gerechtigkeit Gottes durch Glauben an Jesus Christus, offenbart für alle, die glauben. Denn es gibt keinen Unterschied:
23 Alle haben ja gesündigt und die Herrlichkeit Gottes verloren.
24 Umsonst werden sie gerecht, dank seiner Gnade, durch die Erlösung in Christus Jesus.
25 Ihn hat Gott aufgerichtet als Sühnemal – wirksam durch Glauben – in seinem Blut, zum Erweis seiner Gerechtigkeit durch die Vergebung der Sünden, die früher,
26 in der Zeit der Geduld Gottes, begangen wurden; ja zum Erweis seiner Gerechtigkeit in der gegenwärtigen Zeit, um zu zeigen: Er selbst ist gerecht und macht den gerecht, der aus Glauben an Jesus lebt.
27 Wo bleibt da noch das Rühmen? Es ist ausgeschlossen. Durch welches Gesetz? Durch das der Werke? Nein, durch das Gesetz des Glaubens.
28 Denn wir sind der Überzeugung, dass der Mensch gerecht wird durch Glauben, unabhängig von Werken des Gesetzes.
29 Oder ist Gott nur der Gott der Juden, nicht auch der Heiden? Ja, auch der Heiden,
30 da doch gilt: Gott ist der Eine. Er wird aufgrund des Glaubens sowohl die Beschnittenen wie die Unbeschnittenen gerecht machen.

Heute hören wir als Lesung einen der wichtigsten theologischen Texte der Briefliteratur des Neuen Testaments. Es ist der Dreh- und Angelpunkt, der Luther zu seiner Theologie gebracht hat. Es ist ein Ausschnitt, der das Kreuz Jesu Christi zum Ort des Heils für alle Menschen deklariert.
Ich habe in den letzten Tagen immer wieder den gesamten Argumentationsgang des Paulus angedeutet und den Konflikt hinter der Entstehung des Briefs auch herausgestellt. Ihm ist es ein Anliegen, „das Gesetz“, das heißt die Torah, nicht als hinfällig darzustellen, sondern ihr die positive Bedeutung zurückzugeben. In den ersten beiden Kapiteln des Briefs entfaltete er Gerichtsworte gegen Heiden und Juden, nicht um sie niederzumachen, sondern zu verdeutlichen, dass alle erlösungsbedürftig sind (Röm 3,12 „Es gibt keinen, der Gutes tut, / auch nicht einen Einzigen.“). Das Problem ist nämlich die Mentalität mancher Judenchristen, zu meinen, dass durch eigenes Werk, das heißt durch das Halten der Gebote, die Erlösung erwirkt werden könne (3,20 „Denn aus Werken des Gesetzes wird niemand vor ihm gerecht werden; denn durch das Gesetz kommt es nur zur Erkenntnis der Sünde.“).
Umso überwältigender, dass Gott so barmherzig ist, sich zu offenbaren in Christus, um das, was wir nicht aus eigener Kraft schaffen können, herzustellen – unsere Rechtfertigung. Christus ist erschienen, der schon „vom Gesetz und von den Propheten“ angekündigt worden ist. Gerechtigkeit ist nun hergestellt durch Glauben – das ist gleichsam synonym zur Taufe zu verstehen , die das Zeichen des Glaubens geworden ist. Jeder ist Sünder und erlösungsbedürftig, aber auch jeder bekommt die Chance auf die Rechtfertigung. Gott hat sich der ganzen Welt offenbart, damit alle zum Glauben an ihn kommen. Die Gnade der Umkehr ist wiederum ein Geschenk Gottes, ebenso die Rechtfertigung, die uns in der Taufe zuteilwird. Es ist also nichts, womit wir angeben können oder worauf wir uns etwas einbilden können. Es ist nicht unser Verdienst, dass wir reingewaschen sind durch das kostbare Blut Jesu Christi!
Paulus macht sodann eine Andeutung des Alten Bundes: Einmal im Jahr durfte der Hohepriester ins Allerheiligste kommen und mit dem Blut von zwei Opfertieren die Platte der Bundeslade besprengen, sodann das Volk Israel. Dieser Deckel der Bundeslade wird im Hebräerbrief auch bezeichnet als Gnadenthron Gottes (es ist im Griechischen dasselbe Wort). Wir müssen bedenken, dass von dieser Platte der Bundeslade aus Versöhnung geschehen konnte. Christus ist zu dieser Platte geworden, weil er durch sein eigenes Blut endgültig das geleistet hat, was der Hohepriester am Versöhnungstag immer wieder tun musste: Sühne, nun aber nicht mehr für die Sünden des Volkes Israel, sondern für die ganze Welt. Dass Jesus aber die ganze Welt erlöst hat, ist wiederum kein Automatismus, sondern wird wirksam durch Glauben. Das heißt, dass wir die Erlösung gläubig annehmen müssen, damit wir etwas davon haben – und das geschieht in der Taufe.
Christus hat nicht nur die Sünden derer gesühnt, die zu seiner Zeit lebten und dann bis heute, sondern auch die Sünden derer, die bereits vor ihm lebten. Er hat gleichsam rückwirkend jene gerechtfertigt, die im Alten Bund gelebt haben.
Wir können uns also nicht rühmen, weil die Erlösung und Rechtfertigung vor Gott ein absoluter Gnadenerweis ohne unser Zutun ist. Das einzige, was wir dazu beitragen, ist die gläubige Annahme dessen, was Christus uns getan hat. Nicht das Gesetz der Werke hat uns gerechtfertigt, sondern das Gesetz des Glaubens.
Und dann kommt der Vers, den Luther auf eine andere Weise verstanden hat, als es eigentlich gemeint ist: Vers 28 besagt, dass wir gerechtfertigt werden durch Glauben unabhängig von den Werken des Gesetzes (der Torah). Das heißt eigentlich, dass wir gerechtfertigt sind durch den Glauben an Jesus Christus, den wir in der Taufe bekennen, ohne dass wir zuerst die Torah gehalten haben. Dies als Zugangsvoraussetzung für die Taufe ist nämlich von radikalen Judenchristen gefordert worden. Luther hat dies aber so verstanden und deshalb ein Wörtchen eingefügt, das im griechischen Urtext gar nicht vorhanden ist: „Wir sind gerechtfertigt allein aus Glauben“. Und daraus entstand die Erkenntnis, dass Werke hinfällig geworden seien. Das meint Paulus aber nicht. Ihm geht es um die Rechtfertigung, nicht um das sich anschließende Leben des Getauften. Natürlich soll man daraufhin die Gebote halten. Paulus konnotiert das Gesetz positiv! Wenn man seine Ausführungen der gesamten Briefe betrachtet, kann man dies sehr gut erkennen: Er bekennt, dass zuerst die gläubige Annahme des Erlösungswirkens Christi in der Taufe kommt (Glaube) und sich ein Leben nach den Geboten Gottes anschließt (Werke). Die Taufgnade muss nämlich aufrechterhalten werden!
Zum Ende hin betont er noch einmal, was er mit seinen Ausführungen klarstellen möchte: Gott hat alle gleich erlöst, Juden und Heiden. Keiner kann sich über den anderen erheben. Die Erlösung ist für alle gleich. Weil der ausschlaggebende Faktor nicht das Vorweisen von Werken des Gesetzes ist, sondern der Glaube an Jesus Christus, können die Judenchristen nicht sagen, dass sie bessere Christen sind als die Heidenchristen.

Ps 130
1 Ein Wallfahrtslied. Aus den Tiefen rufe ich, HERR, zu dir: 

2 Mein Herr, höre doch meine Stimme! Lass deine Ohren achten auf mein Flehen um Gnade. 
3 Würdest du, HERR, die Sünden beachten, mein Herr, wer könnte bestehn? 
4 Doch bei dir ist Vergebung, damit man in Ehrfurcht dir dient. 
5 Ich hoffe auf den HERRN, es hofft meine Seele, ich warte auf sein Wort. 
6 Meine Seele wartet auf meinen Herrn mehr als Wächter auf den Morgen, ja, mehr als Wächter auf den Morgen. 

Wir beten einen Bittpsalm an diesem heutigen Tag, der zu Wallfahrten nach Jerusalem gebetet worden ist. Wir beten diesen Psalm heute unter anderem bei Beerdigungen, also wenn es um den Tod geht. Und auch für uns ist er stets angemessen, die wir tagtäglich Gefahren des moralischen Todes ausgesetzt sind.
„Aus den Tiefen rufe ich, HERR, zu dir“ entspricht der Tiefe des Falls in moralischer Hinsicht, also wenn wir gesündigt haben. Es bezieht sich auf die gesamte Menschheit nach dem Sündenfall, die in die Tiefe gerissen worden ist und nun eine gefallene Schöpfung darstellt. Es bezieht sich auf die Menschheit, die nach Erlösung schreit und die Jesus dann gebracht hat. Aus der Tiefe rufen auch wir Menschen nach der Erlösungstat Christi, die weiterhin sündigen und die im Namen Jesu vieles erleiden müssen und das Ende der Zeiten ersehnen. Und all das betrifft alle Menschen. Keiner kann sagen, er sei nicht erlösungsbedürftig. Wir alle können diese Worte zum Herrn rufen.
„Mein Herr, höre doch meine Stimme! Lass dein Ohren achten auf mein Flehen um Gnade.“ Gott hat natürlich keine Ohren, aber es ist bildhaft gemeint für Gottes Gehör. Nichts verklingt vor Gott unerhört. Er hilft allen Menschen aus ihrer Not, aber auf seine Weise und in seinem Timing.
„Würdest du, HERR, die Sünden beachten, mein Herr, wer könnte bestehn?“ – bringt es auf den Punkt. Kein Mensch hätte in den Himmel kommen können, wenn Jesus nicht alle Sünden der Welt auf sich genommen hätte. Wäre es ein reiner Kausalzusammenhang ohne diese barmherzige Intervention Gottes, wären alle Menschen ewig von Gott abgeschnitten gewesen. So ist es bei Gott aber nicht, sondern von Anfang an wollte er uns erlösen, weil sein Plan mit uns ist, dass wir alle gerettet werden. Er hat dafür alles vorbereitet, uns alles auf einem edlen Tablett serviert – nun liegt es an uns, die Erlösung, die Barmherzigkeit, die Vergebung Gottes anzunehmen und aufzustehen von unserem Fall.
„Doch bei dir ist Vergebung, damit man in Ehrfurcht dir dient“ – beschreibt den Grund unserer Erlösung: Wir sollen alle die Chance auf den Himmel haben, wo wir in ewiger Ehrfurcht Gott dienen. Aber auch jetzt schon in unserem irdischen Dasein vergibt uns Gott durch das Sakrament der Versöhnung immer wieder unsere Schuld, damit wir ihm mit versöhntem Herzen dienen können und er uns mit seinen Gnaden beschenken kann.
„Ich hoffe auf den HERRN, es hofft meine Seele, ich warte auf sein Wort.“ Es ist total messianisch zu lesen: Die Menschen, die sich auf den Weg nach Jerusalem zu den Wallfahrtsfesten im jüdischen Festkalender machen, sind zugleich in einer umfassenden Notsituation, denn sie warten auf den Messias, der sie aus ihrer jeweiligen Fremdherrschaft und politischen Spannung herausholt. Vor allem ist es zurzeit Ezechiels akut, als das Volk Israel in babylonischer Gefangenschaft ist und der erste Tempel ja zerstört ist. So warten die Juden auf den Messias, der dann aber ganz anders kam und ganz anders erlöste, als sie es erwartet haben. Jesus ist das fleischgewordene Wort Gottes, auf das der Psalmenbeter heute wartet. Auch wir warten auf den Messias, allerdings auf seine Wiederkehr am Ende der Zeiten.
Wir warten wie das Volk Israel dabei mehr als die Wächter auf den Morgen. Es ist ein schönes Bild, denn mit dem Morgen geht die Sonne auf und Christus ist die Sonne der Gerechtigkeit. Es ist auch kein Zufall, dass der Herr im Morgengrauen auferstanden ist – zusammen mit der Sonne.

Lk 11
47 Weh euch! Ihr errichtet Denkmäler für die Propheten, die von euren Vätern umgebracht wurden.

48 Damit bestätigt und billigt ihr, was eure Väter getan haben. Sie haben die Propheten umgebracht, ihr errichtet ihnen Bauten.
49 Deshalb hat auch die Weisheit Gottes gesagt: Ich werde Propheten und Apostel zu ihnen senden und sie werden einige von ihnen töten und andere verfolgen,
50 damit das Blut aller Propheten, das seit der Erschaffung der Welt vergossen worden ist, von dieser Generation gefordert wird,
51 vom Blut Abels bis zum Blut des Zacharias, der zwischen Altar und Tempelhaus umgebracht wurde. Ja, das sage ich euch: An dieser Generation wird es gerächt werden.
52 Weh euch Gesetzeslehrern! Ihr habt den Schlüssel zur Erkenntnis weggenommen. Ihr selbst seid nicht hineingegangen und die, die hineingehen wollten, habt ihr daran gehindert.
53 Als Jesus von dort weggegangen war, begannen die Schriftgelehrten und die Pharisäer, ihn mit vielerlei Fragen hartnäckig zu bedrängen;
54 sie lauerten ihm auf, um ihn in seinen eigenen Worten zu fangen.

Heute hören wir so wie gestern Wehrufe gegen die Pharisäer und Schriftgelehrten. Ihre Worte und Taten unterscheiden sich diametral. Die letzten Tage hat Jesus sie als Gräber bezeichnet, die von außen als solche nicht erkennbar sind.
Die Pharisäer und Schriftgelehrten sind peinlich darauf bedacht, die Menschen bei der Einhaltung aller Gebote, insbesondere der Ritualgebote, zu überwachen und selbst eine perfekte Fassade zu wahren, obwohl sie selbst sich gar nicht um ein Leben nach Gottes Geboten bemühen.
Heute spricht Jesus noch einen weiteren Aspekt ihrer Heuchelei an: Sie schmücken die Gräber und Gedenkstätten der Propheten und Gerechten. Sie errichten den Vätern Bauten. Dabei haben jene Toten ihr Leben dafür geopfert, Gottes Willen treu zu verkünden, die Selbstgerechten anzuprangern und immer wieder zur Umkehr aufzurufen. Sie mussten sehr oft dafür ihr Leben lassen, weil Selbstgerechte wie jene Pharisäer und Schriftgelehrten mit derselben Haltung nicht umkehren wollten. Wie heuchlerisch ist es also nun, dass die Pharisäer, die jene Propheten genauso abgelehnt hätten wie ihre Vorfahren, ihre Gräber pflegen? Sie kümmern sich nicht nur darum, sondern behaupten auch noch, dass sie die Propheten nicht umgebracht hätten. Dabei ist das, was die Propheten verkündet haben, verdichtet mit Jesus Christus gegeben, den sie nun mit aller Kraft ablehnen! Dadurch, dass sie sich mit ihren Worten so weit aus dem Fenster lehnen, bestätigen sie, dass sie die Söhne der Prophetenmörder sind. Denn sie nehmen dieselbe heuchlerische Haltung ein wie ihre Väter. Sie haben nicht das Bedürfnis, irgendwie Buße zu tun und stellvertretend für ihre Vorfahren Gott um Verzeihung zu bitten. So wiederholen sie dieselben Fehler. Es ist wie mit der gesamten Weltgeschichte. Die schlimmen Ereignisse, Fehler, konkret die totalitären Regime und Kriege, wiederholen sich im Laufe der Geschichte immer wieder (vielleicht unter anderem Namen und Deckmantel, aber im Kern auf dieselbe Weise), weil die Menschen aus ihren Fehlern nicht lernen, weil sie keine Sühne leisten und sich von Gott nicht belehren lassen wollen.
Weil sie die vielen Generationen hindurch nicht aus ihren Fehlern lernen und bis zu ihrer Generation die Propheten umbringen lassen, wird das Unrecht nun an ihrer Generation gerächt werden. Wie ist das zu verstehen? Wir könnten es als Ankündigung der Tempelzerstörung und der Zerstörung der gesamten Stadt verstehen, als komplette Niederlage gegen die Römer. Es könnte sich auch auf den Triumph der Erlösung beziehen, denn jenen, den sie so sehr beseitigen wollen, Jesus Christus, wird von den Toten auferstehen. Es ist in dieser Hinsicht keine Rache im eigentlichen Sinn, aber ihr Plan wird zunichte gemacht.
Jesus hat heute erneute Weherufe auch an die Schriftgelehrten. Sie sitzen an der Quelle, wollen aber nicht glauben. Sie selbst gehen nicht durch die Tür des Glaubens und hindern noch die anderen daran, zu glauben. Das ist ein sehr hartes Urteil, das Jesus formuliert, damit sie sich der drastischen Situation bewusst werden und umkehren.
Stattdessen beginnen die Pharisäer und Schriftgelehrten, Jesus mit vielen Fragen zu bedrängen und auf die Probe zu stellen. Sie sind komplett provoziert worden und voller Zorn. Sie möchten das alles nicht auf sich sitzen lassen und wollen Jesus Böses. Sie haben die Zeit der Gnade nicht erkannt. Wenn Gott uns harte Worte zu sagen hat, tut er dies allein um unseres Heils willen. Er tut es aus Liebe, nicht weil es ihm Spaß macht. Es ist aber alles umsonst, wenn die Angesprochenen nicht richtig reagieren. Und so wird Jesus wie seine Propheten am Ende umgebracht werden. Gott wird mundtot gemacht. Und doch hat er am Ende das letzte Wort. Er besiegt den Tod und lässt diese selbstgerechten Menschen komplett sprachlos. Wenn Jerusalem zerstört wird, werden es ausgerechnet die Hohenpriester sein, die Sadduzäer, die so gegen Jesus waren, die plötzlich arbeitslos werden. Denn es wird keinen Tempelkult mehr geben.
Schauen wir heute auf uns selbst und prüfen wir uns, wie wir reagieren auf die Kritik, die Gott an uns richtet. Sind wir bereit zur Umkehr, wenn Gott uns dazu aufruft? Tut es uns leid, wenn wir ihn beleidigt haben? Bitten wir den Herrn um seine Liebe. Denn wer Liebe in sich hat, kann auch bereuen und umkehren.

Ihre Magstrauss

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